Verwaltungsrecht

Nicht unverzüglicher krankheitsbedingter Rücktritt von einer Prüfung

Aktenzeichen  M 3 K 14.1993

Datum:
12.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ADPO ADPO § 5 Abs. 7 S. 2, S. 3, § 13 Abs. 2
FPO § 11 Abs. 2, Abs. 4, Abs. 5, § 13 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Es ist Sache des Prüflings, sich über seine Obliegenheiten im Fall eines Rücktritts von der Prüfung zeitnah kundig zu machen. Die Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung und die Glaubhaftmachung der Rücktrittsgründe gehören zum Standard von Prüfungen jeglicher Art und sind im Kreis der Studierenden gemeinhin bekannt, so dass hierzu keine Hinweispflichten der Prüfungsbehörde bestehen. (redaktioneller Leitsatz)
Ein mehrere Wochen altes, nur auf einen bestimmten Tag bezogenes Attest ist nicht geeignet, die Prüfungsunfähigkeit an einem anderen Tag glaubhaft zu machen, zumal wenn der Student in der Zwischenzeit trotz der geklagten Beschwerden an anderen Prüfungen teilgenommen hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auch die Ablehnung der Anerkennung triftiger Gründe für das Nichtantreten zur Modulprüfung „Molekülbau und statistische Thermodynamik“ am 2. Oktober 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da er auf die Anerkennung keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 27. Januar 2014 ist § 13 Abs. 1, 2 der Fachprüfungsordnung für den Bachelorstudiengang Chemieingenieurwesen an der Technischen Universität M. (im Folgenden: FPO) vom 10. Oktober 2006 in der Fassung der Änderungssatzung vom 10. Juli 2007.
Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen nicht.
Insbesondere hat der nach § 5 Abs. 1 FPO i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Diplomprüfungsordnung der Technischen Universität M. (im Folgenden: ADPO) vom 4. November 1999 in der Fassung der sechsten Änderungssatzung vom 28. Oktober 2009 für Entscheidungen in Prüfungsangelegenheiten sachlich zuständige Prüfungsausschuss für Chemieingenieurwesen die Entscheidung über das endgültige Nichtbestehen des Klägers getroffen. Nach TOP 5 des in der mündlichen Verhandlung von Beklagtenseite vorgelegten Protokolls zur Sitzung des Prüfungsausschusses Chemieingenieurwesen der Fakultät für Chemie am 26. November 2013 hat der Prüfungsausschuss das endgültige Nichtbestehen bei vier Studierenden nach der „alten“ (im Fall des Klägers einschlägigen) Prüfungsordnung behandelt und entschieden. Nach den Erläuterungen der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hierzu würden aus Gründen des Datenschutzes die Namen der betroffenen Studierenden nicht ins Protokoll aufgenommen; aus den beim Prüfungsamt Garching befindlichen Unterlagen gehe jedoch hervor, dass der Kläger einer der vier betroffenen Studierenden gewesen sei. Nach § 1 Abs. 1 FPO i. V. m. § 5 Abs. 7 Satz 2 und 3 ADPO werden die Prüfungsausschüsse bei der verwaltungsmäßigen Abwicklung der Prüfungen vom Prüfungsamt unterstützt; dieses teilt Entscheidungen in Prüfungsangelegenheiten mit. Der Erlass des Bescheids vom 27. Januar 2014 durch das Prüfungsamt Garching ist daher nicht zu beanstanden.
Etwaige Anhörungsmängel sind jedenfalls nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG unbeachtlich, da das Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren gewürdigt wurde.
Der Bescheid vom 27. Januar 2014 ist auch materiell nicht zu beanstanden.
