Verwaltungsrecht

Nichterscheinen zum Anhörungstermin im Asylverfahren

Aktenzeichen  M 13 S 16.32242, M 13 K 16.32206

Datum:
14.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 137134
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 166
AsylG § 32, § 33 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Fehlt eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens des Asylverfahrens, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein. Ein Hinweis in einem Ladungsschreiben zur persönlichen Anhörung, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne, wenn der Antragsteller zu diesem Termin ohne vorherige Mitteilung der Hinderungsgründe nicht erschiene, reicht nicht aus (Rn. 10 – 11). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Den Antragstellern wird für das Klageverfahren (Az.: M 13 K 16.32206) und das Eilverfahren (Az.: M 13 S 16.32242) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … … gewährt.

Gründe

I.
Die Antragsteller, nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige, stellten am 21. März 2016 Asylanträge. Mit Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wurden die Antragsteller mit Schreiben vom 8. Juli 2016, zugestellt am 13. Juli 2016, für den 14. Juli 2016 um 8.00 Uhr zur persönlichen Anhörung geladen. Das Schreiben enthielt folgenden Hinweis: „Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher rechtzeitig Ihre Hinderungsgründe schriftlich dem Bundesamt mitgeteilt zu haben.“
Mit Bescheid vom 26. Juli 2016 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylanträge als zurückgenommen gelten und die Asylverfahren eingestellt sind. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass den Antragstellern der 14. Juli 2016 als Termin zur persönlichen Anhörung mitgeteilt worden sei. Sie seien jedoch ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Erschienen die Antragsteller ohne genügende Entschuldigung nicht zur Anhörung, werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG vermutet, dass sie die Verfahren nicht betrieben. Von einer gesonderten Aufforderung zur Stellungnahme zu eventuellen schutzwürdigen Belangen, die bei der Entscheidung zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots berücksichtigt werden könnten, sei gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG abgesehen worden. Der Bescheid wurde am 27. Juli 2016 zur Post gegeben. Ein Zustellnachweis ist den Behördenakten nicht zu entnehmen.
Die Antragsteller ließen durch ihren Bevollmächtigten am 10. August 2016 Klage erheben und beantragen, den Bescheid vom 26. Juli 2016 aufzuheben. Hilfsweise, den Bescheid vom 26. Juli 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren der Kläger fortzusetzen. Vorsorglich hilfsweise wird beantragt, den Bescheid vom 26. Juli 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Klägern subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes festzustellen. Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26. Juli 2016 anzuordnen.
Zur Begründung der Klage und des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO wird unter anderem ausgeführt, dass den Klägern die Bedeutung des Schreibens zunächst nicht klar gewesen sei. Sie hätten sich an die Asylsozialberatung des Roten Kreuzes gewendet, bei der sie erst am 18. Juli 2016 einen Termin erhielten. Am 18. Juli 2016 hätte das Bayerische Rote Kreuz den Klägern eine Mitteilung vorbereitet, in der auf die besonderen Umstände hingewiesen worden sei. Das Schreiben sei am gleichen Tag dem Bundesamt zugeleitet worden. Der Klage liegt ein Schreiben bei, indem bestätigt wird, dass die Antragsteller die Einladung zur Anhörung am 13. Juli gegen 13.00 Uhr erhalten hätten. Da die Antragsteller kein Deutsch sprächen und lesen könnten, sei die Reaktionszeit von weniger als 24 Stunden zu gering gewesen, um eine Fahrt nach … zu organisieren. Es werde daher um Entschuldigung gebeten und um die Zusendung eines neuen Termins. Das Schreiben enthält einen Übertragungsbericht des Faxgerätes, aus dem sich die Übertragung am 18. Juli um 16.40 Uhr ergibt. Der Klage liegt weiterhin ein Schreiben des Roten Kreuzes an das Bundesamt in … vom 4. August 2016 bei, in dem auf das vorerwähnte Fax Bezug genommen wird und dargelegt wird, dass der psychisch kranke Vater, der nicht ohne seine Familie leben kann, einen neuen Termin zu Anhörung erhalten habe, der Sohn und die Ehefrau des Sohnes (die Antragsteller) jedoch einen Bescheid zur Einstellung des Asylverfahrens bekommen hätten. Das Schreiben endet mit der Bitte, ob es möglich sei, dass der Familienverbund gemeinsam zum Anhörungstermin am 17. August in … erscheinen könne. Eine der Klage ebenfalls beiliegende e-mail des Bundesamtes vom 5. August 2016 führt bezüglich der Antragsteller aus, dass auf den Bescheid (vom 26. Juli 2016) verwiesen werde sowie insbesondere auf die dort beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:. Der Bevollmächtigte der Antragsteller trägt weiter vor, dass die Antragsteller auch kurzfristig nicht die finanzielle Möglichkeit gehabt hätten, die Reise nach … zu organisieren. Eine Klärung der Kostenübernahme beim Landratsamt sei am 13. Juli 2016 nicht mehr möglich gewesen. Zudem sei die Wahrnehmung des Termins deshalb nicht möglich gewesen, da, um den Termin um 8.00 Uhr in … wahrnehmen zu können, der Zug in … am Tag vorher um 23.45 Uhr abfahre. Eine entsprechende Auskunft der Deutschen Bahn liege bei.
