Aktenzeichen M 1 S 17.49399
AsylverfahrensRL Art. 31 Abs. 8, Art. 32 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Leitsatz
1. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AsylG ist der Ausländer verpflichtet, behördlichen Anordnungen auf persönliches Erscheinen Folge zu leisten, sodass dieser bei Nichterscheinen zu einem Anhörungstermin seine Mitwirkungspflicht im Asylverfahren iSd § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG verletzt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Entbindung, die zwei Monate vergangen ist, lässt nicht per se auf eine als Entschuldigung für die Verletzung der Mitwirkungspflicht im Asylverfahren ausreichende Verhinderung in Bezug auf einen Anhörungstermin schließen; angesichts des Ablaufs der gesetzlichen Mutterschutzfrist ist vielmehr grundsätzlich vom Gegenteil auszugehen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht muss ein qualifizierendes Moment dazukommen, was die Pflichtverletzung als schwerwiegend erscheinen lässt und die den Schluss auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts zulässt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. November 2017 (Az. … ……) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die am … in …Türkei geborene Antragstellerin ist türkischer Staatsangehörigkeit, kurdischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am … Januar 2015 mit dem Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellte am … Mai 2015 in Deutschland einen Asylantrag.
Die Antragstellerin erhielt bei der Antragstellung ein Schreiben des Antragsgegners, in dem sie auf Folgendes hingewiesen wurde:
„[…] Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin wahrzunehmen […] Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Sie werden darauf hingewiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher Ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben. Sie werden von einem Mitarbeiter des Bundesamtes zu Ihren Asylgründen befragt […]“
Unter dem … November 2016 erfolgte an den Verfahrensbevollmächtigten die Ladung zur Anhörung am 13. Dezember 2016. Im Ladungsschreiben wurde auf Folgendes hingewiesen werden:
… Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Ihre Mandantschaft zu diesem Termin nicht erscheint. Dies gilt nicht, wenn sie unverzüglich nachweist, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit muss Ihre Mandantschaft unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet ist, muss sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Wenn dem Bundesamt kein Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen […] Der Bevollmächtigte teilte dem Antragsgegner am …. Dezember 2016 per Fax mit, dass die Antragstellerin den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen könne und fügte ein Attest der Fachärztin für Gynäkologie … vom …. Dezember 2016 bei, in dem der Antragstellerin attestiert wurde, sie befinde sich in der 7. Schwangerschaftswoche, leide unter ausgeprägter Hyperemesis und sei dadurch nicht in der Lage, sich langen Wartezeiten auszusetzen. Aus diesem Grund sei die Antragstellerin verhandlungsunfähig. Es erfolgten daraufhin Ladungen für vier weitere Termine (9.1.2017, 14.3.2017, 12.7.2017, 8.8.2017); der Verfahrensbevollmächtigte sagte die Teilnahme der Antragstellerin jeweils unter Vorlage eines ärztlichen Attests und unter Hinweis auf die Schwangerschaft bzw. Entbindung am … Juli 2017 vorher ab.
Bezüglich des für den 25. September 2017 festgesetzten neuen Anhörungstermins teilte der Bevollmächtigte dem Antragsgegner per Fax am … September 2017 mit, dass die Antragstellerin am … Juli 2017 ein Kind geboren habe und deswegen den Termin noch nicht wahrnehmen könne. Er bitte um Absetzung des Termins und um Mitteilung eines neuen Termins. Beigefügt war ein Attest der o.g. Ärztin vom … September 2017, in dem es hieß, die Antragstellerin habe am … Juli 2017 entbunden. Sie sei nicht in der Lage, den Termin zur Anhörung am 25. September 2017 wahrzunehmen.
Der Antragsgegner teilte dem Bevollmächtigten unter dem 2. Oktober 2017 mit, dass der Termin zur Anhörung am 25. September 2017 ohne genügende Entschuldigung nicht wahrgenommen worden sei. Es wurde Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG gegeben; und zwar sowohl zu den Asylgründen als auch zu den Gründen, die der Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen; außerdem wurde dazu aufgefordert, die Tatsachen vorzutragen, die bei einer Entscheidung zur Anordnung und/oder Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären. Sollte innerhalb eines Monats nach Zugang des Schreibens keine Antwort eingehen, entscheide die Antragsgegnerin nach Aktenlage.
Der Bevollmächtigte äußerte per Fax am … Oktober 2017 gegenüber der Antragsgegnerin, er bitte um Anberaumung eines neuen Termins. Laut fachärztlichem Gutachten sei seine Mandantin nicht in der Lage gewesen, den Termin wahrzunehmen, sodass eine ausreichende Entschuldigung vorgelegen habe.
Die Antragsgegnerin erließ unter dem 6. November 2017, am 8. November 2017 zur Post gegeben, einen Bescheid, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde (Nr. 1 des Bescheids). Weiter lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 2 des Bescheids) ebenso wie den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3 des Bescheids). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurden verneint (Nr. 4 des Bescheids). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragstellerin einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheids).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin kein Flüchtling und keine subsidiär Schutzberechtigte sei, weil sie keine begründete Furcht vor Verfolgung oder die Drohung eines ernsthaften Schadens glaubhaft gemacht habe. Die Antragstellerin sei ihrer Verpflichtung nach § 25 Abs. 1 AsylG nicht nachgekommen. Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens lasse eine Verfolgungsfurcht oder einen ernsthaften Schaden im Heimatland unglaubhaft erscheinen. Einem tatsächlich Bedrohten müsse es sich nämlich geradezu aufdrängen, die Behörden des Landes, in dem er einen Asylantrag stellt, über sein Schicksal zu informieren, wenn er eine entsprechende Bedrohung empfinden würde. Dies habe die Antragstellerin in Verletzung ihrer Mitwirkungspflichten schuldhaft unterlassen. Ihr Verhalten sei ein deutliches Indiz dafür, dass sie bislang Verfolgungshandlungen oder einen ernsthaften Schaden seitens ihres Herkunftslandes oder eines anderen Akteures im Sinne des § 3d AsylG nicht erlitten habe. Demzufolge bestehe weder ein Anlass für eine begründete Furcht vor Verfolgung noch stichhaltige Gründe für einen drohenden ernsthaften Schaden. Ein in diesem Sinne unbegründeter Asylantrag sei unschlüssig und daher abzulehnen.
Der Antrag sei gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen gewesen, da Hinweise auf relevante Entschuldigungsgründe nicht vorgelegen hätten. Die Antragstellerin sei in ihrem zuletzt eingereichten Attest nicht als verhandlungsunfähig erklärt worden. Der Rechtsanwalt habe auf die Aufforderung des Bundesamts zur Stellungnahme zwar reagiert, jedoch sich lediglich auf das unzureichende Attest bezogen.
Ergänzend wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen.
Am … November 2017 ließ die Antragstellerin über ihren Prozessbevollmächtigten Klage erheben (M 1 K 17.49398) mit dem Hauptantrag, unter Aufhebung des Bescheids vom 6.11.2017 die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen und den Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen und beantragte im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Dies wurde damit begründet, dass Art. 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) richtlinienkonform auszulegen sei. Der in Art. 32 Abs. 2, Art. 31 Abs. 8 AsylverfahrensRL genannte Katalog sei für die Annahme der „offensichtlichen Unbegründetheit“ wiederum abschließend; der der Antragstellerin vorgeworfene Verstoß sei dort jedoch nicht genannt. Im Übrigen habe sich die Antragstellerin auch keinen gröblichen Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflichten zuschulden kommen lassen, denn Beschwerden während einer Schwangerschaft bzw. kurz nach der Geburt seien keine Seltenheit und seien mit Attest belegt worden.
Es wurde außerdem ein Attest vom … November 2017 vorgelegt, in der die o.g. Ärztin bescheinigte, die Antragstellerin habe (u.a.) die Termine am 8. August 2017 und 25. September 2017 nicht wahrnehmen können, da sie aufgrund der zwei Kleinkinder eine erhöhte Belastung hervorgehe und sie die vermutlich lange Wartezeit körperlich nicht hätte durchstehen können.
Der Antragsgegner hat sich bisher nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts-, die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte im Verfahren M 1 K 17.49398 verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes ausgeschlossene (vgl. § 75 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO) aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, ist zulässig und begründet.
Es bestehen ernstliche Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 6. November 2017 insoweit, als die Beklagte den Antrag als offensichtlich unbegründet ablehnte. Bezugspunkt der gerichtlichen Entscheidung ist nicht die Ablehnung des Asylantrags an sich, sondern gerade seine Ablehnung als offensichtlich unbegründet (vgl. Funke-Kaiser in: Hailbronner, AsylG, § 36 Rn. 81).
Nach § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer seine Mitwirkungspflichten gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich. Diese Voraussetzungen dürften nicht erfüllt sein.
