Verwaltungsrecht

Mangels Rechtsschutzinteresses unzulässiger Antrag auf vorbeugenden Eilrechtsschutz gegen befürchtete Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen

Aktenzeichen  10 CE 19.2234

Datum:
28.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32421
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4
BayPAG Art. 42, Art. 43, Art. 50 Abs. 1 S. 5, Art. 92 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Gibt es keinen Anhalt für das Bevorstehen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse für einen hiergegen gerichteten vorbeugenden Rechtsschutz. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein die hypothetische Annahme, eine nachträgliche richterliche Bestätigung von Eilanordnungen werde wegen Erledigung der Überwachungsmaßnahmen unterbleiben, rechtfertigt keinen vorbeugenden Rechtsschutz. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 15 E 18.02433 2019-10-22 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Eilantrag auf Feststellung, dass keine Mitwirkungspflichten seines Diensteanbieters bei der Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation bestehen, weiter.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt keine Aufhebung oder Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den vom Antragsteller begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf vorläufige Feststellung, dass sein Diensteanbieter den sich aus Art. 43 i.V.m. Art. 42 PAG ergebenden Mitwirkungspflichten nicht unterliegt, mangels Rechtschutzbedürfnisses als unzulässig abgelehnt. Dem Antragsteller drohten keine schwerwiegenden, voraussichtlich nicht wiedergutzumachenden Nachteile. Konkrete Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen stünden weder bevor, noch seien diese beim Antragsteller beabsichtigt, noch sei der Diensteanbieter des Antragstellers zur Mitwirkung im Sinne des Art. 43 PAG verpflichtet worden. Im Falle einer Durchführung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen erlange der Antragsteller ausreichenden Rechtsschutz, weil die Maßnahmen dem Richtervorbehalt unterlägen bzw. bei Gefahr in Verzug unverzüglich eine nachträgliche richterliche Bestätigung einzuholen sei.
Demgegenüber macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass bestimmte polizeiliche Vorgänge anlässlich bei ihm erfolgter Personenkontrollen im Jahr 2018 es als naheliegend erscheinen lassen, dass Eingriffsmaßnahmen in die Telekommunikation seitens des Antragsgegners in Erwägung gezogen werden könnten. Da gemäß Art. 50 Abs. 1 Satz 2 PAG eine Benachrichtigung der Adressaten der Maßnahme in „Bagatellfällen“ unterbleiben könne, sei nachträglicher effektiver Rechtsschutz nicht zu erwarten. Im Übrigen wird auf die umfangreiche und ausführliche Beschwerdebegründung Bezug genommen.
Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO – ebenso wie für eine in der Hauptsache erhobene vorbeugende Feststellungsklage – ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Es ist in der Regel zumutbar, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen sowie – falls erforderlich – um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80, § 80a VwGO nachzusuchen. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist hingegen zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. OVG NW, B.v. 25.8.2017 – 13 B 762/17 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 9 CE 10.2468 – juris Rn. 20; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 37; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juli 2019, § 123 Rn. 45).
Gemessen hieran besteht für das im Eilverfahren geltend gemachte vorbeugende Rechtsschutzbegehren des Antragstellers auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens kein Rechtsschutzinteresse. Für die Vermutung des Antragstellers, dass der Antragsgegner anlässlich der im Jahr 2018 durchgeführten Personenkontrollen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen ergreifen könnte, gibt es keinen Anhalt. Der Antragsgegner hat klargestellt, dass solche Maßnahmen nicht getroffen worden seien. Der nachträgliche Rechtsschutz ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht wegen der Einschränkung der Benachrichtigungspflichten bei unerheblicher Betroffenheit im Sinne des Art. 50 Abs. 1 Satz 5 PAG als nicht ausreichend oder angemessen zu erachten. Denn danach kann nach Ermessen eine Benachrichtigung nur gegenüber den Personen, die selbst nicht Adressat der Maßnahmen waren und die in nur unerheblicher Weise betroffen sind, eine Benachrichtigung unterbleiben (Bär in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/ Schwabenbauer, Stand: 1.2.2019, Art. 50 PAG Rn. 24). Zielpersonen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sind demzufolge nicht von dieser Ausnahme der Benachrichtigungspflicht erfasst.
Die weiteren Ausführungen des Antragstellers zur Begründung seiner Beschwerde, u.a. in Bezug auf die Klärungsbedürftigkeit strittiger Rechtsfragen, die Auswirkungen der PAG-Novelle im Zusammenhang mit Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und deren Bewertung in der Praxis, Literatur und Rechtswissenschaft sowie zur europarechtlichen Fragestellungen, tangieren allenfalls materiell-rechtliche Probleme, verhalten sich aber nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage des (fehlenden) Rechtschutzinteresses für den begehrten vorbeugenden Eilrechtsschutz.
Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals festgestellt wissen möchte, dass der Antragsgegner „nicht auf Benachrichtigung der Gerichte“ nach „Art. 92 Abs. 3 Satz 2 PAG verzichten darf“ bzw. ausnahmslos zu einer „unverzüglichen“ Unterrichtung verpflichtet sei, liegt darin eine in der Beschwerde regelmäßig unzulässige Antragsänderung, da damit eine wesentliche Änderung der zu prüfenden Gesichtspunkte einherginge. Das Verwaltungsgericht hat in dem ersten Rechtszug die dort gestellten Anträge vollständig beschieden. Das Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, gebietet vorliegend nichts anderes (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 10 CS 08.2504 – juris Rn. 5; B.v. 3.3.2016 – 11 CE 16.219 – juris Rn. 17 m.w.N.). Allein die hypothetische – nicht weiter begründete – Annahme, eine nachträgliche richterliche Bestätigung von Eilanordnungen werde wegen Erledigung der Überwachungsmaßnahmen unterbleiben (vgl. Art. 92 Abs. 2 Satz 3 PAG), rechtfertigt keinen vorbeugenden Rechtsschutz.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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