Nach § 19 Nr. 1 FPO ist die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden, wenn ein Pflichtmodul, Pflichtfach, Wahlpflichtmodul oder Wahlpflichtfach endgültig nicht bestanden worden ist. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 FPO müssen Fachprüfungen im Pflicht- oder Wahlpflichtbereich bestanden sein. Eine nicht bestandene Fachprüfung, die im Rahmen der Vorprüfung oder Bachelorprüfung studienbegleitend abgelegt wurde, kann bis zu zweimal wiederholt werden (§ 11 Abs. 5 Satz 3 FPO). Dabei ist eine zweite Wiederholung nicht bestandener oder als nicht bestanden geltender Prüfungen bei der Vorprüfung nur bis zu einem Maluspunktekontostand von 90 Credits und bei der Bachelorprüfung nur bis zu einem Maluspunktekontostand von 36 Credits möglich (§ 11 Abs. 5 Satz 4 FPO). Das Maluspunktekonto enthält die Summe an Credits aller nicht bestandenen Prüfungsversuche der Fachprüfungen des jeweiligen Prüfungsabschnitts (§ 8 Abs. 4 Satz 1 FPO).
Der Kläger hat in den Prüfungen der Pflichtmodule (vgl. Anlage 1 der FPO) „Informationstechnik I“, „Informationstechnik II“ und „Technische Mechanik II“ jeweils die erste Wiederholungsprüfung nicht bestanden, so dass er diese Module und damit die Bachelorprüfung nur bestehen kann, wenn er die Möglichkeit einer jeweils zweiten Wiederholungsprüfung hätte. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Bescheids auch unter Berücksichtigung des Abhilfebescheids vom 31. Januar 2013 und des Prüfungsbescheids vom 15. Februar 2013 einen Maluspunktekontostand von 92,5 Punkten erreicht. Ein Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 27. Januar 2014 setzt die Anerkennung der vom Kläger vorgetragenen Umstände für sein Nichterscheinen bei der Prüfung „Molekülbau und statistische Thermodynamik“ am 2. Oktober 2013 als Gründe im Sinne des § 1 Abs. 1 FPO i. V. m. § 13 Abs. 2 und 3 ADPO voraus; in diesem Fall wäre sein Nichtantreten nicht als Fehlversuch zu werten mit der Folge, dass der Maluspunktekontostand lediglich 87,5 Punkte betragen würde.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Anerkennung triftiger Gründe nach § 11 Abs. 4 Satz 2 FPO i. V. m. § 13 Abs. 2 ADPO. Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 ADPO müssen die für die Fristüberschreitung, das Versäumnis oder den Rücktritt geltend gemachten Gründe dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses unverzüglich schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht werden. Dieser kann für den Fall, dass eine Erkrankung geltend gemacht wird, im Einzelfall oder vor Beginn eines Prüfungstermins durch Anschlag am Schwarzen Brett des Prüfungsausschusses und des Prüfungsamtes allgemein die Vorlage eines ärztlichen, vertrauensärztlichen oder amtsärztlichen Attestes verlangen, das Beginn und Ende der krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit nachweisen muss (§ 13 Abs. 2 Satz 2 ADPO). Der Prüfungsausschuss kann Verhinderungsgründe nur für den Zeitraum anerkennen, für den sie glaubhaft gemacht oder im Fall des Satzes 2 ordnungsgemäß nachgewiesen sind (§ 13 Abs. 2 Satz 4 ADPO). Nach § 13 Abs. 2 Satz 5 ADPO muss eine vor oder während der Prüfung eingetretene Prüfungsunfähigkeit unverzüglich schriftlich beim Vorsitzenden des Prüfungsausschusses oder beim Prüfer geltend gemacht werden.
