Aktenzeichen Au 7 K 16.30203
Leitsatz
1. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG bei einem sieben- bis achtjährigen Aufenthalt im Heimatland bis zur Flucht, dem Nachgehen einer Arbeit und dem Fehlen jeglicher konkreter Bedrohung in diesem Zeitraum, sodass von einer „ausweglosen Lage“, die durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufen wurde und in einem nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zu einer Verfolgung steht, nicht ausgegangen werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine behauptete Verfolgung durch Moslems stellt keine „politische Verfolgung“ iSv § 3 ff. AsylG dar, sondern kriminelles Unrecht durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG), hinsichtlich dessen der Kläger staatlichen Schutz (§ 3d Nr. 1 AsylG) in Nigeria – mit einem überwiegend muslimischen Norden und einem überwiegend christlichen bzw. „christlich-animistischen“ Süden – hätte in Anspruch nehmen können. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen dass der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Januar 2016 nur in den Nummern 1 und 3 bis 6 aufgehoben werden soll. Denn mit den Klageanträgen wird nur die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Gewährung subsidiären Schutzes sowie zur Feststellung (nationaler) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG geltend gemacht.
Die zulässige Klage ist offensichtlich unbegründet.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG und die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG, § 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Januar 2016 ist, soweit er angefochten wurde, rechtmäßig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (§ 78 Abs. 1 Asylgesetz/AsylG) – voraus, dass im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (s. BVerfG B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146/148; BVerfG B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Unter welchen Voraussetzungen sich die Abweisung einer Asylklage „geradezu aufdrängt“, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf der jeweiligen Beurteilung im Einzelfall. Eine Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet kommt insbesondere in Frage, wenn sich das Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der von ihm geltend gemachten individuellen Vorfluchtgründe als insgesamt unglaubhaft erweist oder die im Einzelfall geltend gemachte Gefährdung den erforderlichen Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht und ohne Weiteres feststeht, dass für die selbstständig zu beurteilenden Nachfluchtgründe Gleiches gilt (s. BVerfG B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – BayVBl. 1997, 13). Da dem Asylgesetz ein einheitlicher Begriff der offensichtlichen Unbegründetheit zu Grunde liegt, ist die Bestimmung des § 30 AsylG grundsätzlich auch für das gerichtliche Verfahren maßgeblich (vgl. BVerfG B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146/148).
So liegt der Fall hier. Selbst wenn das Gericht dem Vorbringen des Klägers Glauben schenken würde, rechtfertigt sein Vortrag unter keinem rechtlichen und sachlichen Gesichtspunkt die Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Darüber hinaus erweist sich der Vortrag des Klägers zur Überzeugung des Gerichts auch als frei erfunden.
1. Der Kläger hat offensichtlich keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
a) Im vorliegenden Fall wird bereits aus den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft deswegen nicht vorliegen, da der Kläger – selbst wenn das Gericht ihm seine Verfolgungsgeschichte glauben würde – in seinem Heimatland Nigeria, zumindest in den Teilen Nigerias, in denen er jahrelang vor seiner Ausreise gelebt hat, offensichtlich internen Schutz im Sinne des § 3e AsylG gefunden hat. Denn der 1974 geborene Kläger hat in der mündlichen Verhandlung, auch auf mehrfaches Nachfragen des Gerichts, betont, dass er 30 Jahre alt gewesen sei, als die Ermordung seiner Familie durch Moslems stattgefunden habe (vgl. S. 3 des Sitzungsprotokolls). Dieses Ereignis müsste dann im Jahr 2004/2005 gewesen sein. Zu seiner Ausreise aus Nigeria hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass diese Mitte des Jahres 2012 (beim Bundesamt: Ende 2012) erfolgt sei, also sieben bis acht Jahre nach dem behaupteten verfolgungsauslösenden Ereignis. Hierzu hat er auf Nachfrage auch ausdrücklich bekundet, dass er sich nach der Ermordung seiner Eltern und Geschwister noch „viele Jahre“ in Nigeria aufgehalten und dort auch als Mechaniker gearbeitet hat (vgl. S. 4 des Sitzungsprotokolls), bevor er sich auf den Weg nach Europa gemacht hat. Konkrete Bedrohungen oder gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen in diesem Zeitraum hat er selbst nicht geltend gemacht, sondern vielmehr vorgetragen, er habe Bedrohungen nur „in seinem Inneren“ verspürt (vgl. S. 4 des Sitzungsprotokolls). Damit stellt sich die Ausreise aus Nigeria ersichtlich nicht als Flucht vor einer ausweglosen Lage dar. Denn bei einem sieben- bis achtjährigen Aufenthalt im Heimatland, dem Nachgehen einer Arbeit und dem Fehlen jeglicher konkreter Bedrohung in diesem Zeitraum kann von einer „ausweglosen Lage“, die durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufen wurde und in einem nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zu einer Verfolgung steht, ganz offensichtlich nicht ausgegangen werden.
