Verwaltungsrecht

Niederlassungserlaubnis, Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft, Nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels nicht rückwirkend, Eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten nicht bei Neuerteilung

Aktenzeichen  B 4 K 15.723

Datum:
21.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 140384
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 28 Abs. 2 AufenthG – § 7 Abs. 2 AufenthG – § 31 Abs. 1 AufenthG

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 10.09.2015 wird in Ziffer 2 aufgehoben, soweit darin die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf einen früheren Zeitpunkt als den 18.09.2015 befristet wurde.
Im Übrigen wird die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 10.09.2015 und 11.08.2016 abgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 80% und der Beklagte 20%. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I. Die Klagen gegen die Bescheide des Beklagten vom 10.09.2015 und 11.08.2016 sind zulässig, aber überwiegend unbegründet. Nur soweit in Ziff. 2 des Bescheids vom 10.09.2015 die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf einen früheren Zeitpunkt als den 18.09.2015 befristet wurde, war der Bescheid teilweise rechtswidrig und insoweit aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen waren die Bescheide rechtmäßig und die Klagen abzuweisen
1. Die Ziff. 1 des Bescheids vom 10.09.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
Als Rechtsgrundlage für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis kommt lediglich § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist dem Ausländer in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsgrund vorliegt und er sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Voraussetzung ist, dass der Ausländer über den Zeitraum von drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ist. Dies folgt zum einen aus der systematischen Stellung der Vorschrift und zum anderen aus der damit verbundenen zu erwartenden Integration. Mithin bedarf es für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG neben des Fortbestands der familiären Lebensgemeinschaft zum Erteilungszeitpunkt auch eines mindestens dreijährigen Bestandes der familiären Lebensgemeinschaft. Die Erteilungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 AufenthG müssen dabei nicht vorliegen, da es sich bei § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG um eine vorrangige Sonderregel handelt.
Das Erfordernis des Fortbestehens der ehelichen Lebensgemeinschaft ist im Lichte des Art. 6 GG zu sehen. Gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis durch Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 des GG erteilt und verlängert. Eine eheliche Lebensgemeinschaft liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn der Ausländer und sein Ehegatte erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben oder zusammenleben wollen und die engen persönlichen Beziehungen innerhalb dieser Beistandsgemeinschaft sich durch einen Mindestbestand von für eine Lebensgemeinschaft typischen Gemeinsamkeiten, wie durch das Vorliegen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes, manifestieren. Fehlt ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt, im Regelfall also eine einzige gemeinsame Wohnung, in der die Eheleute in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, muss eine vom Willen beider Ehepartner getragene, auf einem gemeinsamen Lebensentwurf und dem Willen zur umfassenden gegenseitigen Beistandsleistung beruhende enge persönliche Beziehung, die über einen längeren Zeitraum hinweg im Gesamtverhalten der Eheleute erkennbar werden muss, vorhanden sein (BayVGH vom 11.06.2013 – 10 B 12.1493, juris Rn. 22; und vom 20.08.2003 – 10 ZB 03.1598, juris Rn. 4).
Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers und seiner getrennt lebenden Ehefrau als Zeugin in der mündlichen Verhandlung sowie des Inhalts der Behördenakte steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nach dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung im April 2014 beendet war und bis zum endgültigen Abbruch der Beziehungen im Dezember 2015 nicht wieder aufgenommen wurde.
Die Zeugin hat angegeben, sie sei zu Ostern 2014 für wenige Tage zu ihrer Mutter gezogen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich eine andere Unterkunft zu suchen. Sie habe es mit ihm nicht mehr ausgehalten, habe sich beleidigt und hintergangen gefühlt. Sie habe Abstand gebraucht. Danach sei sie eine Woche in Urlaub gefahren um über alles nachzudenken.
Diese von der Ehefrau ausgehende Trennung, die sie auch so ernst genommen hat, um der Ausländerbehörde davon Mitteilung zu machen (auf Band gesprochen am 28.04.2014) stellt das Ende der ehelichen Lebensgemeinschaft dar. Die in den folgenden Monaten wieder aufgenommenen Kontakte erfüllen nicht die Anforderungen an eine Wiederaufnahme dieser Lebensgemeinschaft im Sinne einer „durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung mit einem gemeinsamen Lebensentwurf“.
Die von der Zeugin geschilderte Wiederannäherung, die gegenseitigen Besuche in der Wohnung des jeweils anderen – auch mit Übernachtungen und intimen Kontakten – sowie sonstige gemeinsame Freizeitunternehmungen, Unterstützung mit Geldleistungen, Krankenhausbesuche, etc. gehen nicht über das hinaus, was auch bei einer nichtehelichen Beziehung vorkommt. Die Zeugin hat nicht erwähnt, dass sie ein erneutes Zusammenziehen mit dem Kläger in Betracht gezogen hätte. Vielmehr hat sie erklärt, wenn man verheiratet sei, könne man nicht gleich alles hinschmeißen; mit zwei getrennten Wohnungen sei es besser gegangen, weil der Abstand gewahrt geblieben sei. Sie hat in dieser Zeit gegenüber der Behörde auch keine Erklärung zur ehelichen Lebensgemeinschaft abgegeben, obwohl ihr die Unsicherheit des Aufenthaltsrechts des Klägers bewusst sein musste.
