Verwaltungsrecht

Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren

Aktenzeichen  Au 2 K 16.13

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Beklagte wird unter Aufhebung der Nr. 4 des Widerspruchsbescheids des Polizeipräsidiums … vom 7. Oktober 2015 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat Anspruch darauf, die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung der Ziffer 4 des Widerspruchsbescheids des Polizeipräsidiums … vom 7. Oktober 2015 die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären. Die in Ziffer 4 des Widerspruchsbescheids des Polizeipräsidiums … insoweit getroffene Ablehnungsentscheidung konnte daher keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 79 Abs. Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
Mit der Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Widerspruchsverfahrens hat die Beklagte zugleich darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war (Art. 80 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG).
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, U. v. 28.4.2009 – 2 A 8.08 – NJW 2009, 2968 = BayVBl 2009, 735; B. v. 21.8.2003 – 6 B 26.03 – NVwZ-RR 2004, 5; B. v. 14.1.1999 – 6 B 118.98 – NVwZ-RR 1999, 357).
Bei der Anfechtung einer periodischen dienstlichen Beurteilung durch den betroffenen Beamten ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts grundsätzlich nicht unvernünftig und entspricht angesichts der Bedeutung einer periodischen Beurteilung für das berufliche Fortkommen eines Beamten eher der Regel als der Ausnahme (s. auch BVerwG, U. v. 28.4.2009 a. a. O.). Sie ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Sachverhalt tatsächliche und rechtliche Fragen aufwirft, die sich nicht ohne weiteres beantworten lassen. Zwar mag es Fälle geben, in denen die Fehlerhaftigkeit der Beurteilung aus Umständen herzuleiten ist, die offensichtlich sind und in denen es deshalb keiner Zuziehung eines Rechtsanwalts bedarf (z. B. versehentliche Nichtberücksichtigung eines Beurteilungsbeitrags, Schreib- oder Rechenfehler bei der Bildung der abschließenden Gesamtnote). Im vorliegenden Fall lagen aber keine derartigen Fehler vor. Der zur Aufhebung der dienstlichen Beurteilung führende Mangel lag hier darin, dass die vertretungsweise tatsächlich länger als sechs Monate ausgeübte Führungsfunktion des Klägers als Dienstgruppenleiter unberücksichtigt geblieben ist und daher bei der dienstlichen Beurteilung von anderen doppelt gewichteten Einzelmerkmalen auszugehen war. Dabei handelt es sich nicht um einen offensichtlichen Fehler, da diese Konstellation weder in den gesetzlichen Bestimmungen noch in den allgemeinen Beurteilungsrichtlinien (Abschnitt 3 VV-BeamtR) geregelt ist. Vielmehr wird diese Verfahrensweise mittels Ministerialschreiben vorgegeben. Gegen die Offensichtlichkeit des Fehlers spricht auch, dass er während des gesamten Beurteilungsverfahrens keinem der beteiligten Vorgesetzten aufgefallen ist.
Dass der Kläger vom 18. bis 22. November 2013 das Fortbildungsseminar „Führungstraining DGL“ besucht hat, in dem auch das Beurteilungsrecht besprochen und den Teilnehmern hierzu ein umfangreiches Skript ausgehändigt wird, führt nicht dazu, dass dem Kläger das Recht, einen Rechtsanwalt im Vorverfahren zuzuziehen, abgesprochen werden kann. Zum einen handelt es sich bei der Materie des Beurteilungsrechts um ein relativ komplexes Geflecht aus gesetzlichen Vorschriften, Richtlinien und allgemeinen Weisungen, das nur rudimentär normativ, aber in großem Umfang durch Richtlinien bzw. Ministerialschreiben geregelt ist und häufigen rechtlichen Änderungen unterliegt, so dass auch die 2013 erworbenen Kenntnisse dem Kläger keine sichere Bewertung der Rechtslage zum Beurteilungsstichtag Mai 2015 ermöglichten. Zum anderen war aus der Sicht des Beamten nicht auszuschließen, dass die Beurteilung auch an einem Fehler leidet, der sich aus den im Rahmen der Fortbildung erworbenen Kenntnissen zum Beurteilungsverfahren nicht erschließt. Schließlich kann auch nicht erwartet werden, dass Polizeivollzugsbeamte der 3. QE generell über fundierte Kenntnisse im Beurteilungsrecht verfügen, die erwarten lassen, dass ihnen eine zuverlässige Einschätzung der Rechtmäßigkeit einer periodischen dienstlichen Beurteilung möglich ist. Dies kann allenfalls in Einzelfällen angenommen werden, der Regel dürfte es jedoch nicht entsprechen. Deshalb ist im Grundsatz, von dem hier abzuweichen kein Anlass besteht, davon auszugehen, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren, das die Überprüfung einer periodischen dienstlichen Beurteilung zum Gegenstand hat, notwendig ist (so auch VG Ansbach, U. v. 5.7.2011 – AN 1 K 11.00632 – juris Rn. 74 ff.; siehe auch VG Würzburg, U. v. 22.2.2011 – W 1 K 10.904 – juris Rn. 36).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124, § 124a VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 550,- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

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