Verwaltungsrecht

Maßgebliche Sach- und Rechtslage für die Versetzung in den Ruhestand

Aktenzeichen  6 ZB 18.188

Datum:
17.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8648
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BPOIBG § 4 Abs.1
BBG § 44

 

Leitsatz

Für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (stRspr BVerwG BeckRS 2014, 54341). Danach eingetretene Veränderungen der Dienstfähigkeit sind nicht zu berücksichtigen. Es reicht vielmehr aus, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt eine nachhaltige mittelfristig absehbare Besserung nicht zu erwarten ist. (Rn. 6 und 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 15.680 2017-12-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Dezember 2017 – M 21 K 15.680 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 36.056,76 Euro fest-gesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht besteht.
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642). Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die mit Bescheid vom 31. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2015 verfügte Ruhestandsversetzung des Klägers mit Urteil vom 12. Dezember 2017 abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auf der Grundlage der ihr bis dahin zur Verfügung gestandenen Erkenntnisse aus den sozialmedizinischen Gutachten vom 17. Dezember 2013 sowie vom 3. März 2015 von der dauernden Polizeidienstuntauglichkeit des Klägers habe ausgehen dürfen. Die Beklagte habe ermessensfehlerfrei von der erleichterten Feststellungsmöglichkeit des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG Gebrauch gemacht; die Schlussfolgerung, dass unter Berücksichtigung der seit 13. Juli 2012 durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers davon auszugehen sei, dass dieser auch über einen Zeitraum von sechs Monaten nach der Zurruhesetzung nicht polizeidienstfähig sein werde, sei nachvollziehbar. Der Kläger habe die genannten sozialmedizinischen Gutachten auch nicht substantiiert in Frage gestellt, die beide sowohl vom (Fort-)Bestehen der Polizeidienstunfähigkeit als auch der allgemeinen Dienstunfähigkeit des Klägers ausgegangen seien. Auf das erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides erstellte weitere sozialmedizinische Gutachten vom 7. März 2016 komme es für die Entscheidung nicht an.
Die vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtssätze stehen in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. Sie sind auf den konkreten Fall des Klägers zutreffend angewendet worden. Der Zulassungsantrag hält den überzeugenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen könnte und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
a) Soweit der Kläger zunächst geltend macht, die Bezugnahme im angegriffenen Urteil auf den Beschluss der Kammer vom 9. März 2015 – M 21 E 15.394 – im Eilverfahren sei nicht zulässig gewesen, legt er keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar. Die Bezugnahme an sich begegnet keinerlei rechtlichen Bedenken, da diese Entscheidung den Beteiligten bekannt war (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 108 Rn. 7). Im Übrigen sind nach ständiger Rechtsprechung ernstliche Zweifel am Ergebnis der Entscheidung zu fordern. Solche bestünden selbst dann nicht, wenn man mit dem Kläger davon ausgehen wollte, dass der in Bezug genommene Beschluss vom 9. März 2015 für die Begründung des streitgegenständlichen Urteils nicht tauglich sei. Denn die Richtigkeit der Klageabweisung würde dadurch nicht in Frage gestellt.
b) Soweit der Kläger meint, das Verwaltungsgericht habe selbst zum Ausdruck gebracht, dass es auf spätere Erkenntnisse zur Frage der Dienstfähigkeit des Klägers im vorliegenden Verfahren durchaus ankomme, kann dem nicht gefolgt werden. Die Frage der Rechtmäßigkeit einer Ruhestandsversetzung ist nach ständiger Rechtsprechung gerade nicht davon abhängig, wie sich der Gesundheitszustand des Betroffenen im weiteren Fortgang entwickelt. Vielmehr kommt es für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10 m.w.N.). Eben dies hat das Verwaltungsgericht – wie der Kläger selbst einräumt – in der angegriffenen Entscheidung auch ausdrücklich unter Bezugnahme auf die genannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt. Der vom Kläger aufgezeigte Umstand, eine andere Kammer des Verwaltungsgerichts habe dies in einer Entscheidung vom 25.10.2016 – M 5 K 15.3769 – anders gesehen, vermag dem vorliegenden Zulassungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen.
c) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides weder eine Polizeidienstunfähigkeit (§ 4 Abs. 1 BPOlBG) noch eine allgemeine Dienstunfähigkeit (§ 44 Abs. 1 BBG) auf Basis der zugrunde gelegten Gutachten habe festgestellt werden können, nachdem dort darauf hingewiesen worden sei, dass mit fortschreitender Zeit und im Falle der Durchführung einer heimatnahen Wiedereingliederung eine gesundheitliche Genesung des Klägers durchaus zu erwarten sei, die dessen Verwendung im Polizeivollzugsdienst, zumindest aber im allgemeinen Verwaltungsdienst dem Grunde nach ermöglichen würde.