Vorliegend fehlt es jedenfalls an einer unverzüglichen Glaubhaftmachung einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit am 2. Oktober 2013. Der Kläger hat weder entsprechend dem Abhilfebescheid vom 31. Januar 2013 und dem Bescheid vom 15. Februar 2013 ein vertrauensärztliches Attest noch sonst ein auf diesen Tag bezogenes, zeitnah ausgestelltes ärztliches Attest vorgelegt. Das eingereichte vertrauensärztliche Attest von Dr. L. zur Prüfungsunfähigkeit des Klägers am 26. August 2013 ist allein auf diesen Tag beschränkt. Die nachgereichte vertrauensärztliche Stellungnahme von Dr. L. vom 3. Februar 2014 ist nicht geeignet, eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit des Klägers am 2. Oktober 2013 glaubhaft zu machen. Ausgeführt wird darin lediglich, der Kläger habe sich am 27. August 2013 wegen Schmerzen im rechten Handgelenk vorgestellt. Der Kläger habe sich nach Erhalt des Attests danach nicht mehr vorgestellt. Eine ärztliche Untersuchung und ggf. Behandlung durch Dr. L. in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Prüfungstermin am 2. Oktober 2013 hat demnach nicht stattgefunden. Die weitere Aussage in der ärztlichen Stellungnahme vom 3. Februar 2014, es könne davon ausgegangen werden, dass die Handgelenksschmerzen den Kläger auch mehrere Wochen nach dem 27. August 2013 bei Durchführung schriftlicher Prüfungsarbeiten stark behindert hätten, erscheint nicht plausibel, da der Kläger bereits am 30. August 2013 wieder an einer Prüfung („Informationstechnik II“) teilgenommen hatte. Ebenso hat der Kläger am 9. Oktober 2013, damit nur sieben Tage nach dem Prüfungstermin am 2. Oktober 2013 an der Prüfung „Aufbau und Struktur organischer Verbindungen“ teilgenommen. Angesichts der offenbar stark schwankenden Befindlichkeit des Klägers im rechten Handgelenk erlaubt eine ärztliche Stellungnahme vom 27. August 2013 keine stichhaltigen Rückschlüsse auf seine Prüfungsfähigkeit am 2. Oktober 2013.
Es ist Sache des Prüflings, sich über seine Obliegenheiten im Falle eines Prüfungsrücktritts zeitnah kundig zu machen (BayVGH, B. v. 4.3.2013 – 7 CE 13.181 – Rn. 19). Da die nach § 11 Abs. 4 Satz 2 FPO i. V. m. § 13 Abs. 2 ADPO verlangten Schritte, insbesondere die Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung und der Geltendmachung und Glaubhaftmachung der Gründe hierfür zum Standard von Prüfungen jeglicher Art gehören und daher auch im Kreis der Prüflinge gemeinhin bekannt sind, bestehen hierzu auch keine weiteren Hinweispflichten der Prüfungsbehörde (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 268). Das auf den 26. August 2013 bezogene vertrauensärztliche Attest ist unmissverständlich allein auf diesen Tag bezogen, so dass der von Klägerseite geltend gemachte Irrtum über die zeitliche Reichweite des Attests dem Kläger selbst anzulasten ist. Auch sonst ergeben sich aus den vorliegenden Erkenntnissen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger an einer früheren Glaubhaftmachung der Prüfungsunfähigkeit unverschuldet gehindert gewesen wäre.
Der Kläger kann auch aus der Annullierung der Prüfung am 2. Oktober 2013 durch den Lehrstuhl und dem Wahlrecht derjenigen Studierenden, die an dieser Prüfung teilgenommen hatten, im Dezember 2013 die Prüfung zu wiederholen, für sich nichts herleiten. Diese Annullierungsmöglichkeit war ausdrücklich nur denjenigen Studierenden eingeräumt worden, die tatsächlich an der Prüfung teilgenommen hatten. Hinweise darauf, dass die Annullierung nicht auf Fehler oder Unsicherheiten bei der Aufgabenstellung oder der Bewertung bezogen gewesen wäre, sondern auf Verfahrensfehler, die auch diejenigen Studierenden betroffen hätten, die wie der Kläger gar nicht zu der Prüfung angetreten waren, sind nicht ersichtlich.
Infolgedessen besteht kein Anspruch des Klägers auf Anerkennung triftiger Gründe. Ohne eine Anerkennung der Gründe für einen Rücktritt gilt die Prüfung „Molekülbau und statistische Thermodynamik“ am 2. Oktober 2013 als abgelegt und nicht bestanden (§ 11 Abs. 4 Satz 2 FPO). Der ermittelte Maluspunktekontostand von 92,5 Punkten ist daher nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht keine zweite Wiederholungsmöglichkeit in den Prüfungen der Pflichtmodule „Informationstechnik I“, „Informationstechnik II“ und „Technische Mechanik II“ mehr zu, mit der Folge, dass diese Module und damit auch die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden sind.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124 und 124a Abs. 1 VwGO kann die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
Über die Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 12.500 festgesetzt (§ 52 Abs. 1, 2 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nrn. 36.1, 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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