Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag

Aktenzeichen  M 21 K 17.42545

Datum:
9.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 29675
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 78 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierenden Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG BeckRS 2008, 30091). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist insgesamt offensichtlich unbegründet.
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris Rn. 21) und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage insgesamt als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes liegen offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Das Vorbringen ist nicht asylrelevant. Zudem ist es in wesentlichen Punkten unsubstantiiert und damit insgesamt unglaubhaft. So hat sich der Kläger auch unglaubwürdig gemacht. Zudem muss er sich hinreichend gesichert auf internen Schutz verweisen lassen. Es wäre somit bereits Sache des Bundesamts gewesen, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Im Einzelnen:
Im Kern hat der Kläger Gefahren durch einen ehemaligen Arbeitgeber und durch eine kriminelle Bande geltend gemacht.
Dieses Vorbringen ist nicht asylrelevant, weil es keinen Bezug zu einem asylerheblichen Merkmal des Klägers hat.
Das Vorbringen ist zudem in wesentlichen Punkten unsubstantiiert und damit insgesamt unglaubhaft.
Datums- und umstandsgenaue Angaben zu den behaupteten Gefahren, insbesondere zu den die Ausreise verursachenden Umständen, fehlen. Das Vorbringen ist insoweit durchweg substanzlos und oberflächlich geblieben. Wäre der Kläger etwa wirklich in einer echten Drucksituation aus Nigeria ausgereist, hätte er in der Bundesamtsanhörung etwa das Ausreisedatum genau angeben können und müssen. Es wird noch darlegt, dass beim Kläger offensichtlich keine psychische Erkrankung vorliegt, die ihm einen genaueren Vortrag beim Bundesamt erschwert haben könnte. Auf entsprechende Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nach dem Grund des ungenauen Vortrags beim Bundesamt hat der Kläger im Kern auch nur geantwortet, die Niederschrift zur Bundesamtsanhörung gebe deren Inhalt nicht zu treffend wider. Dem steht aber die protokollierte, damals abschließende Bestätigung des Klägers entgegen, es habe in der rückübersetzten Bundesamtsanhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben.
Wegen der geltend gemachten Gefahren muss sich der Kläger zudem hinreichend gesichert auf internen Schutz verweisen lassen (§ 3e AsylG).
Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, insbesondere Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann allerdings ausnahmsweise mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben (vgl. zu all dem nur Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2017, S. 18).
Einen solchen, engen Ausnahmefall kann der Kläger offensichtlich nicht für sich in Anspruch nehmen. Nach eigenem Vorbringen hat er noch seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester in Nigeria. Er war dort auch bereits beruflich tätig. Er hat selbst angegeben, dort genug zum Leben gehabt zu haben und auch die drei Kinder des verstorbenen Bruders ernährt zu haben. Zudem hat der Kläger als junger, im Ergebnis gesunder und auch heute noch in Deutschland arbeitsfähiger Mann nicht zuletzt durch seine Reise nach Europa bewiesen, dass er sich in einer für ihn unbekannten Umgebung behaupten kann. Somit ist der Kläger jedenfalls auf andere Landesteile als Benin City oder Imo State zu verweisen.
Der Kläger hat nach den vorstehenden Darlegungen und unter Berücksichtigung sämtlicher zu seinem Gesundheitszustand vorliegenden Stellungnahmen auch offensichtlich keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, insbesondere des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) ist offensichtlich nicht widerlegt, weil offensichtlich keine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht ist (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG).