Entscheidend für die Annahme einer Dienstunfähigkeit ist, dass der Beamte dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten zu erfüllen, die mit seinem Amt im abstrakt-funktionellen Sinn verbunden sind. Dauernd unfähig zur Erfüllung seiner Dienstpflichten ist ein Beamter, wenn der Dienstherr im Zeitpunkt der Zurruhesetzung, d.h. im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – ggf. des Widerspruchsbescheids – nach den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln die Überzeugung gewinnen durfte, dass der Beamte voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht im Stande sein wird, seine Dienstpflichten zu erfüllen. Danach eingetretene wesentliche Veränderungen sind nicht zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 16.10.1997 – 2 C 7.97 – juris). Unerheblich ist, ob die Dienstunfähigkeit wahrscheinlich lebenslänglich bestehen bleibt oder welche Meinung der Beamte über seine Dienst(un) fähigkeit hat. Es reicht vielmehr aus, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt eine nachhaltige mittelfristig absehbare Besserung nicht zu erwarten ist (OVG NW, U.v. 9.5.2011 – 1 A 440/10 – juris Rn. 88 m.w.N.). Als dienstunfähig kann ein Beamter gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG auch dann angesehen werden, wenn er infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate seine Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Eine Wiedererlangung der vollen Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate muss dabei aber nicht – wie der Kläger wohl meint – mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden können; es genügt die auf Tatsachen gestützte Prognose im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung bzw. im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, dass die Wiedererlangung der vollen Dienstfähigkeit in diesem Zeitraum unwahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.1997 – 2 C 7.97 – BVerwGE 105, 267 bis 271; BayVGH, B.v. 30.11.2015 – 3 ZB 13.197 – juris Rn. 37 m.w.N.).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zutreffend unter Zugrundelegung lediglich der – vom Kläger nicht angegriffenen – Ergebnisse der sozialmedizinischen Gutachten vom 17. Dezember 2013 und vom 3. März 2015 die Voraussetzungen für die Versetzung des Klägers in den vorzeitigen Ruhestand bejaht. Ausweislich des Gutachtens vom 17. Dezember 2013 war die Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit beim Kläger, der seit 13. Juli 2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war, in den nächsten zwei Jahren nicht absehbar. Nach ärztlich-wissenschaftlicher Erfahrung sei auch die Wiedererlangung der gesundheitlichen Eignung für den allgemeinen Verwaltungsdienst innerhalb von sechs Monaten nicht zu erwarten. Das Gutachten vom 3. März 2015 kam erneut zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht uneingeschränkt gesundheitlich geeignet für den Polizeivollzugsdienst oder eine Verwendung im allgemeinen Verwaltungsdienst des Bundes sei. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, das Gutachten vom 3. März 2015 gehe ebenfalls weiterhin vom Fortbestand der Polizeidienstuntauglichkeit und der allgemeinen Dienstuntauglichkeit des Klägers aus, wenn es eine „heimatnahe Wiedereingliederung für medizinisch wünschenswert“ halte, ist nicht zu beanstanden. Daraus ergibt sich auch nicht ansatzweise die Prognose, die volle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Klägers innerhalb der Frist von weiteren sechs Monaten sei möglich. Im Übrigen hat der Kläger selbst nicht vorgetragen, seine Dienstfähigkeit sei zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses oder des Widerspruchsbescheids bzw. innerhalb von sechs Monaten danach wieder voll hergestellt gewesen.
Entgegen der Auffassung des Klägers enthält das Gutachten auch nicht etwa die Feststellung, dass eine dauerhafte – eingeschränkte – anderweitige dienstliche Verwendung des Klägers im Sinn von § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG möglich sei. Eine betriebliche Wiedereingliederungsmaßnahme erfolgt in der Regel zur Erprobung der Belastbarkeit im Berufsleben mit dem Ziel der Wiedererlangung der Dienstfähigkeit. Dies impliziert, dass die Dienstfähigkeit – auch für eine „anderweitige Verwendung“ – gerade fehlt. Aus diesem Grund war auch die Suche nach einer anderweitigen Verwendung entbehrlich (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.2014 – 2 B 97.13 – juris Rn. 13; OVG NW, U.v. 4.11.2015 – 6 A 1364/14 – juris Rn. 52).
d) Mit den Ausführungen zu dem Leitgedanken der Regelungen des Bundesbeamtengesetzes über die vorzeitige Ruhestandsversetzung aus gesundheitlichen Gründen – Rehabilitation vor Versorgung – werden ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils dargelegt. Vorliegend ist die Prognose für die gesundheitliche Entwicklung des Klägers in den ersten sechs Monaten nach Ruhestandsversetzung weder entfallen noch verkürzt worden. Zu den behaupteten Ermessensfehlern bei der Annahme der Dienstunfähigkeit hat der Kläger nichts Substantiiertes vorgetragen. Zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger für eine anderweitige Verwendung überhaupt in Betracht kommen könnte. Wie der Kläger selbst ausführen lässt, war dies allenfalls auf der Grundlage des erneuten sozialmedizinischen Gutachtens vom 7. März 2016 der Fall. Hierzu weist das Verwaltungsgericht jedoch zutreffend darauf hin, dass eine sich inzwischen womöglich abzeichnende Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers für die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ohne Bedeutung ist, weil dies nach den oben gemachten Ausführungen zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Erlass des Widerspruchsbescheids nicht zu berücksichtigen war und auch noch nicht berücksichtigt werden konnte.
Nach alledem war der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2014.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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