Verwaltungsrecht

Mehrbedarfsschaden durch Einsatz des Vaters des Geschädigten – Ersatz seines Verdienstausfallschadens

Aktenzeichen  33 O 149/14

Datum:
18.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 136451
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 S. 1, § 249 S. 2, § 251 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 843 Abs. 1, § 844, § 845
StVG § 7 Abs. 1, § 11 S. 1, § 13, § 18 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Fördermaßnahmen, die dazu dienen, dem Geschädigten soweit als möglich einen altersentsprechenden Leistungsstand insbesondere im Lesen, Schreiben, Rechnen und hinsichtlich des Allgemeinwissens als Grundvoraussetzung für eine Berufsausbildung und eine spätere Erwerbstätigkeit zu verschaffen, sind der Schadensgruppe der sogenannten vermehrten Bedürfnisse im Sinne von § 843 Abs. 1 BGB, §§ 11 S. 1, 13 StVG zuzuordnen, wenn und soweit es sich um einen unfallbedingt erhöhten Aufwand und nicht nur um allgemeine, auch einem Gesunden entstehende Ausbildungskosten beziehungsweise um allgemeine Lebenshaltungskosten handelt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Verdienstausfall, den ein naher Angehöriger wegen dem Verletzten unentgeltlich erbrachter Betreuungsleistungen erleidet, begründet als geldwerter „Verlustposten“, in welchem sich der Mehraufwand in der Vermögenssphäre konkret niedergeschlagen hat, eine entsprechende Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Verletzten, da eine solche Hilfeleistung naher Angehöriger entsprechend dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB nicht dem Schädiger zugutekommen darf. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 151.815,53 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.02.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 27% und die Beklagten als Gesamtschuldner 73% zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Ersatz von vermehrten Bedürfnissen in Höhe des Verdienstausfalls seines Vater nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 ABs.1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 843 Abs. 1 BGB in Höhe von 151.815,53 €.
1. Ausgehend vom Urteil des OLG Bamberg vom 28.06.2005 Az.: 5 U 23/05 ist im vorliegenden Fall von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Nach den Grundsätzen des Schadensrechts hat der Kläger einen Anspruch auf eine Förderung, die seine Leistungsfähigkeit soweit als möglich dem Stand annähert, die er ohne den Unfall bei normaler körperlicher und geistiger Entwicklung und normaler schulischer Ausbildung erlangt hätte. Denn der Schädiger hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 S. 1 BGB). Bei Verletzung einer Person kann der Geschädigte vom Schädiger – wie hier – statt der Naturalrestitution den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen (§ 249 S. 2 BGB).
Seine Grenze findet dieser Anspruch allerdings im Recht des Ersatzpflichtigen, den Gläubiger auf eine Entschädigung in Geld zu verweisen, nämlich dann, wenn die Herstellung nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist (§ 251 Abs. 1 und 2 S. 1 BGB). Das bedeutet, dass auch ein zur Herstellung an sich erforderlicher Aufwand dann nicht zu ersetzen ist, wenn er die Grenze der Unverhältnismäßigkeit übersteigt.
Fördermaßnahmen, wie sie damals vom Vater des Klägers ausgeführt wurden, die dazu dienten, dem Geschädigten soweit als möglich einen altersentsprechenden Leistungsstand insbesondere im Lesen, Schreiben, Rechnen und hinsichtlich des Allgemeinwissens als Grundvoraussetzung für eine Berufsausbildung und eine spätere Erwerbstätigkeit zu verschaffen, sind der Schadensgruppe der sogenannten vermehrten Bedürfnisse im Sinne von § 843 Abs. 1 BGB, §§ 11 S. 1, 13 StVG zuzuordnen, wenn und soweit es sich um einen unfallbedingt erhöhten Aufwand und nicht nur um allgemeine, auch einem Gesunden entstehende Ausbildungskosten beziehungsweise um allgemeine Lebenshaltungskosten handelt (vgl. BGH NJW-RR 1992, 791).
