Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag einer Mutter mit Kind aus Nigeria

Aktenzeichen  M 13 S 17.39939

Datum:
6.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 163126
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 4
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2, § 30 Abs. 1, Abs. 2, § 36 Abs. 4 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1

 

Leitsatz

Dass mangels jeglicher Lebensgrundlage ein Ausläner dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde, ist selbst bei alleinstehenden Frauen aus Nigeria mit kleinen Kindern bei einen im übrigen noch vorhandenen starken Familienverband, der sie unterstützen und bei der Existenzsicherung behilflich sein kannn, nicht ohne weiteres anzunehmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin zu 1. ist ausweislich der von ihr vorgelegten Geburtsurkunde und nach eigenen Angaben eine am 4. November 1982 in Benin City geborene nigerianische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 2. ist ein in der Bundesrepublik Deutschland geborenes Kind der Antragstellerin zu 1.
Die Antragstellerin zu 1. reiste nach eigenen Angaben am 20. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Asylantrag der Antragstellerinnen wurde am 23. Februar 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gestellt.
Bei der persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG durch das Bundesamt am 15. September 2016 gab die Antragstellerin zu 1. unter anderem an, dass sie bis zu ihrer Ausreise in Benin City gelebt habe. In Nigeria lebten noch ihr Vater, zwei Brüder und drei Schwestern und die Großfamilie. Im Dezember 2012 habe sie Nigeria verlassen und sei dann von 2012 bis August 2015 in Griechenland gewesen. Im August 2015 sei sie über die Balkanländer auf dem Landweg nach Deutschland eingereist. Sie habe Nigeria verlassen, da ihre Familie finanzielle Probleme gehabt habe. Ihre Mutter sei krank gewesen. Sie habe eine Frau getroffen, die ihr den Vorschlag gemacht habe, sie könne wegen ihrer Fachkompetenz als Hair Staylist nach Europa kommen und dort Geld verdienen. Dies habe sie gemacht, da sie Geld für die Behandlung ihrer Mutter und für den Schulbesuch ihrer Brüder brauchte. Bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte sie, dass sie Probleme mit der Frau bekomme, die ihr damals geholfen habe aus Nigeria auszureisen. Sie würde von ihr verlangen, dass sie als Prostituierte arbeite. Als sie nach Griechenland gekommen sei, habe sie ein Jahr bei ihr gelebt. Dann sei sie von der Frau hinausgeworfen worden und sei zu Freunden gegangen. Die Frau habe gesagt, sie wolle sie töten, wenn sei das Geld nicht bezahle. Zum Vater des Kindes habe sie keinen Kontakt. In Nigeria könne sie nicht für ihre Tochter sorgen. Die finanzielle Lage sei sehr schwer.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 8. Mai 2017 wurde der Antrag der Antragsteller auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Ferner wurden die Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, aus dem Vorbringen der Antragsteller ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb ihres Herkunftsstaates aufhalten oder bei Rückkehr mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten. Die Antragsteller seien offensichtlich keine Flüchtlinge im Sinne dieser Definition. Sie hätten keine begründete Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden vorgetragen. Jedenfalls sei dies aus ihrem Vortrag heraus nicht ansatzweise ersichtlich. Gemäß § 30 Abs. 2 AsylG sei ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich sei, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhalte. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes seien ebenfalls nicht gegeben, da die Antragstellerin keinerlei stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht habe, dass ihr in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG drohe. Schließlich habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote allein aufgrund der in Nigeria bedrückenden allgemeinen Wirtschafts- und Versorgungslage. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin bei einer Rückkehr insbesondere deshalb keinen existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt sein werde, weil das familiäre Netzwerk, dem sie entstamme, noch vorhanden sei.
Hiergegen erhoben die Antragsteller am 15. Mai 2017 bei dem Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag,
den Bescheid des Bundesamtes vom 8. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Antragsteller als Asylberechtigte anzuerkennen, ihnen die Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3, 5 und 7 AufenthG festzustellen. Hierüber ist noch nicht entschieden (Az. M 13 K 17.39939).
Ferner beantragten sie nach § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage anzuordnen.
Eine Begründung der Anträge sowie der Klagen erfolgte nicht.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakte vorgelegt, äußerte sich jedoch nicht zur Sache.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klagen nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn also erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 = EuGRZ 1996, 271 = AuAS 1996, Sondernummer Mai, 9 = DVBl 1996, 739 = NVwZ 1996, 678 = DÖV 1996, 654 = EzAR 632 Nr. 25). Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann, wobei sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit der Feststellung begnügen darf, sondern die Frage der Offensichtlichkeit, soll sie bejaht werden, erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit nur für das Eilverfahren, zu klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinauszugehen hat (BVerfG vom 02.05.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43 = DVBl 1984, 673 = BayVBl 1984, 462 = DÖV 1984, 627 = ZAR 1984, 160 = NJW 1984, 2028). Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass die geltend gemachten Ansprüche auf Anerkennung als Asylberechtigte, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes sowie Feststellung von Abschiebungsverboten (teils offensichtlich) nicht bestehen (vgl. oben), zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen.
Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG vom 05.02.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Bei Anlegung dieses Prüfungsmaßstabs haben die Antragsteller offensichtlich weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG. Schließlich besteht auch kein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigerias. Der diese Ansprüche verneinende Bescheid des Bundesamtes vom 8. Mai 2017 stellt sich im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als offensichtlich rechtmäßig und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzend dar (§ 113 Abs. 1 Satz 5 VwGO). Das Gericht teilt insoweit in vollem Umfang die Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid auch zum Offensichtlichkeitsurteil und nimmt darauf Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Bundesamt ist zu Recht der Auffassung, dass die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen hat, welche in irgendeiner Weise geeignet wären, einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus zu begründen. Vielmehr spricht alles dafür, dass das Vorbringen der Antragstellerin den Tatbestand des § 30 Abs. 2 AsylG erfüllt, wonach ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet ist, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält. Da diese Einschätzung der allgemein anerkannten Rechtsauffassung entspricht, drängte sich mit Rücksicht darauf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet geradezu auf.
Auch der auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klageantrag bietet keine Erfolgsaussichten. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG vom 12.07.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115 = DVBl 2001, 1772 = NVwZ 2002, 101 = EzAR 043 Nr. 51 = InfAuslR 2002, 52 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 49, m.w.N.), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG vom 12.07.2001, a.a.O.; vom 29.06.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226 = AuAS 2010, 249 = InfAuslR 2010, 458 = NVwZ 2011, 48 = ZAR 2011, 146 = EzAR-NF 69 Nr. 8 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2ff AufenthG Nr. 41; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 – NVwZ 2012, 451 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41). Das ist selbst bei alleinstehenden Frauen aus Nigeria mit kleinen Kindern nicht ohne weiteres anzunehmen. Insoweit ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin erwerbs- und arbeitsfähig ist. Die Antragstellerin zu 1. hat die Schule mit Abitur abgeschlossen und drei Jahre die Universität in Nigeria besucht. Sie ist gelernte Hair Stylistin und hat bereits in Nigeria als Selbständige gearbeitet. Die Antragstellerin zu 1. hat im Übrigen in Nigeria noch einen vorhandenen starken Familienverband, der sie unterstützen und bei der Existenzsicherung behilflich sein kann.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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