Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag

Aktenzeichen  Au 9 K 20.30566

Datum:
9.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18410
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 3e, § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 30 Abs. 1, Abs. 2, § 36
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. In Nigeria besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schlechte humanitäre Verhältnisse können nur in ganz besonderen Ausnahmefällen Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2020 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Es bestehen vorliegend keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. April 2020 erfolgten Ablehnung des Asylantrags des Klägers als offensichtlich unbegründet (§ 30 Abs. 1, 2 AsylG). Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) bestehen an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellung des Bundesamts vernünftigerweise keine Zweifel, so dass sich die Ablehnung des Asylantrags nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG [Kammer], B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00; BVerfG [Kammer], B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – beide juris). Der Asylantrag des Klägers war als offensichtlich unbegründet abzulehnen und die Klage entsprechend abzuweisen, weil beim Kläger offensichtlich keine Gründe vorliegen, die für die Zuerkennung von Asyl- oder internationalem Schutz relevant sind und auch (zielstaatsbezogene) Abschiebungshindernisse nicht vorliegen.
1. Mit dem Bundesamt ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass sich beim Kläger die Ablehnung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) geradezu aufdrängt. Der Kläger hat bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 24. Januar 2019 ausgeführt, dass er Nigeria bereits im Jahr 2010 dauerhaft verlassen habe. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet erweist sich als zutreffend, da das gesamte Vorbringen des Klägers beim Bundesamt vor dem Hintergrund der §§ 3, 3b AsylG asylrechtlich ohne Relevanz bleibt. Soweit der Kläger auf familiäre Probleme wegen der Nachfolge seines Vaters in einem Geheimbund verweist, ist dieser Vortrag offensichtlich nicht geeignet, asylbegründend für den Kläger zu sein. Auch die vom Kläger geschilderte Bedrohung aufgrund seiner Weigerung, dem Geheimbund beizutreten, stellt sich allenfalls als kriminelles Unrecht dar, welches asylrechtlich ohne Relevanz bleibt. Gleiches gilt in Bezug auf die vom Kläger selbst geschilderte Vergewaltigung. In Bezug auf den letztgenannten Umstand hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass dieser Vortrag frei erfunden sei. Die rechtliche Beurteilung des Bundesamts, dass der Vortrag vollkommen unglaubwürdig sei, ist deshalb nicht zu beanstanden. Jedenfalls besteht für den Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative i.S. des § 3e AsylG. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) liegen beim Kläger nicht vor. Insbesondere besteht in Nigeria kein landesweiter innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. In Bezug auf eventuelle lokale Konflikte im Norden des Landes ist der Kläger, der selbst aus dem Süden Nigerias (Benin City, Bundesstat Edo State) stammt, auf eine inländische Fluchtalternative zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG, § 3e AsylG entsprechend). Bezogen auf den Zielstaat der Abschiebung Nigeria ist der Asylantrag des Klägers vom Bundesamt daher zutreffend als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Gemäß § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Wegen der Begründung im Einzelnen folgt das Gericht dabei den Ausführungen in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 30. April 2020 und sieht deshalb von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) keine Zweifel. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – 8319/07 und 11449/07 – NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (VGH BW, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
Schlechte humanitäre Verhältnisse können somit nur in ganz „besonderen Ausnahmefällen“ Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26).
Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Interschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23). Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie beispielsweise im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat diesbezüglich keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.).
Dies zugrunde gelegt ist zu Gunsten des Klägers kein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger durchaus erwerbsfähig ist. So hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 24. Januar 2019 ausgeführt, dass er zwar keinen Beruf erlernt habe, jedoch bereits als Elektriker gearbeitet habe. Auch könne er einen achtjährigen Schulbesuch vorweisen. Zu Verwandten befragt hat der Kläger ausgeführt, dass in Nigeria noch zwei Stiefschwestern und seine Großfamilie lebten. Deshalb ist beim Kläger davon auszugehen, dass dieser bei einer Rückkehr nach Nigeria in der Lage sein sollte, ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Bei einer aktuellen Analphabetenquote in Nigeria bei Männern von etwa 30% erweist sich auch der Schulbesuch des Klägers als überdurchschnittlich. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind beim Kläger nicht bekannt geworden. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf eine vermutete Depression verwiesen, ärztliche Atteste wurden jedoch nicht vorgelegt. Gleiches gilt in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachten Rückenbeschwerden bzw. seine Appetitlosigkeit.
Überdies kann allgemein festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die – wie der Kläger vortragen lässt – in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Derartige Personen können ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn im Konventionsstaat – Bundesrepublik Deutschland – Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 12. April 2019, Nr. 19.1, S. 50).
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Diesbezüglich fehlt es bereits an einem berücksichtigungsfähigen Vortrag des Klägers. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind im Verfahren nicht geltend gemacht worden. Ärztliche Atteste wurden für den Kläger nicht vorgelegt. Überdies gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
3. Die auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung der einwöchigen Ausreisefrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sind demnach ebenfalls nicht zu beanstanden. Bedenken bestehen auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2020 (Az: 1 C 19/19), nachdem der Kläger bereits mit der ablehnenden Entscheidung im gerichtlichen Eilverfahren (Az: Au 9 S 20.30568) vom 12. Mai 2020 vollziehbar ausreisepflichtig ist.
Auch das in Nr. 6 des angegriffenen Bescheids angeordnete gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat insoweit die erforderliche Grundentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffen, als auch das hier hinsichtlich der Befristung zukommende Ermessen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) zutreffend erkannt. Die getroffene Befristungsentscheidung erweist sich vor dem Hintergrund der gerichtlichen eingeschränkten Überprüfung des § 114 VwGO als ermessensfehlerfrei.
4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.
Dieses Urteil ist gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG unanfechtbar.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen