Verwaltungsrecht

Nutzungsuntersagung wegen formeller Illegalität einer Schank- und Speisewirtschaft

Aktenzeichen  M 8 S 17.1248

Datum:
31.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 8

 

Leitsatz

1 Besteht für den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft keine vollziehbare Baugenehmigung mehr, weil das Gericht die aufschiebende Wirkung von Nachbarklagen angeordnet hat, kann die Nutzung bereits wegen dieser formellen Illegalität untersagt werden. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da sich durch einen die Identität des genehmigten Bauvorhabens wahrenden Änderungsbescheid die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Nachbarklage nicht erledigt, muss der Bauherr einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellen, wenn er von der geänderten Baugenehmigung Gebrauch machen will. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung wird abgelehnt.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung im Verfahren M 8 S 17.1248 vorbehalten

Gründe

In dringenden Fällen – ein solcher steht vorliegend mit Blick auf den offenbar vorgesehenen Betrieb der Gaststätte der Antragstellerin am Wochenende 31. März bis 2. April 2017 inmitten – kann der Vorsitzende bzw. vor dem Hintergrund des allseits telefonisch erteilten Einverständnisses der Beteiligten (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) vorliegend der Berichterstatter eine Zwischenentscheidung treffen (§ 80 Abs. 8 VwGO).
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist voraussichtlich unbegründet.
Die vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 und 8 VwGO anzustellende originäre Ermessensbestätigung fällt zulasten der Antragstellerin aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass die mit der streitgegenständlichen Verfügung ausgesprochene Nutzungsuntersagung die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Antragsgegnerin hat jedenfalls im Ergebnis voraussichtlich zu Recht in Nummer 1 des streitbefangenen Bescheids vom 23. März 2017 eine Nutzungsuntersagung der Schank- und Speisewirtschaft im Erd-geschoss und Untergeschoss sowie der Nebenräume im 1. Obergeschoss des Anwesens …straße … als Vergnügungsstätte, zum Beispiel in Form einer Diskothek mit lauter Musikbeschallung durch DJ-Veranstaltungen oder Tanz, ausgesprochen.
Unabhängig von den von der Antragsgegnerin angestellten rechtlichen Erwägungen konnte von ihr jedenfalls im Ergebnis in voraussichtlich rechtmäßiger Weise die verfügte Nutzungsuntersagung gemäß Art. 76 Satz 2 BayBO unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erlassen werden.
Die Antragstellerin verfügt aufgrund der Beschlüsse der Kammer vom 16. Dezember 2015 (M 8 SN 15.4541) und vom 8. Februar 2017 (M 8 SN 17.299), die jeweils die aufschiebende Wirkung der Nachbarklagen (vgl. dazu die den Klagen stattgebenden und die Baugenehmigungsbescheide der Antragsgegnerin vom 12. April und 13. Mai 2016 aufhebenden Urteile M 8 K 16.1795 und M 8 K 16.2281) angeordnet haben, für den Betrieb ihrer Schank- und Speisewirtschaft über keine vollziehbare Baugenehmigung mehr. Vor dem – von beiden Beteiligten offenbar indes bisher nicht gesehenen – Hintergrund der derzeitigen formellen Illegalität, die grundsätzlich als solches bereits für eine Nutzungsuntersagung ausreicht (vgl. statt vieler Decker in Simon/Busse, BayBO Stand August 2016, Art. 76 Rn. 282 und 284 m.w.N.), dürfte die Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin, die zugunsten der Antragstellerin wohl sogar von der teilweisen baurechtlichen Zulässigkeit des Betriebs der Schank- und Speisewirtschaft in einem solchem Umfang ausgeht, ausreichend tragfähig sein. Die gegen den vorstehend genannten Beschluss der Kammer vom 8. Februar 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerde (2 CS 17.401) hat gemäß § 149 Abs. 1 VwGO ihrerseits keine aufschiebende Wirkung.
Im Lichte der bislang nicht behördlich geprüften Frage, ob die nunmehr zum maßgeblichen Gegenstand des Tekturantrags vom … März 2017 gemachte Reduktion des maximalen Innenschallpegels um weitere 3 dB(A) zur Wahrung des Immissionsschutzes und damit zur Wahrung des Gebots der Rücksichtnahme – neben der ebenfalls zentral inmitten stehenden, offenen Frage der Wahrung des Gebietscharakters und auch der Kategorisierung des Betriebs der Antragstellerin seiner Art nach ausreichend ist, sowie mit Blick auf die Maßgaben des im Nachfolgenden noch zu erörternden Verwaltungsprozessrechts ist die Untersagung des Vergnügungsstättenbetriebs tatbestandlich wie auch auf Rechtsfolgenseite voraussichtlich ausreichend tragfähig. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, die im Rahmen der Ermessensbetätigung Berücksichtigung finden müsste (vgl. Decker in Simon/Busse, aaO Rn. 303 f.), steht somit nicht erkennbar inmitten.
In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der die Kammer in ihrer ständigen Rechtsprechung folgt, ist anerkannt (vgl. B.v. 9.5.2016 – 2 AS 16.420 – juris; B.v. 22.1.2013 – 1 CS 12.2709 – juris), dass sich durch einen die Identität des genehmigten Bauvorhabens wahrenden Änderungsbescheid weder der Beschluss, mit dem einem Antrag des Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Baugenehmigung in ihrer ursprünglichen Fassung stattgegeben wurde, noch dieser Antrag selbst erledigt. Dies hat zur Folge, dass, wenn der Bauherr – hier also die Antragstellerin – erreichen will, dass er von der (geänderten) Baugenehmigung Gebrauch machen darf bzw. hier ein zu tektierender Betriebsum-fang von ihm noch im Wege des Baugenehmigungsverfahrens angestrebt wird, er auch einen Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO mit dem Ziel der nunmehrigen Ablehnung des zunächst erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen muss. Dies ist vorliegend nicht geschehen und gilt aber umso mehr, weil die Antragstellerin mit dem am 9. März 2017 bei der Antragsgegnerin eingegangen Antrag erstmals eine Textur zur Änderungsgenehmigung vom 13. Mai 2016 mit einem reduzierten Innenmaximalpegel von 92 dB(A) beantragt hat, über die jedoch von der Antragsgegnerin noch nicht entschieden ist.
Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in Nummer 2 des streitbefangenen Bescheids dürfte keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen. Es ist nach vorläufiger Rechtsauffassung des Gerichts voraussichtlich nicht zu beanstan den, wenn die Antragsgegnerin die zur Gaststätte der Antragstellerin anhängigen Verwaltungsstreitsachen zum Anlass nimmt, insoweit einem Vergnügungsstättenbetrieb bzw. entsprechenden Immissionen auf die Nachbarschaft entgegenzuwirken. Dies gilt umso mehr deswegen, weil die Antragstellerin nunmehr ausdrücklich angibt, sich mit dem Bestand formell illegaler Vergnügungsstätten im streitgegenständlichen Innenstadtbereich gerade nicht abgefunden zu haben (vgl. Bescheid vom 23.3.2017, S. 4 f.). Vor diesem Hintergrund ist sodann auch gegen die Zwangsgeldandrohung in Nummer 3 des Bescheids voraussichtlich nichts zu erinnern.
Die Kostenentscheidung bleibt ebenso wie die Streitwertfestsetzung der abschließenden Entscheidung im vorliegenden Verfahren vorbehalten.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen