Verwaltungsrecht

Öffentliche Zustellung der Ausreiseaufforderung bei unbekanntem Aufenthalt

Aktenzeichen  M 9 S 17.1336

Datum:
29.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 60, § 74, § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Die bloße Behauptung, melderechtlich gemeldet gewesen zu sein, ist unglaubwürdig, wenn mehrfach gegenüber der Polizei keine Adresse angegeben wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller stammt aus Tunesien und wendet sich gegen den Bescheid des Landratsamts vom 16. Dezember 2016.
Der Antragsteller war zuletzt seit dem 9. Januar 2015 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zu seiner deutschen Ehefrau, die bis zum 15. Juli 2016 verlängert wurde. Der Antragsteller hat keinen Verlängerungsantrag gestellt und befindet sich derzeit ohne gültigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet. Nach eigenen Angaben läuft ein Scheidungsverfahren. Nach Angaben seiner Ehefrau wurde am 5. Oktober 2016 durch diese die Scheidung beantragt.
Der Antragsteller ist im Bundesgebiet ausweislich eines kriminalpolizeilichen Schlussvermerks vom 4. April 2017 41 Mal kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. Nach Aktenlage, unter anderem bei Beschuldigtenvernehmungen im Zusammenhang mit einem Ladendiebstahl am 17. Dezember 2016 und am 24. März 2017 war er zu diesem Zeitpunkt ohne festen Wohnsitz. Ausweislich des Entwurfs eines Strafbefehls im Zusammenhang mit Ladendiebstahl verfügt der Antragsteller über 3 Aliasidentitäten. Ausweislich der von ihm vorgelegten Meldebestätigung ist der Antragsteller mittlerweile seit dem 20. Februar 2017 in München gemeldet; diese Adresse gab er erst im Zusammenhang mit einer weiteren Anzeige wegen Ladendiebstahls bei seiner Vernehmung am 25. April 2017 an. Mit Beschluss vom 11. März 2016 hatte das Amtsgericht Ebersberg ein gerichtliches Kontaktverbot aufgrund des Gewaltschutzgesetzes gegen den Antragsteller angeordnet und die gemeinsame Ehewohnung seiner Ehefrau zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Er wurde unter der Anschrift seiner Ehefrau zum 10. März 2016 von Amts wegen abgemeldet.
Nach Anhörung, die bereits öffentlich zugestellt wurde, wurde der Antragsteller mit Bescheid vom 16. Dezember 2016 zur Ausreise bis zum 28. Februar 2017 unter Androhung der Abschiebung nach Tunesien aufgefordert. Für den Fall der Abschiebung wurde ein 3-jähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet. Der Antragsteller sei ausreisepflichtig, § 50 Abs. 1 AufenthG, da er nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei und die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet seit dem 10. März 2016 nicht mehr bestehe. Ein Verlängerungsantrag sei nicht gestellt worden. Der Aufenthalt des Antragstellers sei unbekannt. Der Bescheid wurde öffentlich zugestellt.
Mit Schreiben vom 25. März 2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 28. März 2017, erhob der Antragsteller Klage (M 9 K 17.1333) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO :
aufschiebende Wirkung.
Darüber hinaus begehre er Wiedereinsetzung, da ihm der verfahrensgegenständliche Bescheid erst im März 2017 zugeleitet wurde. Eine Anmeldebescheinigung liege vor. Trotzdem habe das Landratsamt „Aufenthalt unbekannt“ angenommen. Er sei immer noch verheiratet und müsse zur Scheidungsverhandlung anwesend sein, um seine Ansprüche wahrzunehmen. Er habe in Tunesien keine sozialen Bindungen mehr. Er befinde sich auf Arbeitssuche um die Scheidung zu finanzieren. Er wolle vor Gericht angehört werden.
Das Landratsamt beantragte,
Antragsablehnung.
Die Landeshauptstadt habe gemäß Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG schriftlich der Fortführung der Verwaltungsverfahren durch das Landratsamt zugestimmt. Der Antragsteller habe sich ausweislich der Bescheinigung erst am 20. Februar 2017 in München angemeldet. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht habe er nicht erworben, da die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu kurz bestand. Aus verschiedenen Strafanzeigen ergäbe sich, dass der Antragsteller nicht gemeldet war; dies habe ihm deshalb auch bekannt sein müssen. Im Übrigen habe der Antragsteller nach seiner Eheschließung im April 2006 7 ¼ Jahre und damit den überwiegenden Teil seiner Ehezeit in Tunesien gelebt. Auf mündliche Verhandlung werde verzichtet.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behördenakten sowie die Akte im Verfahren M 9 K 17.1333 Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist bereits wegen Verfristung der Klage in der Hauptsache unzulässig, da der Bescheid vom 16. Dezember 2016 wirksam öffentlich zugestellt wurde und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen. Ausweislich der Akten war der Antragsteller bis zu seiner Anmeldung im Februar 2017 unbekannten Aufenthalts. Unter anderem wurde in mehreren Beschuldigtenvernehmungen festgehalten, dass der Antragsteller ohne festen Wohnsitz sei. Sein Vortrag, er sei die ganze Zeit melderechtlich angemeldet gewesen, ist nach den vorgelegten Unterlagen nachweislich falsch, da die Bestätigung vom Februar 2017 stammt. Sein Vortrag, das Landratsamt habe gewusst, dass er angemeldet sei, ist in Anbetracht dessen, dass er bei zahlreichen polizeilichen Kontakten ebenfalls keine Adresse angegeben hat, unglaubwürdig. Da keine Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht wurden, war keine Wiedereinsetzung zu gewähren, § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 4 VwGO. Deshalb ist der Antrag wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, da wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung der Verwaltungsakt wirksam bekannt gegeben wurde, Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG).
Ohne dass es darauf ankommt wird darauf hingewiesen, dass der Antrag im Eilverfahren auch inhaltlich weder nach § 80 Abs. 5 VwGO noch nach § 123 VwGO Erfolg hätte, da gegen den Bescheid des Landratsamtes vom 16. Dezember 2016 keine rechtlichen Bedenken bestehen. Der Antragsteller ist zur Ausreise verpflichtet, da er keine wirksame Aufenthaltserlaubnis hat. Die ihm zum Ehegattennachzug erteilte Aufenthaltserlaubnis war bis zum 15. Juli 2016 befristet. Eine Verlängerung hat der Antragsteller nicht beantragt. Ein Verlängerungsantrag hätte auch keinen Erfolg, da die Ehe im Bundesgebiet keine 3 Jahre bestanden hat, § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, und das Scheidungsverfahren läuft. Der Antragsteller hat nach Aktenlage nach dem Gewaltschutzgesetz ein Kontaktverbot. Sonstige Gründe für ein Aufenthaltsrecht bestehen nicht. Deshalb ist der Antragsteller nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Die Abschiebung nach Tunesien wurde gestützt auf § 59 AufenthG, zu Recht angedroht, da der Antragsteller nach § 58 AufenthG mit der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nach Ablauf der Ausreisfrist abzuschieben ist. Abschiebungshindernisse sind keine erkennbar. Die Behauptung des Antragstellers, er müsse im Bundesgebiet bleiben und hier Arbeit suchen, um die Scheidung zu finanzieren, ist vor dem Hintergrund, dass er ausweislich des Schlussvermerks der Kriminalpolizei vom 4. April 2017 41 Mal kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten ist, weder ein stichhaltiger Grund noch glaubwürdig. Auch nach Klageerhebung bei Gericht ist eine weitere Anzeige wegen Ladendiebstahls am 25. April 2017 erfolgt.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.

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