Verwaltungsrecht

Militärdienst in Eritrea kein Fluchtgrund

Aktenzeichen  B 2 K 17.30683

Datum:
27.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3

 

Leitsatz

Die Einberufung in den Nationalen Dienst (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beachtlichen Verfolgungsgrund dar.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort nieder lässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Nach § 3 a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3 a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3 b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Der Kläger macht geltend, Eritrea verlassen zu haben, um der drohenden Einberufung zum Nationaldienst zu entgehen.
Die Einberufung zum Nationaldienst durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.
Der Nationaldienst ist ein politisches Projekt der eritreischen Regierung. Die Teilnahme am Nationaldienst ist für Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren obligatorisch. Die Nationaldienstproklamation von 1995 sieht eine Dienstpflicht von achtzehn Monaten vor, davon sechs Monate militärische Ausbildung und zwölf Monate Mitarbeit in zivilen Aufbauprojekten. Der Nationaldienst besteht aus einem militärischen und einem zivilen Teil. Angehörige des militärischen Teils leisten Dienst im eritreischen Militär. Teilweise leisten sie auch Arbeitseinsätze vorwiegend im Aufbau von Infrastruktur und Landwirtschaft. Sie leben auf militärischen Stützpunkten und sind in Einheiten eingeteilt. Zuständig für die Verwaltung des militärischen Teils ist das Verteidigungsministerium. Angehörige des zivilen Teils leisten ihren Dienst in zivilen Projekten. Zu diesem Zweck teilt sie die Regierung verschiedenen Ministerien zu. Meist handelt es sich um Personen mit guter Ausbildung oder speziellen Fähigkeiten. Typisch sind Einsätze an Schulen, Gerichten oder in der medizinischen Versorgung. Ihren zugeteilten Aufgaben gehen die Dienstleistenden wie einer normalen Arbeit nach. Sie leben mit ihren Familien oder in privaten Wohnungen am Arbeitsort. Verlässliche Angaben über die Verteilung der Angehörigen des Nationaldienstes auf die beiden Teile, auch über die Verteilung der neu Rekrutierten gibt es nicht.
Allerdings weicht die Realität von der in der Nationaldienstproklamation vorgeschriebenen Dienstpflicht von achtzehn Monaten ab. Die eritreische Regierung hat den seit 1998 faktisch geltenden, aber nie deklarierten Ausnahmezustand bis heute nicht aufgehoben. Aus diesem Grund gibt es seither keine zeitliche Begrenzung des Nationaldiensts mehr, d.h. er dauert üblicherweise mehrere Jahre. 2014 und 2015 haben Regierungsvertreter wiederholt die Beschränkung des Nationaldienstes auf die gesetzlich vorgeschriebenen achtzehn Monate angekündigt. Im Jahr 2016 hat der Informationsminister erklärt, die Bedrohung durch Äthiopien bestehe weiterhin, weshalb der Nationaldienst derzeit noch nicht verkürzt werden könne. Auch hinsichtlich der altersmäßigen Begrenzung der Dienstpflicht gibt es unterschiedliche Altersangaben. So soll nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016, Stand November 2016 (nachfolgend: Lagebericht), S. 11 die Dienstpflicht für Frauen bis zum 27. Lebensjahr und für Männer bis zum 50. Lebensjahr, nach anderen Angeben für Frauen bis zum 47. Lebensjahr und für Männer bis zum 57. Lebensjahr dauern (vgl. VG Würzburg U.v. 22.05.2017 – W 3 K 16.31747 – juris Rd.17-18 unter Bezug auf: European Asylum Support Office – EASO – Bericht über Herkunftsländer, Eritrea: Nationaldienst und illegale Ausreise, November 2016).
Die (mögliche) Einberufung in den Nationalen Dienst (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.
Die Pflicht zur Ableistung eines staatlichen Dienstes stellt keine staatliche Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff. AsylG dar. Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehrbzw. Militärdienst heranzuziehen. Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehrbzw. Militärdienstverweigerung (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.). Zudem stellt die (reine) Pflicht zur Ableistung eines Militärdienstes selbst noch keine staatliche Verfolgung dar. Die Heranziehung zum Militärdienst unterfällt daher flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen. Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen (vgl. hierzu etwa VG Potsdam, U.v. 17.2.2016 – 6 K 1995/15.A –; VG München, U.v. 13.7.2016 – M 12 K 16.31184 –; VG Regensburg, U.v. 27.10.2016 – RN 2 K 16.31289 – VG Würzburg, U.v. 22.05.2017 – W 3 K 16.31747 – alle juris).
