Verwaltungsrecht

Obdachlosenunterbringung – Zuweisung einer bestimmten Unterkunft

Aktenzeichen  M 22 E 17.5822

Datum:
9.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34593
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die sicherheitsrechtliche Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (vgl. BayVGH BeckRS 2012, 57203 Rn. 5); die Zuweisung einer bestimmten Unterkunft kann grundsätzlich nicht verlangt werden, sie kommt nur dann in Betracht, wenn auf andere Art eine menschenwürdige Unterbringung nicht gewährleistet werden kann. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist einer Sicherheitsbehörde nicht zuzumuten, mit Blick auf stetig steigende Obdachlosenzahlen dringend benötigten Notquartierswohnraum wegen eines zugebilligten, aber ohne sachlichen Grund nicht zeitnah vollzogenen Umzugs über Gebühr leer stehen zu lassen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Umverlegung innerhalb einer Obdachlosenunterkunft nebst Tausch des Zimmerschlosses.
Er ist bei der Antragsgegnerin seit 4. Mai 2016 als wohnungslos registriert und wurde von ihr zunächst im Männerwohnheim in der … in M. untergebracht.
Am 10. März 2017 bezog der Antragsteller das Zimmer … im Notquartier in der … Im April 2017 wurde der Antragsteller auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin innerhalb der Unterkunft in das Doppelzimmer Nr. … verlegt, wobei (wie schon bei seinem Einzug in das Notquartier) wunschgemäß das Zimmerschloss ausgetauscht worden war.
Am 13. Dezember 2017 beantragte der Kläger zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm umgehend einen Umzug von dem Doppelzimmer … in das Doppelzimmer … in der Notunterkunft … zu ermöglichen und schnellstmöglich den Schließzylinder an der Zimmertür … auszuwechseln.
Zur Begründung seines Antrags brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor, er leide unter Depressionen und Bluthochdruck. Sein gegenwärtiger Mitbewohner lasse oft den Fernseher laut laufen, so dass er, der Antragsteller, sich nicht entspannen könne. Auf seine Bitten um rücksichtsvolleres Verhalten reagiere der Mitbewohner nicht, sondern sei gereizt und ungehalten. Er habe bei der Antragsgegnerin bzw. der Einrichtungsleitung vor Ort daher mehrmals um eine erneute Verlegung in ein anderes Zimmer nachgesucht. Mit dem Bewohner des Zimmers … verstehe er sich gut. Ihm sei daraufhin zwar ein Umzug in das Zimmer … in Aussicht gestellt worden, jedoch sei ein erneuter Schlossaustausch verweigert worden. Ein solcher sei aber erforderlich, da der frühere Mitbewohner im Zimmer … als spielsüchtig gelte und sich bei seinem Auszug aus dem Zimmer möglicherweise einen Nachschlüssel gemacht habe, um mit dessen Hilfe eines Tages im Zimmer … zur Finanzierung seiner Spielsucht „Reibach“ zu machen. Eine Verlegung sei dringlich, ein weiteres Zuwarten sei ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2017, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte sie aus, sie sei ihrer sicherheitsrechtlichen Unterbringungsverpflichtung hinreichend nachgekommen, indem sie den Antragsteller zunächst in der … und im Anschluss hieran im Notquartier in der … untergebracht habe. Dort habe man den Antragsteller nach vier Wochen auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin vom Zimmer … in das Zimmer … zu seinem jetzigen Mitbewohner umverlegt, wobei dieser Umzug mit einigem organisatorischen Aufwand verbunden gewesen sei und sich auch über einige Zeit hingezogen habe. Der Antragsteller habe mehrmals – auch schriftlich – aufgefordert werden müssen, seinen vorherigen Bettplatz im Zimmer … zu räumen. Die Vorwürfe gegen seinen nunmehrigen Mitbewohner seien nach Auskunft der zuständigen Mitarbeiterin auch nicht gerechtfertigt. Ein dem Antragsteller gleichwohl zugestandener Umzug in das Zimmer … sei aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen trotz wiederholter Aufforderung erneut nicht zeitnah erfolgt, eine mehrmalige Blockade von zwei Betten der Antragsgegnerin aber nicht zumutbar. Der Antragsteller sei daher am 6. Dezember 2017 darüber informiert worden, dass sein angedachter Umzug aufgrund der aufgetretenen Verzögerungen und Schwierigkeiten nicht mehr möglich sei. Der Schlüssel für Zimmer …, der dem Antragsteller bereits am 21. November 2017 ausgehändigt worden sei, sei wieder verlangt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen. Dabei hat der Antragsteller sowohl den aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), als auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Vorliegend fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Ein Anspruch auf die Zuweisung des Zimmers … in der vom Antragsteller bewohnten Unterkunft sowie einen damit verbundenen Schlössertausch ist auf der Grundlage des Vorbringens des Antragstellers nicht ersichtlich.