Im Hinblick auf den Kläger fehlen damit schon nach seinem eigenen Vortrag auch asylrelevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG. Die behauptete Verfolgung durch Moslems stellt zudem keine „politische Verfolgung“ im Sinne von § 3 ff. AsylG dar, sondern kriminelles Unrecht durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG), hinsichtlich dessen der Kläger staatlichen Schutz hätte in Anspruch nehmen können (s. § 3d Nr. 1 AsylG). Denn die nigerianische Verfassung garantiert die Religionsfreiheit. Im Vielvölkerstaat Nigeria mit einem überwiegend muslimischen Norden und einem überwiegend christlichen bzw. „christlich-animistischen“ Süden – hierzu zählt insbesondere auch das Herkunftsgebiet des Klägers (*/*) – ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens.
Nach allem ist der Kläger offensichtlich kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG.
b) Darüber hinaus stellt sich aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Klägers beim Bundesamt einerseits und in der mündlichen Verhandlung andererseits die behauptete Verfolgungsgeschichte als unglaubhaft bzw. ersichtlich erfunden dar. In sich widersprüchlich sind bereits die Angaben des Klägers beim Bundesamt. Während er dort im Rahmen der allgemeinen Fragen zu seinen persönlichen und familiären Umständen zunächst angab, dass seine Eltern verstorben seien, als er Anfang 30 war (vgl. Bundesamtsprotokoll, Frage Nr. 8, Bl. 52 der Bundesamtsakte), gab er im weiteren Verlauf der Anhörung, nachdem er aufgefordert worden war, zu seinen Asylgründen Stellung zu nehmen, an, dass seine Eltern zwischen 2011 und 2012 umgebracht worden seien (vgl. S. 3 des Bundesamtsprotokolls, Bl. 53 der Bundesamtsakte). Hierzu trug er auf die Nachfrage, wie lange er sich in Nigeria versteckt habe, noch vor, er habe sich „über einen Monat“ versteckt (vgl. S. 4 des Bundesamtsprotokolls, Bl. 54 der Bundesamtsakte), was mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (siehe unter a)) ersichtlich nicht vereinbar ist. Beim Bundesamt behauptete der Kläger zudem, dass nur seine Eltern erschossen worden und seine Geschwister, so wie er, auch auf der Flucht seien (vgl. S. 3 des Bundesamtsprotokolls, Bl. 53 der Bundesamtsakte). Im Gegensatz dazu behauptete er in der mündlichen Verhandlung, dass nicht nur seine Eltern, sondern auch alle seine Geschwister erschossen worden seien (vgl. S. 2 des Sitzungsprotokolls). Diese unterschiedlichen Darstellungen zeigen deutlich, dass der Kläger keine wahren, selbst erlebten Geschehnisse, sondern lediglich eine erfundene Geschichte vorgetragen hat, was nur den Schluss zulässt, dass er sein Heimatland aus asylrechtlich nicht relevanten Gründen verlassen hat.
c) Nach allem ist das Gericht davon überzeugt, dass dem unverfolgt ausgereisten Kläger auch im Falle der Rückkehr in sein Heimatland keinerlei Verfolgungsmaßnahmen drohen. Es bestehen keine Erkenntnisse darüber, dass abgelehnte
Asylbewerber bei einer Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Asylantragstellung mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätten (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Stand: September 2016 – vom 21. November 2016 – Lagebericht – Nr. IV.2).
2. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG bleibt ohne Erfolg, wofür ergänzend auf die zu § 3 AsylG erläuterten Gründe verwiesen wird.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger offensichtlich keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Seine Schilderungen zur Gefahr sind völlig unglaubhaft und unsubstantiiert im Sinne von § 30 Abs. 1, Abs. 2 AsylG. Im Herkunftsstaat hat er offensichtlich keine Gefahr erlebt. Weshalb ihm bei der Rückkehr ein ernsthafter Schaden, insbesondere eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder gar die Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) drohen sollte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden. Schließlich besteht in Nigeria auch kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch insoweit offensichtlich rechtmäßig, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde (Ziffer 4). Der gesunde und arbeitsfähige Kläger war auch vor seiner Ausreise in Nigeria in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu sichern und zudem die (erheblichen) Kosten für die Schleusung nach Europa zu verdienen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung in den Gründen dieser Entscheidung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG sind keine substantiierten Einwände erhoben worden und solche sind auch nicht ersichtlich.
Da sich bei dem gegebenen Sachverhalt dem Gericht die Abweisung der Klage geradezu aufdrängte, war die Klage als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 AsylG).