Die Antragsgegnerin äußerte sich, abgesehen von der Aktenvorlage, nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet.
Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere wurde die Zweiwochenfrist des § 74 Abs. 1 1. Halbsatz AsylG eingehalten. Der Antrag ist statthaft, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 Abs. 1 AsylG).
Der Eilantrag ist auch begründet. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist die aufschiebende Wirkung u.a. dann anzuordnen, wenn sie – wie hier – in einem durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fall entfällt. Bei der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Der strengere Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist vorliegend nicht anzuwenden, da der angefochtene Bescheid nicht auf eine Unbeachtlichkeit oder offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags gestützt wird. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Dies ist hier der Fall.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Gemäß § 32 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Der Ausländer ist auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Fehlt eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein (Prof. Dr. R. F. und J. V., GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2016, § 33 Rn. 58).
Im hier zu entscheidenden Fall enthielt das Schreiben vom 8. Juli 2016, mit dem die Antragsteller zur persönlichen Anhörung geladen wurden, lediglich den Hinweis, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn sie zu diesem Termin ohne vorherige Mitteilung der Hinderungsgründe nicht erschienen. Eine Belehrung des Inhalts, dass bei Untätigkeit die Asylanträge als zurückgenommen gelten können, enthielt weder dieses Schriftstück noch sonst ein an die Antragsteller gerichtetes Schriftstück. Schon deshalb kann entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheids die Rücknahmefiktion nach § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 (2. Alternative) AsylG nicht eingetreten sein. Mangels Antragsrücknahme(fiktion) trifft auch die in Ziffer 1 Satz 2 des angefochtenen Bescheids enthaltene Feststellung nicht zu, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Antragsgegnerin hat deshalb nach derzeitiger Sach- und Rechtslage eine Sachentscheidung über die am 21. März 2016 gestellten Asylanträge der Antragsteller zu treffen.
Es sei darauf hingewiesen, dass selbst bei ordnungsgemäßer Belehrung die Antragsgegnerin das Verfahren hätte fortführen müssen, da ein ausreichender Entschuldigungsgrund nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG vorliegt und dieser auch nachgewiesen wurde (§ 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG). Zwar enthalten die Behördenakten das Schreiben der Antragsteller vom 18. Juli 2016 nicht, jedoch wird die Versendung durch den von den Antragstellern vorgelegten Übertragungsbericht belegt. Auch ist bei einer zugestellten Ladung am 13. Juli 2016 für einen Termin am 14. Juli 2016 um 8.00 Uhr, der nicht vor Ort stattfinden soll, sondern für die Antragsteller eine nicht unerhebliche Anreise beinhaltet, der vorgetragene Sachverhalt als Entschuldigungsgrund ausreichend. Das Bundesamt erhielt daher bereits vor Erlass des Bescheides Kenntnis vom Entschuldigungsgrund und hätte daher auch aus diesem Grund die Einstellung zu unterlassen gehabt bzw. den Einstellungsbescheid von Amt wegen aufheben müssen (Dr. Roland Fritz und Jürgen Vormeier, GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2016, § 33 Rn. 84).
Für ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts, also für eine Sachentscheidung über die teilweise in den Hilfsanträgen gestellten Verpflichtungsanträge der Klageschrift, ist kein Raum. Das Gericht darf mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheiden, vielmehr ist diese Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten (Dr. R. F. und J. V., GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2016, § 33 Rn. 91; BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 – NVwZ 2014, 158 ff. und juris Rn. 14).
III.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … … ist zulässig und begründet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Antragsteller haben die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Der Eilantrag der Antragsteller hat Erfolg und die erhobene Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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