Die von der Antragsgegnerin als zuständiger Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5). Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.7.2005 – 4 C 05.1551). Dabei steht der Sicherheitsbehörde bei der Auswahl der konkreten Unterkunft ein weites Ermessen zu. Der Betroffene kann grundsätzlich nicht verlangen, in einer bestimmten, von ihm gewünschten Unterkunft untergebracht zu werden. Die Zuweisung einer bestimmten Unterkunft kommt aufgrund der vorstehenden Erwägung nur dann in Betracht, wenn auf andere Art eine menschenwürdige Unterbringung nicht gewährleistet werden kann.
Dies ist vorliegend jedoch nicht hinreichend dargetan. Die Antragsgegnerin hat den Anspruch des Klägers auf obdachlosenrechtliche Unterbringung gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG durch die Zuweisung des Bettplatzes … im Notquartier in der … … erfüllt. Mit Blick auf den Zweck der Obdachlosenfürsorge ist die Unterbringung in diesem Zimmer zur Beseitigung der infolge Obdachlosigkeit drohenden konkreten Gefahren ausreichend. Es ist vom Antragsteller nicht hinreichend dargelegt, dass das zugewiesene Doppelzimmer den Mindestanforderungen an eine Obdachlosenunterbringung nicht genügt und die zugewiesene Unterkunft so beschaffen ist, dass sie die Gesundheit des Klägers ernsthaft zu gefährden droht. Soweit sich der Kläger darauf beruft, sein Mitbewohner, zu dem er noch im April 2017 auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin umverlegt worden war, sei ihm zu laut und ungehalten, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, das der Beklagten zustehende weite Ermessen bei der Zuweisung einer Unterkunft auf eine Umverlegung des Antragstellers, insbesondere in das von ihm gewünschte Zimmer …, einzuschränken. Die Antragsgegnerin führt im Rahmen der Antragserwiderung aus, die – eher pauschal gehaltenen – Vorwürfe des Antragstellers gegen seinen derzeitigen Mitbewohner seien nach Auskunft der zuständigen Mitarbeiterin vor Ort nicht gerechtfertigt. Dem ist der Antragsteller im Rahmen des Anordnungsverfahrens nicht entgegengetreten. Insoweit ist schon nicht glaubhaft dargetan, dass die vom Antragsteller geschilderten Spannungen zwischen ihm und seinem Mitbewohner derart gravierend sind, dass sie nur durch eine Umverlegung eines der beiden Mitbewohner gelöst werden könnten und nicht beispielsweise auch durch anderweitige Abhilfemaßnahmen, wie z.B. die Benutzung eines Kopfhörers beim Fernsehschauen.
Insbesondere aber ist nichts dafür ersichtlich, dass etwaigen Spannungen zwischen dem Antragsteller und seinem Mitbewohner nur durch eine Umverlegung des Antragstellers in explizit das von ihm beantragte Zimmer … begegnet werden könnte. Selbst wenn die sozialen Schwierigkeiten zwischen dem Antragsteller sich (im weiteren Verlauf) als so massiv erweisen sollten, dass eine Umverlegung geboten erscheinen würde, könnte die Antragsgegnerin dem auch durch Umverlegung des Antragstellers in ein anderes Zimmer als das Zimmer … oder in eine andere Unterkunft begegnen bzw. durch Umverlegung des störenden Mitbewohners in eine andere Unterkunft; dies zumal die Umverlegungskriterien der Antragsgegnerin vom 28. Juli 2017 für den Fall nicht zu lösender schwerwiegender Konflikte im Rahmen der jeweils vorhandenen Kapazitäten eine Umverlegung des jeweils verhaltensschwierigen Mitbewohners und nicht des Geschädigten vorsehen.
Ein Anspruch des Antragstellers auf Umverlegung in das Zimmer … ergibt sich weiter auch nicht daraus, dass sich die Einrichtungsleiterin des Notquartiers … … zunächst gleichwohl mit einem Umzug des Antragstellers in das Zimmer … einverstanden erklärt hat. Die Antragsgegnerin durfte, selbst wenn man in dem Zugeständnis ein der Antragsgegnerin zuzurechnendes bindendes Versprechen, eine Umverlegung vorzunehmen, sehen wollte, hiervon aufgrund des Eintritts sachlich rechtfertigender Gründe wieder abrücken, da der Antragsteller seinerseits den ihm zugebilligten Umzug trotz mehrfacher mündlicher Aufforderung ohne sachlichen Grund nicht zeitnah vollzogen hat. Insbesondere durfte der Antragsteller seinen Umzug nicht vom Tausch der Schlösser abhängig machen, da ein solcher Tausch auch angesichts des vom Antragsteller geschilderten Sachverhalts keinesfalls zwingend geboten ist. Der Antragsgegnerin wiederum ist es aber nicht zuzumuten, mit Blick auf die stetig steigenden Obdachlosenzahlen dringend benötigten Notquartierswohnraum über Gebühr leer stehen zu lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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