Aktenzeichen M 17 S 16.33056
Leitsatz
Gegen die Einstufung Senegals als sicherer Herkunftsstaat bestehen keine verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken. (redaktioneller Leitsatz)
Eine angeblich zu Unrecht erfolgte Anzeige wegen Vergewaltigung begründet keine Verfolgung. Es kann die Hilfe staatlicher Stellen in Anspruch genommen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Das senegalesische Rechtssystem basiert im Wesentlichen auf französischem Recht. Die Verhängung grausamer oder erniedrigender Strafen erfolgt nicht; Körperstrafen nach der Scharia sind ausgeschlossen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Senegal. Er reiste nach eigenen Angaben mit Visum im April 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Juni 2015 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … April 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass gegen ihn eine Anzeige wegen Vergewaltigung laufe. Seine Freundin habe zu einem anderen Stamm gehört, so dass sie ihre Beziehung hätten verstecken müssen. Der Vater der Freundin habe es jedoch erfahren und ihm gesagt, er solle sich von seiner Tochter fernhalten. Sie hätten sich nicht daran gehalten und beim zweiten Mal habe der Vater gesagt, dass der Antragsteller große Probleme bekommen werde. Der Vater, der selbst Polizist sei, sei zur Polizei und zur Schulleitung gegangen, woraufhin der Schulleiter dem Antragsteller geraten habe, sich von der Tochter fernzuhalten, weil der Vater viel Macht habe. Irgendwann 2014 oder 2015 sei dann die Anzeige nach Hause gekommen und der Schulleiter habe ihn von der Schule verwiesen. Er sei dann von … nach … gegangen und seine Freundin habe unter Zwang bei der Polizei ausgesagt, dass er sie vergewaltigt habe. Nach ein paar Monaten sei er nach … zurückgekehrt und kurze Zeit später ausgereist. Sie hätten das Personal am Flughafen bestochen. Die Freundin habe ein schlechtes Gewissen gehabt und ihm auf Video bestätigt, dass er sie nicht vergewaltigt habe. Senegal sei ein korruptes Land, jede Verteidigung hätte nichts gebracht.
Mit Bescheid vom 5. September 2016, zugestellt am 9. September 2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) als offensichtlich unbegründet ab, lehnte den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Senegal oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Bei einem Ausländer, der aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme, werde vermutet, dass er nicht verfolgt werde, solange er nicht Tatsachen vortrage, die die Annahme begründeten, dass er entgegen dieser Vermutung verfolgt werde. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat, in seinem Falle die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Der Antragsteller mache keine asylrechtlich relevante staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung geltend, sondern berufe sich auf die angeblich zu Unrecht erfolgte Anzeige bzw. den angeblichen Haftbefehl wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung seiner Freundin. Selbst wenn man den Vortrag als wahr unterstelle, habe sich der Antragsteller zur Klärung des Sachverhalts der senegalesischen Polizei zu stellen. Nach den Schilderungen des Antragstellers sei seine Familie wohlhabend, so dass es ihm und seiner Familie sicherlich möglich sei, mit entsprechender anwaltlicher Unterstützung rechtlich gegen die angeblichen Anschuldigungen vorzugehen. Die Aufklärung der Umstände einer Straftat obliege den senegalesischen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der senegalesische Staat nicht schutzbereit oder nicht schutzwillig sei. Ebenso wenig sei davon auszugehen, dass der senegalesische Staat Fehlverhalten von Angehörigen der Polizei dulde. Im Übrigen seien die Schilderungen des Antragsteller in Frage zu stellen, da sie zum Teil unplausibel, unsubstantiiert und nicht frei von Widersprüchen seien. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes sei somit ebenfalls abzulehnen. Eine schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründe kein Abschiebungsverbot, sie müsse vom Antragsteller ebenso wie von vielen seiner Landsleute bewältigt werden. Die Umstände, die er geltend mache, gingen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner hinzunehmen hätten, die in vergleichbarer Situation lebten. Der Antragsteller sei jung, gesund und arbeitsfähig, so dass ihm zumutbar sei, in sein Heimatland zurückzukehren und sich dort Arbeit zu suchen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht im Stande sein werde, bei einer Rückkehr in sein Heimatland für sich eine zumindest existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben drohe ebenfalls nicht.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 16. September 2016 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 16.33024) und beantragte gleichzeitig,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nahm er Bezug auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16.33024 sowie auf die übermittelte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 5. September 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich (vgl. §§ 29a, 30 AsylG) nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Antragstellers nicht erkennbar.
a) Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i. S. d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
b) Das Heimatland des Antragstellers, Senegal, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Senegals als sicherer Herkunftsstaat bestehen jedoch nicht.
c) Der Antragsteller hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr hat er sich auf eine angeblich zu Unrecht erfolgte Anzeige wegen Vergewaltigung berufen, die der Vater seiner Freundin erstattet habe. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.2 Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Abgesehen davon, dass der Vortrag des Antragstellers zu der vermeintlichen Strafanzeige und den damit im Zusammenhang stehenden Umständen teilweise pauschal und unsubstantiiert, vor allem aber in sich sehr widersprüchlich ist, hätte er bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe (übergeordneter) staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen und den Vorwurf mit den ihm zur Verfügung stehenden Beweismitteln, vor allem dem Video der Freundin, zu entkräften. Insbesondere kann von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des senegalesischen Staates (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 und 2 AsylG) nicht ausgegangen werden, so dass der Antragsteller hier grundsätzlich Hilfe erlangen könnte (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 15.10.2014, S. 13; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 4 S 16.30549 – UA S. 7; VG München, B. v. 24.3.2016 – M 2 S 16.30464 – UA S. 6; VG München, B. v. 22.3.2016 – M 15 S 16.30357 – UA S. 8; VG München, B. v. 10.3.2016 – M 21 S 16.30061 – UA S. 9; VG Augsburg, U. v. 22.5.2013 – Au 7 K 13.30106 – juris Rn. 16). Dies gilt umso mehr, als die Familie des Antragstellers nach dessen eigenen Angaben vermögend ist und daher gewissen Einfluss haben dürfte, zumindest aber in der Lage ist, dem Kläger einen qualifizierten Rechtsbeistand zu besorgen.
Im Übrigen basiert das senegalesische Rechtssystem im Wesentlichen auf dem französischen Recht (Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 21.11.2015, Nr. I.1, III.2, III.4). Die Verhängung grausamer oder erniedrigender Strafen erfolgt nicht und Körperstrafen nach der Scharia sind ausgeschlossen, da das islamische Recht nur im Familien- und Erbrecht, nicht aber im Strafrecht Anwendung findet (Auswärtiges Amt, a. a. O.). Die Gefahr, wegen – erwiesener – Vergewaltigung bestraft zu werden, rechtfertigt daher keinesfalls die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
2.3 Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
…