Der Zeitraum von April 2014 bis Dezember 2015 kann somit allenfalls als Überlegungsphase hinsichtlich einer Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft, nicht aber als Wiederaufnahme selbst gesehen werden. Für das Beibehalten der zwei Wohnungen gab es keine sachlichen Gründe, außer den ehelichen Unvereinbarkeiten, die letztlich zum endgültigen Abbruch der Beziehungen geführt haben.
Zusammenfassend lässt sich deshalb festhalten, dass unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zur Überzeugung der Kammer die eheliche Lebensgemeinschaft nur vom 03.12.2011 bis April 2014 und damit nicht über einen Zeitraum von drei Jahren ordnungsgemäß im Bundesgebiet bestanden hat. Sie bestand insbesondere nicht mehr, als der Kläger am 23.02.2015 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt hat, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 2 AufenthG nicht gegeben sind.
Für eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG fehlt es dem Kläger an einem fünfjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.
2. Soweit in Ziff. 2 des Bescheids vom 10.09.2015 die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich rückwirkend auf den 28.04.2014 befristet wurde, hat die Klage teilweise Erfolg.
Zwar hat der Beklagte zu Recht gemäß § 7 Abs. 2 Satz AufenthG nachträglich die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis des Klägers verkürzt (a) und das ihm eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt (b), allerdings wäre die Verkürzung nur auf den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides rechtmäßig gewesen und nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft (c).
(a) Ist eine für die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sind das Interesse des Ausländers, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts gegeneinander abzuwägen. Keine Bedeutung für die Ermessensentscheidung hat dabei das Interesse des Ausländers an einem Verbleib in Deutschland über die ursprüngliche Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis hinaus (BVerwG, U. v. 09.06.2009 – 1 C 11/08 – juris Rn. 15).
Nachdem der Kläger und seine Ehefrau – wie oben ausgeführt – im April 2014 die eheliche Lebensgemeinschaft beendet haben und die Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet der Aufenthaltszweck war, aufgrund dessen der Beklagte dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt und bis zum 01.09.2016 verlängert hatte, ist die tatbestandliche Voraussetzung für die nachträgliche Verkürzung erfüllt.
(b) Der Beklagte hat das ihm durch § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen gemäß dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt. Er hat dabei zu Recht auf das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände abgestellt, das in § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit der Möglichkeit der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer zum Ausdruck kommt, sowie darauf, dass der Kläger durch Verschweigen der Trennung und Angabe der Ehewohnung als Anschrift versucht hat, eine ihm nicht zustehende Niederlassungserlaubnis zu erlangen. Demgegenüber hat der Kläger keine gewichtigen Gründe für einen vorläufigen weiteren Verbleib in Deutschland vorgetragen, sondern nur wortreich ausgeführt, weshalb er die eheliche Lebensgemeinschaft als fortbestehend ansieht. Der Beklagte hat deshalb die ausschließlich in Betracht kommenden beruflichen und finanziellen Interessen des Klägers zu seinen Gunsten berücksichtigt und ist in nicht zu beanstandender Weise von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen ausgegangen.
(c) Allerdings darf die nachträgliche zeitliche Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nicht rückwirkend verfügt werden (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, Rn. 46 zu § 7 AufenthG: „Nachträglich bedeutet nicht rückwirkend“). Sie kann frühestens auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (der Befristung) festgelegt werden. Dies ist hier die Bekanntgabe des Bescheids an den Bevollmächtigten des Klägers, die laut Empfangsbekenntnis am 18.09.2015 erfolgt ist. Dem entspricht auch Nr. 7.2.2.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AVV-AufenthG, GMBl. 2009, S. 939), an die der Beklagte in seiner Verwaltungspraxis gebunden ist.
Nur soweit in Ziff. 2 des Bescheids vom 10.09.2015 die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf einen früheren Zeitpunkt als den 18.09.2015 befristet wurde, war der Klage statt zu geben und der Bescheid vom 10.09.2015 teilweise aufzuheben.
3. Hinsichtlich der Nebenentscheidungen in Ziffern 3 und 4 des Bescheids vom 10.09.2015 (Ausreisefrist, Abschiebungsandrohung) bestehen keine Bedenken.
4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Die Ziff. 1 des Bescheids vom 11.08.2016 ist rechtmäßig.
(a) Aufgrund der seit April 2014 beendeten und seither nicht wieder aufgenommenen ehelichen Lebensgemeinschaft (siehe oben 1.) kommt weder eine Verlängerung noch eine Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht.
(b) Auch auf eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG besteht kein Anspruch. Ein Recht auf Verlängerung nach § 31 Abs. 1 AufenthG scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger aufgrund der wirksamen nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis ab dem 18.09.2015 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war und somit eine „Verlängerung“ begrifflich nicht möglich ist. Auf eine Neuerteilung findet § 31 AufenthG aber keine Anwendung. Im Übrigen läge die Voraussetzung für ein einjähriges eigenständiges Aufenthaltsrecht des ausländischen Ehegatten nach Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift, dass die eheliche Lebensgemeinschaft vor ihrer Aufhebung mindestens drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat, nicht vor, da der erforderliche Dreijahreszeitraum erst mit Ablauf des 03.12.2014 erfüllt gewesen wäre, die maßgebliche Trennung der Eheleute aber schon im Laufe des April 2014 erfolgt ist.
II. Da der Kläger teils obsiegt, teils unterliegt, sind die Kosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO verhältnismäßig zu teilen.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.

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