Zwar verletzte die Antragstellerin ihre Mitwirkungspflicht am Asylverfahren, indem sie im Anhörungstermin am 25. September 2017 nicht erschien (vgl. unten 1.), wobei das ärztliche Attest das Ausbleiben nicht hinreichend entschuldigte (2.), jedoch kann eine Gröblichkeit der Verletzung nicht bejaht werden (3.).
1. Mit dem Antragsgegner zusammen ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihre Mitwirkungspflicht im Asylverfahren verletzte, indem sie beim Anhörungstermin am 25. September 2017 nicht erschien, denn nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AsylG ist der Ausländer verpflichtet, behördlichen Anordnungen auf persönliches Erscheinen Folge zu leisten.
2. Der Vortrag, die Antragstellerin habe am … Juli 2017 ein Kind geboren und sei deswegen nicht in der Lage, den Anhörungstermin am 25. September 2017 wahrzunehmen, ist als Entschuldigung unzureichend. Ebensowenig stützt das ärztliche Attest vom … September 2017 einen derartigen Vortrag, weil dort auch nur die Entbindung genannt wird und ohne weitere Begründung konstatiert wird, die Antragstellerin sei nicht in der Lage, den Termin wahrzunehmen. Eine Entbindung, die zwei Monate vergangen ist, lässt nicht per se auf eine Verhinderung schließen; angesichts des Ablaufs der gesetzlichen Mutterschutzfrist ist vielmehr grundsätzlich vom Gegenteil auszugehen. Das nachträglich unter dem … November 2017 ausgestellte Attest nennt als weitere Begründung die erhöhte Belastung aufgrund der zwei Kleinkinder und dass die Antragstellerin die vermutlich lange Wartezeit psychisch nicht hätte durchstehen können. Auch dies ist als unsubstantiiert zurückzuweisen. Denn es fehlt gänzlich eine Darlegung dahingehend, inwieweit ein pathologischer (psychischer) Zustand besteht und wieso die Kinder nicht mitgebracht oder nicht anderweitig betreut werden können.
3. Nach der Lage der Dinge ist aber nicht von einer gröblichen Verletzung der Mitwirkungspflichten auszugehen. Eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht ist anzunehmen, wenn sie im konkreten Fall objektiv von einigem Gewicht ist. Eine einfache Verletzung der Mitwirkungspflicht ist hiernach nicht ausreichend, es muss ein qualifizierendes Moment dazukommen, was die Pflichtverletzung als schwerwiegend erscheinen lässt und die den Schluss auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts zulässt. Ein derart schwerwiegender Umstand ist hier nicht zu erkennen.
Gegen die Annahme der gröblichen Pflichtverletzung spricht zum einen, dass die Antragstellerin nicht mit gänzlich fadenscheinigen Vortrag ihre Abwesenheit zu erklären versuchte, sondern sich auf den – grundsätzlich nachvollziehbaren, aber eben nicht für eine Exkulpation im Rechtssinne reichenden (s.o. unter 2.) – Umstand berief, die Geburt ihres zweiten Kindes liege nicht weit zurück, und sie habe die Betreuung zweier Kleinkinder zu leisten. Zudem ist zugunsten der Antragstellerin zu werten, dass sie nicht kommentarlos fernblieb, sondern sich durch ihren Verfahrensbevollmächtigten jedenfalls im Vorfeld zum Anhörungstermin unter Vorlage eines Attests zu entschuldigen versuchte. Im Unterschied zu den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen zum gröblichen Verschulden (vgl. bspw. VG München, B.v. 20.12.2012 – Az. M 15 S 12.30966 – juris Rn. 16, B.v. 29.8.2013 – Az. M 24 S 13.30753 – juris Rn. 24) ist hier auch einzustellen, dass der Rechtsanwalt in seinen Schreiben vom … September 2017 und vom … Oktober 2017 um Anberaumung eines neuen Termins bat und hieraus zumindest nicht auf eine gänzliche Verweigerung an der Mitwirkung im Asylverfahren zu schließen ist.
Von einer Pflichtverletzung ist demnach auszugehen, die allerdings nicht so grob ist, dass sie eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet trägt.
Da also schon die Tatbestandsvoraussetzungen des nationalen Recht nicht erfüllt sind, kann offenbleiben, ob die Verletzung der Mitwirkungspflichten, wie sie in § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG genannt sind, im Lichte der Richtlinie 2013/32/EU ausreichende Rechtsgrundlage dafür bieten, einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).