Aktenzeichen 3 B 14.2652
Leitsatz
1. Nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast trägt der Beamte auch für die rechtzeitige Meldung des Unfallgeschehens innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 BeamtVG 2006 die materielle Beweislast, wenn das Gericht die erforderliche, d.h. vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann. (redaktioneller Leitsatz)
2. Adressat der Meldung ist der Dienstvorgesetzte und damit im Schulbereich der Schulleiter. Eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Schulsekretärin von dem Unfallgeschehen ersetzt die Dienstunfallanzeige nicht (Anschluss an OVG Münster BeckRS 2015, 40048). (redaktioneller Leitsatz)
3. Anknüpfungspunkt der Fristenregelung des § 45 Abs. 1 S. 1 BeamtVG 2006 ist weder eine Unfallfolge noch ein bereits entstandener Anspruch, sondern der Unfall selbst. Unabhängig davon, ob der Beamte das Ereignis als Dienstunfall einstuft, soll er seinen Dienstherrn in die Lage versetzen, selbst die hierfür erforderlichen Ermittlungen anzustellen und eine zeitnahe Klärung des Sachverhalts sicherzustellen. Damit werden einerseits Aufklärungsschwierigkeiten vermieden, die sich bei späteren Ermittlungen ergeben könnten; zum anderen wird der Dienstherr in die Lage versetzt, präventive Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Schäden zu ergreifen (Verweis auf BVerwG BeckRS 2014, 54525). (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine bestimmte Form der Dienstunfallanzeige ist nicht vorgeschrieben, so dass eine mündliche Meldung genügt. Hierfür ist es ausreichend, dass der Sache nach ein Unfall gemeldet wird uned Anhaltspunkte für einen dienstlichen Zusammenhang vorgetragen werden. Damit geht die Meldung über eine reine Krankmeldung hinaus (Verweis auf VGH München BeckRS 2009, 43996). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 5 K 11.3866, M 5 K 11.5529 2012-12-18 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Die Ziff. II des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 18. Dezember 2012 wird aufgehoben, soweit die Klage im Verfahren M 5 K 11.3866 abgewiesen wurde.
II.
Der Beklagte wird unter Aufhebung der Ziff. 1 des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 4. Februar 2011 und dessen Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2011 (soweit er sich darauf bezieht) verpflichtet, den Antrag der Klägerin über die Anerkennung des Unfallereignisses vom 14. September 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
III.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
IV.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollsteckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.
1. Die Klägerin hat in der mündlichen Berufungsverhandlung statt der ursprünglichen Verpflichtung, das Unfallereignis als Dienstunfall mit einer näher bezeichneten Dienstunfallfolge anzuerkennen, die Verpflichtung zur Neubescheidung beantragt. Hiergegen bestehen keine prozessualen Bedenken, zumal der Streitgegenstand einer solchen Klage im Wesentlichen demjenigen der ursprünglichen Verpflichtungsklage entspricht. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Bescheidungsantrag regelmäßig in der in dieselbe Richtung weisenden Verpflichtungsklage enthalten ist und nur inhaltlich hinter dem Antrag auf Verpflichtung zurückbleibt. Weil der Streitgegenstand einer Verpflichtungs- und derjenige einer Bescheidungsklage im Wesentlichen identisch sind, stellt der Übergang von einem Verpflichtungs- zu einem Bescheidungsantrag auch keine Klageänderung dar (vgl. BVerwG, B. v. 24.10.2006 – 6 B 47/06 – NVwZ 2007, 104 – juris Rn. 13 m. w. N.). Aus dem gleichen Grund ist auch nicht von einer teilweisen Klagerücknahme (Beschränkung des Klageantrags) auszugehen.
2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrags auf Anerkennung des Unfalls vom 14. September 2006, weil der Beklagte unzutreffend davon ausgegangen ist, der Unfall sei nicht fristgerecht gemeldet worden. Demnach waren die Ziff. 1 des Bescheids vom 4. Februar 2011, der Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2011 (soweit er sich darauf bezieht) und die Ziff. II des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2012 (soweit die Klage im Verfahren M 5 K 11.3866 abgewiesen wurde) aufzuheben. Die erneute Bescheidung des klägerischen Antrags vom 19. Oktober 2010 hat unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zu erfolgen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rechtliche Grundlage für die Anerkennung eines Ereignisses als Dienstunfall sowie die Anerkennung bestimmter Verletzungsfolgen ist § 31 Abs. 1 Satz 1 i. V. m.. § 45 Abs. 3 Satz 2 des zum Zeitpunkt des Ereignisses (14. September 2006) geltenden Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 19. Juli 2006 – BeamtVG 2006 – (vgl. BayVGH, U. v. 24.4.2015 – 3 B 14.1141 – juris Rn. 22).
2.1 Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche nach diesem Gesetz entstehen können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls bei dem Dienstvorgesetzten zu melden. Fristbeginn für die Ausschlussfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 ist der Zeitpunkt des behaupteten Unfallgeschehens (BVerwG, U. v. 28.2.2002 – 2 C 5.01 – juris Rn. 17). Hier also der 14. September 2006. Damit lief die Ausschlussfrist am 14. September 2008 ab.
Im Dienstunfallrecht gelten die allgemeinen Beweisgrundsätze. Die Verteilung der materiellen Beweislast ergibt sich aus der im Einzelfall relevanten materiellen Norm. Derjenige, der aus einer Norm eine ihm günstigere Rechtsfolge ableitet, trägt die materielle Beweislast, wenn das Gericht in Erfüllung seiner Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zu seiner vollen Überzeugungsgewissheit („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“) weder feststellen noch ausschließen kann und wenn sich aus der materiellen Anspruchsnorm nichts Abweichendes ergibt (vgl. BVerwG, U. v. 28.4. 2011 – 2 C 55/09 – juris m. w. N.). Der Beamte trägt damit auch für die rechtzeitige Meldung des Unfallgeschehens die materielle Beweislast, wenn das Gericht die erforderliche, d. h. vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann.
Die Klägerin hat den Dienstunfall zur Überzeugung des Senats innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 gemeldet.
Adressat der Meldung ist der Dienstvorgesetzte und damit der Schulleiter. Eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Schulsekretärin von dem Unfallgeschehen ersetzt die Dienstunfallanzeige nicht (vgl. OVG N.-W., B. v. 27.11.2014 – 1 A 450/13 – juris Rn. 4 zur Kenntnis des Behördenarztes m. w. N.). Somit spielt es keine Rolle, dass der Schulsekretärin der Dienstunfall nicht gemeldet worden ist. Diese hatte lediglich die Aufgabe, das Dienstunfallformular auszuhändigen, was vorliegend zunächst unterblieben ist.
Die förmliche Dienstunfallanzeige erfolgte erst am 19. Oktober 2010 und damit nicht fristgerecht. Eine bestimmte Form der Meldung ist jedoch nicht vorgeschrieben (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Stand: Sep. 2015, § 45 BeamtVG Erl. 1 Anm. 4). Anknüpfungspunkt der Fristenregelung des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 ist weder eine Unfallfolge noch ein bereits entstandener Anspruch, sondern der Unfall selbst. Unabhängig davon, ob der Beamte das Ereignis als Dienstunfall einstuft, soll er seinen Dienstherrn in die Lage versetzen, selbst die hierfür erforderlichen Ermittlungen anzustellen und eine zeitnahe Klärung des Sachverhalts sicherzustellen. Damit werden einerseits Aufklärungsschwierigkeiten vermieden, die sich bei späteren Ermittlungen ergeben könnten; zum anderen wird der Dienstherr in die Lage versetzt, präventive Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Schäden zu ergreifen (vgl. BVerwG, B. v. 11.7.2014 – 2 B 37/14 – juris Rn. 8 m. w. N.).
Diesen Anforderungen genügt die mündliche Meldung der Klägerin, die in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen erfolgte. Die Klägerin hat dem damaligen Schulleiter berichtet, dass sie am Donnerstag, den 14. September 2006 nach Abschluss des Elternabends um 21.30 Uhr beim Hinuntergehen der Treppe im Schulhaus mit dem linken Fuß umgeknickt ist und damit einen Unfall gemeldet. Da Anhaltspunkte für einen dienstlichen Zusammenhang vorgetragen worden sind (vgl. BayVGH, B. v. 4.12.2009 – 3 ZB 09.657 – juris Rn. 7), geht die Meldung über eine reine Krankmeldung hinaus.