Dies war zum damaligen Zeitpunkt (Entscheidungszeitpunkt des OLG Bamberg) der Fall, weil der Kläger allein durch die Unfallfolgen außer Stande war, ohne zusätzliche intensive Förderung seinen Leistungsstand zu verbessern.
Der Mehrbedarf des Klägers bemisst sich nach den Dispositionen, die ein verständiger Geschädigter bei der von ihm – bzw. hier durch seine gesetzlichen Vertreter – in zumutbarer Weise gewählten Lebensgestaltung getroffen hätte (BGHZ 54, 82; BGH VersR 70, 129, und 78, 149). Dabei bemisst sich der Anspruch nach dem konkreten Bedarf im jeweiligen Einzelfall. Kommen zum Ausgleich des Bedarfs verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichem Kostenaufwand in Betracht (z. B. durch Einstellung einer Fremdkraft, durch Vollzeitunterbringung in einer entsprechenden Einrichtung oder durch persönliche Leistungen eines Familienangehörigen im häuslichen Bereich), so bestimmt sich die Höhe des Anspruchs wegen vermehrter Bedürfnisse nicht etwa stets nach der aufwändigsten oder nach der kostengünstigsten Möglichkeit, sondern danach, wie der Bedarf in der vom Geschädigten zumutbar gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfällt. Wählt der Verletzte den Einsatz eines Familienangehörigen, so ist dessen zusätzliche Mühewaltung angemessen auszugleichen (BGH VersR 1978, 396; BGH NJW 99, 2819). Dies gilt beim Einsatz eines Elternteils freilich nur dann, wenn diese Mühewaltung den Bereich der allein den Eltern als engsten Bezugspersonen zugänglichen „unvertretbaren“ Zuwendung verlässt und sich so weit aus dem selbstverständlichen originären Aufgabengebiet der Eltern heraushebt, dass nicht nur theoretisch, sondern als praktische Alternative ein vergleichbarer Einsatz fremder Hilfskräfte in Betracht kommt (BGH NJW 99, 2819).
Dabei darf zwar nicht außer Acht gelassen werden, dass Schadensersatzansprüche Dritter vom Gesetz nur in den – hier nicht gegebenen – Fällen der §§ 844, 845 BGB in Betracht kämen, weswegen Gegenstand der Prüfung hier nicht ein unfallbedingter Verdienstausfallschaden des tätig werdenden Angehörigen, hier des Vaters, ist, sondern allein der Anspruch des Verletzten selbst, hier des Klägers, auf Ausgleich seiner vermehrten Bedürfnisse. Allerdings kann der Verdienstausfall, den ein naher Angehöriger wegen dem Verletzten unentgeltlich erbrachter Betreuungsleistungen erleidet, als geldwerter „Verlustposten“, in welchem sich der Mehraufwand in der Vermögenssphäre konkret niedergeschlagen hat, eine entsprechende Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Verletzten begründen, da eine solche Hilfeleistung naher Angehöriger entsprechend dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB nicht dem Schädiger zugutekommen darf (BGH NJW 1999, 2819 w. m. N.). Die Ersatzpflicht für einen Verdienstausfall Dritter ist dementsprechend sogar für den Bereich der Heilungskosten wegen notwendiger Krankenbesuche bejaht worden (vgl. BGHZ 106, 28 = BGH NJW 89, 766; BGH NJW 91, 2340).
Allerdings bestehe ein Mehrbedarf des Klägers, welcher die Intensivförderung durch den Vater rechtfertigt, nicht zeitlich unbegrenzt. Der Mehrbedarf des Klägers entfalle dann, wenn der Kläger seine ursprünglich vertretbar getroffene Auswahlentscheidung hinsichtlich der Maßnahmen zum Ausgleich seiner unfallbedingten Defizite als nicht mehr aussichtsreich für die Zukunft revidieren muss.
2. Anhand der dargestellten Grundsätze bestehen beim Kläger auch weiterhin vermehrte Bedürfnisse für die er Ersatz verlangen kann. Eine „Sättigungsgrenze“ ist beim Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum (01.08.2010 bis 31.07.2013) nicht eingetreten, weshalb er seine ursprünglich vertretbar getroffene Auswahlentscheidung nicht revidieren muss.
a. Zur Überzeugung des Gerichts steht nach den ausführlichen, verständlichen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. …| in ihrem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 12.08.2015 und dessen mündlichen Erläuterung vom 22.02.2016 fest, dass beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum und auch heute weiterhin vermehrte Bedürfnisse bestehen, die durch die Fördermaßnahmen seines Vaters im Rahmen des „familiären Modells“ ausgeglichen werden.
Auch wenn die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten ausführte, dass trotz der intensiven Bemühungen des Vaters eine Integration des Klägers in ein adäquates berufliches und soziales außerfamiliäres Umfeld bislang nicht geglückt ist und damit ein wichtiges outcome-Maß, die Partizipation, insbesondere die Rehabilitation der Fähigkeit zur Berufsausübung und Entwicklung altersenstprechender sozialer Bindungen für den Kläger nicht gelungen sei, so erläuterte sie jedoch, dass neben dem kognitiven Aspekt der psychosoziale Aspekt viel wichtiger für ein outcome des Klägers sei.
Wie bereits in ihrem schriftlichen Gutachten führte die Sachverständige im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2016 ergänzend aus, dass die Fördermaßnahmen des Vaters des Klägers dazu beigetragen haben, dass es dem Kläger „gut“ geht, dass er psychosozial stabilisiert wurde.
Auch wenn beim Kläger chronische kognitive Defizite vorhanden seien und eine diesbezügliche Steigerung nicht mehr zu erwarten sei, so ist es den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zu Folge dennoch erforderlich den Kläger weiter zu fördern um ihn psychosozial zu stabilisieren. Beim Kläger bestehe gerade aufgrund der Unfallverletzung ein erhöhtes Risiko für eine psychosoziale Belastung, da der Kläger aufgrund seiner chronischen kognitiven Fähigkeiten dies nicht wie ein „gesunder“ Mensch verarbeiten könne.
Die Sachverständige erläuterte verständlich und nachvollziehbar, dass beim Kläger zwischen den rein kognitiven Fähigkeiten und der Alltagsfähigkeit/Selbstständigkeit differenziert werden müsse. In Bezug auf die rein kognitiven Fähigkeiten müsse beim Kläger unter Berücksichtigung der durchgeführten Tests davon ausgegangen werden, dass auch eine andere Rehabilitationsmaßnahme keine deutliche Änderung mehr herbeiführt. In Bezug auf die Alltagsfähigkeit/Selbstständigkeit des Klägers sei es allerdings durchaus erforderlich seine soziale Stellung zu stärken, indem der Kläger lernt mit seinen Defiziten umzugehen. In Bezug auf das soziale Umfeld und die Selbstständigkeit des Klägers sei das „familiäres Modell“ durchaus sinnvoll. Weiter erläuterte die Sachverständige nachvollziehbar, dass es beim Kläger zunächst zu einer Destabilisierung kommen könnte, wenn man ein anderes Rehabilitationsmodel wählt.
Auch verkennt das Gericht nicht, dass die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten ausführte, dass aus klinischer Sicht eine gezielte berufliche Rehabilitationsmaßnahme für den Kläger mit diagnostischem Reha-Assesment, systematischen Arbeitsproben und Belastungstests und spezifische Trainingsmaßnahmen für die weitere Entwicklung des Klägers langfristig sinnvoller sei als reine familieren Fördermaßnahmen. Allerdings gab die Sachverständige dazu auch an, dass es bislang keine systematischen Studien gäbe die diese Empfehlung untermauern würde.