Eine drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre vorliegend nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen) oder wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise ergeht nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn Eritrea befindet sich derzeit in keinem Konflikt im Sinne dieser Norm – weder mit anderen Staaten (internationaler Konflikt) noch mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt).
Die Strafverfolgung wird auch nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. In Eritrea gibt es kein Recht, den Wehr- oder Nationaldienst zu verweigern. Wer sich diesen Diensten entzieht, wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. So werden Personen, die versuchen, dem Wehr- und Nationaldienst zu entgehen, bei dem (illegalen) Ausreiseversuch verhaftet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 14. Dezember 2015, S. 12). Ein generelles Anknüpfen an ein gem. § 3 Abs. 1 AsylG, § 3 b AsylG relevantes Merkmal kann darin jedoch nicht gesehen werden. Denn insoweit handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den allgemein in Eritrea geltenden Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen trifft. Die Strafvorschriften knüpfen nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an, sondern an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Wehr- oder Nationaldienst entzogen haben. Hinweise darauf, dass allein aus dem Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft geschlossen wird, die zu einer verschärften strafrechtlichen Ahndung führt, so dass der Bestrafung ein politischer Sanktionscharakter zukäme, sind nicht ersichtlich. Misshandlungen, Folter und Willkür treffen in Eritrea weite Kreise der Bevölkerung. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 11). Die aktuellen Erkenntnisse lassen aber nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu (vgl. VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 – Au 1 K 16.30744 –; VG München U.v. 10.01.2017 – M 12 K 16.33214 – juris). Gerade die große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationaldienst zu entziehen (von einer bloßen Belehrung und Ableistung des Nationaldienstes bis zu Haftstrafen; vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O. S. 18) spricht dagegen, dass diese Personen automatisch als Regimegegner eingestuft werden und damit generell einer politischen Verfolgung unterliegen (vgl. zur Behandlung von Rückkehrern: VG Würzburg, U.v. 22.05.2017 – W 3 K 16.31747 – juris Rd. 27).
Ebenso spricht gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen, der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen – zumindest vorübergehenden – Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage des Gerichts werden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise derzeit für diese Personen nicht angewandt. Sofern sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, besteht für die Rückkehrer die Möglichkeit, einen sog. „Diaspora Status“ zu erhalten. Dieser setzt voraus, dass eine Diasporasteuer (2% Steuer) bezahlt wurde und, sofern die nationale Dienstpflicht noch nicht erfüllt wurde, ein sog. „Reueformular“ unterzeichnet wurde. Dieses umfasst auch ein Schuldeingeständnis mit der Erklärung, die dafür vorgesehene Bestrafung anzunehmen. Zumindest in der Mehrheit kommt es nach den Erkenntnisquellen des Gerichts zu keiner tatsächlichen Bestrafung (Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016). Mit diesem „Diaspora Status“ ist es möglich drei Jahre in Eritrea zu bleiben, ohne den Nationaldienst ableisten zu müssen. Auch eine Ausreise ist mit diesem Status möglich, so dass es temporäre Reisen zu Urlaubs- und Besuchszwecken gibt (Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.6.2016; S. 39). Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationaldienst durch die illegale Ausreise entzogen haben, sprechen gegen eine generelle Einstufung als politischer Gegner (vgl. VG Würzburg, U.v. 22.05.2017 – W 3 K 16.31747 –; VG Regensburg, U.v. 27.10.2016 – RN 2 K 16.31289 – alle juris).
Nach der zugrundeliegenden Auskunftslage kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass bereits die illegale Ausreise an sich vom eritreischen Staat als Hochverrat angesehen wird. Die oben genannten Erkenntnisse betreffen gerade Personen, die illegal ausreisten, um sich dem Nationalen Dienst zu entziehen, also beide Tatbestände verwirklichen.
Auch die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea (Lagebericht Eritrea vom 21.11.2016, Stand: November 2016, S. 17).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff ZPO).

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