Das steht für den Senat fest aufgrund der Angaben des Schulleiters auf dem Formblatt „Dienstunfalluntersuchung“ vom 26. Oktober 2010. Danach ist ihm der Unfall erstmals am Montag, den 18. September 2006 mündlich gemeldet worden. Wenngleich er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausführte, die Angabe in dem Formblatt „Dienstunfallmeldung“ über das erstmalige Bekanntwerden des Unfalls am 18. September 2006 sei möglicherweise unrichtig, wird damit nicht die zeitnahe Unfallmeldung als solche in Frage gestellt, sondern lediglich der Tag der Meldung. Der Schulleiter hat stets ausgeführt, dass ihm die Klägerin zeitnah über das Unfallereignis berichtet hatte. In seinem Schreiben vom 15. November 2010 führt er aus, er könne sich noch erinnern, dass ihm die Klägerin zeitnah zum Ereignis mündlich mitgeteilt habe, dass sie bei Begehen der Treppe im Schulhaus mit dem Fuß umgeknickt sei, wenngleich er sich auf ein Datum, wann sie das mitgeteilt habe, und einen genauen Wortlaut der Mitteilung wegen des langen zeitlichen Abstands nicht festlegen konnte. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab er an, die Klägerin müsse ihn wohl am Tag nach dem Unfall angerufen haben. An ein Telefonat erinnere er sich definitiv. Nach seiner Erinnerung habe ihm die Klägerin den Unfallablauf geschildert. Auch in der Berufungsverhandlung, knapp zehn Jahre nach dem Unfallereignis, konnte der Schulleiter das Unfallereignis und die nachfolgende Meldung auf einen Zeitraum vom Februar 2004 bis zum Sommer 2007 eingrenzen und damit eine Meldung innerhalb der Zweijahresfrist nochmals bestätigen. Auch das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin dem Schulleiter am Tag nach dem Unfall, am 15. September 2006, den Unfallablauf geschildert und von Schwierigkeiten beim Gehen berichtet hat. Diese Schilderung hat es jedoch nicht für ausreichend gehalten, weil daraus nicht hervorgegangen sei, dass die Klägerin ihm gegenüber auch einen Dienstunfall anzeigen wollte. Damit hat das Verwaltungsgericht jedoch die Anforderungen an die Dienstunfallmeldung überspannt. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 ist nur der Unfall als solcher meldepflichtig (vgl. OVG Schleswig-Holstein, U. v. 2.6.2015 – 2 LB 10/13 – juris Rn. 59; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Stand: Sep. 2015, § 45 BeamtVG Erl. 1 Anm. 4). Der Beamte selbst muss das Ereignis nicht als Dienstunfall einstufen (vgl. BVerwG, B. v. 11.7.2014 – 2 B 37/14 – juris Rn. 8). Das Bejahen eines Unfalls liegt bei dem Umknicken auf der Treppe und den behaupteten Schwierigkeiten beim Gehen auf der Hand. Der Schulleiter hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht daher auch eingeräumt, dass man die Schilderung als Unfall verstehen könne.
Soweit das Verwaltungsgericht aus der Abrechnung der Heilbehandlungskosten über die Beihilfe und private Krankenversicherung ohne Hinweis auf einen Dienstunfall folgert, die Klägerin selbst sei nicht von einem gemeldeten Dienstunfall ausgegangen, verkennt es, dass § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 die Meldung eines Unfalls, nicht aber eines Dienstunfalls, verlangt.
2.2 Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG 2006 ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Das ist der Fall, wenn der Beamte den Unfall bei einer Tätigkeit erleidet, die im engen natürlichen Zusammenhang mit seinen eigentlichen Dienstaufgaben oder sonstigen dienstlich notwendigen Verrichtungen oder dem dienstlichen Über- und Unterordnungsverhältnis steht, bei der der Beamte also gewissermaßen „im Banne“ des Dienstes steht. Der danach erforderliche Zusammenhang des Unfalls mit dem Dienst ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Regelfall gegeben, wenn sich der Unfall während der Dienstzeit am Dienstort ereignet hat (vgl. BVerwG, U. v. 3.11.1976 – VI C 203.73 – juris Rn. 24). Zum Dienst gehören nach § 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG 2006 die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen, wie hier die Teilnahme am Elternabend. Das Umknicken erfüllt ferner die Tatbestandsmerkmale eines „auf äußerer Einwirkung beruhenden, plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignisses“ und weist die erforderliche Dienstbezogenheit auf.
Bei der Neubescheidung wird der Beklagte zu klären haben, ob der Körperschaden „Osteochondrosis dissecans, linkes Sprunggelenk“ als Dienstunfallfolge des Unfallereignisses vom 14. September 2006 anzuerkennen ist und der Klägerin die gesetzlichen beamtenrechtliche Unfallfürsorgeleistungen zu gewähren sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Unfallfolgen nur dann durch einen Dienstunfall verursacht anerkannt werden können, wenn dieser zumindest eine wesentlich mitwirkende Teilursache im Rechtssinne bildet. Diese unabdingbare Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, nur dann erfüllt, wenn der Nachweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht ist (BVerwG, U. v. 7.2.1989 – 2 B 179/88 – juris, BVerwG, B. v. 23.10.2013 – 2 B 324.12 – juris; BayVGH, U. v. 14.12.2015 – 3 B 13.920 u. a. – juris Rn. 41).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 VwGO und § 127 BRRG nicht erfüllt sind.