Verwaltungsrecht

Nichtverfolgungsvermutung in Bezug auf den sicheren Herkunftsstaat Senegal

Aktenzeichen  M 17 K 16.31248

Datum:
28.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 29a
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 7
GG GG Art. 16a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Eine Anfechtungsklage gegen ein vom Bundesamt verhängtes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG ist unzulässig, da es die Rechtsstellung des Klägers nicht verbessern kann. Das Ziel einer kürzeren Befristung muss im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden. (redaktioneller Leitsatz)
Die Nichtverfolgungsvermutung in einem sicheren Herkunftsstaat kann nicht durch den Vortrag, man erhalte Morddrohungen durch die Familie der Freundin, erschüttert werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet (s. Schreiben v. 25.02.2016).
I.
Der Klageantrag Nr. 1, den Bescheid vom 23. Mai 2016 aufzuheben, ist unzulässig, soweit er sich gegen die Nr. 7 dieses Bescheids richtet (s.u. 1.), im Übrigen unbegründet (s.u. 2.).
1. In Nummer 7 des streitgegenständlichen Bescheids wird lediglich das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet. Der Antrag ist insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn die schlichte Aufhebung der Nr. 7 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung des Klägers wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196).
2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig (vgl. insbesondere zu Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 189), aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
2.1 Die Beklagte war befugt, über den Asylantrag des Klägers zu entscheiden. Zwar ist gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin III-VO) grundsätzlich Italien für die Antragsprüfung zuständig, da der Kläger wohl dessen Grenze illegal überschritten hat. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO regelt aber, dass jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO beschließen kann, einen bei ihm gestellten Antrag zu prüfen. In diesem Fall wird er zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 Dublin III-VO). Eine Verpflichtung der Beklagten, ein Übernahmeersuchen an Italien zu stellen, besteht daher nicht.
2.2 Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
2.3 Aber auch ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
a) Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i. S. d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
b) Das Heimatland des Klägers, Senegal, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Senegals als sicherer Herkunftsstaat bestehen jedoch nicht.
c) Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Er hat sich auf Morddrohungen der Familie seiner verstorbenen Freundin berufen. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.4 Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Abgesehen davon, dass der Vortrag des Klägers zu den Bedrohungen durch die Familie seiner Freundin sehr pauschal und unsubstantiiert ist, hätte er bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen. Insbesondere kann von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des senegalesischen Staates nicht ausgegangen werden. Der senegalesische Staat nimmt keine Repressionen Dritter hin, d. h. der Kläger könnte hier grundsätzlich Hilfe erlangen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 15.10.2014, S. 13; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 4 S 16.30549 – UA S. 7; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 2 S 16.30464 – UA S. 6; VG München, B. v. 22.3.2016 – M 15 S 16.30357 – UA S. 8; VG München, B. v. 10.3.2016 – M 21 S 16.30061 – UA S. 9; VG Augsburg, U. v. 22.5.2013 – Au 7 K 13.30106 – juris Rn. 16). Das Gericht teilt aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel daher die Einschätzung des Bundesamtes, dass der senegalesische Staat bei Bedrohungen, bei denen es sich – wie hier – um kriminelles Unrecht nichtstaatlicher Akteure handelt, in der Lage und auch willens ist, hinreichenden Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 und 2 AsylG).
2.2 Im Übrigen besteht in derartigen Fällen auch eine inländische Fluchtalternative (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG). Der Kläger kann durch die Verlegung seines Wohnsitzes in andere Landesteile Senegals, insbesondere in urbane Zentren, wo ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist und ihn nichtstaatliche Dritte, hier die Familie seiner Freundin, mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 21.11.2015, S. 12; VG Augsburg, B. v. 24.04.2013 – Au 7 S 13.30107; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 2 S 16.30464 – UA S. 6).
2.5 Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
2.6 Schließlich ist das auf § 11 Abs. 7 AufenthG gestützte befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
II.
Die Klageanträge unter Nrn. 2 und 3, die Beklagte zu verpflichten, unverzüglich ein Übernahmeersuchen an Italien für eine Überstellung zu stellen, sowie festzustellen, dass ein Übergang in ein nationales deutsches Verfahren nicht stattgefunden hat, sind ebenfalls unbegründet, da der Kläger ein derartiges Übernahmeersuchen nicht beanspruchen kann und die Beklagte von ihrer Entscheidungsbefugnis nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen unter I.2.1 verwiesen.
III.
Schließlich sind auch die hilfsweise gestellten Anträge (Nr. 4 der Klage) unbegründet, da der Kläger nicht asylberechtigt ist (s.o. I.2.2), die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden kann (s.o. I.2.3) und auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (s.o. I.2.4).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach seiner Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
mündliche Verhandlung beantragen.
Dem Antrag eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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