Der vorläufige Arztbrief des Isar-Amper-Klinikums München-Ost vom 15. Mai 2017 trägt schon insbesondere die in ihm enthaltene Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht. Zusammenfassend wird in diesem Arztbrief vom Vorliegen einer PTBS im Rahmen von Gewalterfahrungen des Klägers in seinem Heimatland sowie zusätzlich a.e. von einem psychogenen Krampfanfall am 14. Mai 2017 ausgegangen. Dieser Formulierung zeigt, dass damals ärztlicherseits höchstens der Verdacht einer PTBS bestanden hatte. Denn eine PTBS ist damit nicht einmal bestimmt im Sinne einer verbindlichen Diagnose behauptet worden. Fachlich ist das nach zwei Behandlungstagen auch nicht seriös möglich, weil eine behandlungsbedürftige PTBS durch Unschärfen des Krankheitsbildes und vielfältige Symptome gekennzeichnet ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15). Durch den Hinweis auf irgendwelche „Gewalterfahrungen des Klägers in seinem Heimatland“ ist ein traumatisierendes Ereignis auch nicht nachvollziehbar konkretisiert. Da von Gewalterfahrungen des Klägers in seinem Heimatland bis dahin im Asylverfahren keine Rede gewesen ist und sich der Kläger bereits als unglaubwürdig erwiesen hat, glaubt das Gericht das traumatisierende Ereignis auch nicht. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierenden Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15). Auch dieser Anforderung genügt der vorläufige Arztbrief nicht, weil er zu diesem Punkt überhaupt keine Aussage trifft. Eine solche Aussage wäre schon deshalb unbedingt erforderlich gewesen, weil auch den Ärzten aufgefallen ist, dass die ärztliche Behandlung ausgerechnet zwei Tage nach dem Zugang des ablehnenden Bundesamtsbescheids stattgefunden hat. Aussagen dazu, inwiefern sich die PTBS durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), enthält dieser Arztbrief auch nicht.
Auch durch die fachärztliche Stellungnahme des Herrn Dr. M. – Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin – vom 29. Juni 2018 ist keine Erkrankung, die die Abschiebung des Klägers beeinträchtigen kann, glaubhaft gemacht. Die in ihr enthaltene Diagnose einer PTBS stützt sich zum einen auf Ereignisse im Herkunftsland, die das Gericht nicht glaubt. Da seitens des Klägers bis zu diesem Zeitpunkt nie davon die Rede gewesen ist, dass er mehrere Tote auf dem Weg durch die Wüste gesehen und erlebt habe, wie auf der Überfahrt nach Italien vor seinen Augen mehrere Menschen über Bord gegangen und ertrunken seien, hat er sich durch diese Einlassungen vollends unglaubwürdig gemacht.
Die Frage der Reisefähigkeit bzw. der Suizidalität des Klägers ist ausländerrechtlicher Natur (vgl. nur BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 10 CE 14.1523 – juris Rn. 21 m.w.N.) und daher vorliegend nicht entscheidungserheblich. Auffällig ist jedoch gerade im vorstehend dargelegten Zusammenhang der Defizite der ärztlichen Stellungnahmen und der Unglaubwürdigkeit des Klägers, dass in der fachärztlichen Stellungnahme vom 29. Juni 2018 nur nicht nachvollziehbar und wenig glaubhaft behauptet wird, eine Abschiebung wäre in der jetzigen Phase für den Kläger lebensbedrohlich.
Das ärztliche Attest des Herrn Dr. B. vom 6. Juni 2017 leidet im Wesentlichen an den Defiziten, die dem vorläufigen Arztbrief des Isar-Amper-Klinikums München-Ost vom 15. Mai 2017 anhaften. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, inwiefern aufgrund einer einmaligen neurologischen Untersuchung des Klägers der eigene Schluss auf die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung fachlich seriös möglich sein sollte.
Nach den vorstehenden Darlegungen war der im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 9. September 2018 enthaltenen Beweisanregung nicht weiter nachzugehen.
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird – wie bereits dargelegt – vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, an die bestimmte Anforderungen zu stellen sind. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist hierzu nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris). Das im zweiten Punkt des Schriftsatzes angeführte Beweisthema ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich, weil es rein ausländerrechtlicher Natur ist (vgl. nur BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 10 CE 14.1523 – juris Rn. 21 m.w.N.). Der dritte Punkt der Beweisanregung ist einem Beweis nicht zugänglich, sondern er läuft auf eine rechtliche Würdigung hinaus, die allein dem Gericht vorbehalten ist.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

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