Schließlich erläuterte die Sachverständige noch, dass die seitens des Vaters des Klägers unstreitig erfolgten Maßnahmen gerade auch zu einer Stabilisierung der kognitiven Fähigkeiten des Klägers beitragen.
Die Angaben der Sachverständigen, sowohl in ihrem schriftlichen Gutachten als auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung waren in sich schlüssig, nachvollziehbar und konnten so zur Überzeugungsbildung des Gerichts in ausreichendem Maß beitragen.
b. Nachdem zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Vater des Klägers die in der Anlage zur Klage Version B3 sowie aus Seite 6,7 des Schriftsatzes des Klägers vom 12.12.2014 (Bl. 146, 147 d.A.) dargestellten Maßnahmen durchführte und das Gericht wie zuvor dargestellt zur Überzeugung gelangte, dass diese Maßnahmen für die Stabilisierung der kognitiven Fähigkeiten des Klägers sowie zu seiner psychosozialen Förderung erforderlich und auch sinnvoll waren, muss der Kläger seine ursprünglich getroffenen Auswahlentscheidung hinsichtlich der Maßnahmen zum Ausgleich seiner unfallbedingten Defizite nicht revidieren.
Demnach sind die Beklagten auch weiterhin verpflichtet dem Kläger die vermehrten Bedürfnisse zu ersetzten, die durch die Förderung des Vaters im hier streitgegenständlichen Zeitraum entstanden sind.
3. Allerdings hat der Kläger diesbezüglich lediglich einen Anspruch in Höhe von 151.815,53 €.
Der Höhe nach bemisst sich der Anspruch des Klägers nach dem Verdienstausfall des Vaters (vgl. OLG Bamberg vom 28.06.2005 Az.: 5 U 23/05).
Dabei ist das Gericht zunächst von einem jährlichen Verdienstausfall des Vaters des Klägers in Höhe von 41.715,82 € ausgegangen, wie er sich auch aus dem Urteil des OLG Bamberg vom 28.06.2005 Az.: 5 U 23/05 ergibt und was dem letztmaligen Verdienst des Vaters vor seiner Berufsaufgabe entspricht.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Ersatz für den Zeitraum 01.08.2010 bis 31.07.2013, mithin für drei Jahre, so dass sich daraus ein Betrag in Höhe von 125.355,60 € ergäbe.
Weiter hatte das Gericht allerdings im Wege der Schadensschätzung (§ 287 ZPO) eine Indexanpassung des Schadens des Klägers unter Berücksichtung des Verdienstausfalls des Vaters vorzunehmen.
Diesbezüglich ist das Gericht aufgrund des durch das statistische Bundesamt veröffentlichten Nominallohnindex (Statistisches Bundesamt, Veröffentlichung Reallohn, 4. Q 2015, abrufbar über www…de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VerdiensteArbeitskosten/Realloehn eNettoverdienste/RealloehneNettoverdienste.html) von einem jährlichen Verdienstausfall im Jahr 2010 in Höhe von 48.429,30 €, im Jahr 2011 in Höhe von 50.027,47 €, im Jahr 2012 von 51.278,16 € und im Jahr 2013 von 51.996,05 € ausgegangen. Dabei hatte das Gericht jeweils ab 1999 die jährliche prozentuale Veränderung des Nominallohnindex berücksichtigt.
Für den seitens des Klägers geltend gemachten Zeitraum führt dies zu einem Verdienstausfall des Vaters in Höhe von insgesamt 151.815,53 €.
Die seitens des Klägers dargelegte Berechnung einer Indexanpassung ist für das Gericht im Einzelnen nicht nachvollziehbar und nicht überzeugend. Nachdem sich die Höhe des Anspruchs des Klägers nach dem Verdienstausfall des Vaters bemisst ist es gerade auch erforderlich für eine Indexanpassung auf die Lohnentwicklung abzustellen und hierzu den Nominallohnindex heranzuziehen.
4. Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§ 288, 286 ZPO.
II.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S.2 ZPO.

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