Aktenzeichen S 46 AS 372/15
SGB II SGB II § 43
SGB X SGB X § 50
Leitsatz
1. Nur bei Gegenseitigkeit von Gegenforderung der Behörde (hier Erstattungsforderung) und Hauptforderung des Leistungsempfängers (hier laufendes Arbeitslosengeld II) ist eine Aufrechnung nach § 43 SGB II möglich. Eine Verrechung mit Gegenforderungen einer anderen Behörde (so § 52 SGB I) gestattet § 43 SGB II nicht.
2. Eine Aufrechnung einer Gegenforderung einer anderen gemeinsamen Einrichtung eröffnet § 43 SGB II nicht. Dies gilt auch für eine Teilaufrechnung, soweit eine Erstattungsforderung auf die Bundesagentur für Arbeit als Träger der gemeinsamen Einrichtung entfällt.
Tenor
I. Der Bescheid vom 5. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Aufrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb aufzuheben.
Gegenstand der statthaften Anfechtungsklage ist der Aufrechnungsbescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015.
1. Rechtsgrundlage des Aufrechnungsbescheids ist § 43 SGB II. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II können Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche des Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter anderem mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X aufrechnen. Die Aufrechnung ist durch Verwaltungsakt zu erklären, § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II.
a) Eine Aufrechnung nach § 43 SGB II kann nur erfolgen, wenn die aufrechnende Behörde über eigene Gegenforderungen, hier Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X, verfügt. Nur bei Gegenseitigkeit beider Forderungen, der Gegenforderungen der Behörde und der Leistungsforderungen des Hilfebedürftigen (sog. Hauptforderung), ist eine Aufrechnung möglich. Eine Verrechnung, wie sie § 52 SGB I eröffnet, also mit Gegenforderungen eines anderen Leistungsträgers, gestattet § 43 SGB II nicht (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 43 Rn. 15, 16; Hauck/Noftz, SGB II § 43 Rn. 63).
Weil es sich bei der Gegenforderung, hier Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 SGB X, um Forderungen einer anderen gemeinsamen Einrichtung – des Beigeladenen – handelt, fehlt es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Gegenforderung im Ganzen.
b) Auch eine „Teilaufrechnung“ für den Teil der Erstattungsforderung, der auf die Bundesagentur für Arbeit entfällt, ist, zumindest hier, nicht möglich.
Für die Möglichkeit einer derartigen Teilaufrechnung spräche, dass der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs. 1 S. 2 SGB II nur eine Aufgabenwahrnehmung obliegt, es entsteht keine eigene originäre Gesamtträgerschaft (Weißenberger in Eicher, a.a.O., Rn. § 44b Rn. 14). Inhaber der Erstattungsforderung bleibt demnach die BA, soweit diese etwa aus der Rückforderung einer Leistung für den Regelbedarf stammt. Es ist dann denkbar, dass die gemeinsame Einrichtung die Teilaufrechnung für diese Teilerstattungsforderung der BA erklären könnte.
Gegen eine Teilaufrechnung zugunsten der BA spricht aber, dass eine Erstattungsforderung nicht nach den Leistungsanteilen die BA und der Kommune aufgeteilt werden muss (BSG, Urteil vom 07.07.2011, B 14 AS 153/10 R, Rn. 37). Gleiches gilt für die Aufhebungsentscheidung (BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 196/11 R, Rn. 17). Dann lässt sich für den Betroffenen nicht mehr erkennen, welcher Teil der Erstattungsforderung der BA zugeordnet werden kann. Dann scheidet eine Teilaufrechnung aus, weil der aufrechenbare Teil der Gegenforderung nicht bestimmbar ist.
Außerdem dürfte der Gegenforderung der BA auf Erstattung nur die Hauptforderung des Leistungsempfängers gegen die BA gegenübergestellt werden. Wenn eine Teilaufrechnung gegen eine Hauptforderung gegen den kommunalen Träger erfolgen würde, würde es erneut an der Gegenseitigkeit fehlen. Eine derartige Regelung enthält der strittige Bescheid aber nicht. Dort wird generell gegen die laufenden Geldleistungen aufgerechnet.
Weiter spricht gegen eine Teilaufrechnung, dass Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II dem Grunde nach eine einheitliche Geldleistung mit einheitlichen Voraussetzungen und einheitlicher Berechnung ist. Die Aufteilung in einen BA-Teil und einen kommunalen Teil ist nur in eingeschränkten Umfang möglich. Die Aufzählung von Regelbedarf, Mehrbedarf und Bedarf für Unterkunft und Heizung in § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II ist keine Definition selbständiger Teilleistungen, sie dient vor allem der Abgrenzung zu anderen Leistungsformen nach §§ 24, 26 und 27 SGB II, die gerade nicht als Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld gelten sollen. Soweit das BSG in ständiger Rechtsprechung eine vom Kläger zu veranlassende Aufteilung des Streitgegenstands in Unterkunftskosten und BA-Bedarfe zulässt (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, Rn. 18 ff), ist dies nicht auf die Aufrechnung zu übertragen.
2. Die Voraussetzungen einer Verrechnung nach § 52 SGB I liegen hier nicht vor, weil diese wegen der dortigen Verweisung auf § 51 SGB I nur möglich wäre, wenn die Ansprüche des Leistungsempfängers auf Geldleistungen pfändbar wären. Arbeitslosengeld II, das der Sicherung des Existenzminimums dient, ist aber nicht pfändbar (Eicher, a.a.O., § 43 Rn. 19 mit Hinweis auf verschiedene Begründungswege; nunmehr ausdrücklich seit 01.08.2016 in § 42 Abs. 4 S. 1 SGB II geregelt). Dahinstehen kann daher, ob eine derartige Auswechslung der Begründung bei einem Ermessensverwaltungsakt überhaupt möglich wäre (ablehnend Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 36; befürwortend Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 10 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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