Aktenzeichen AN 9 S 17.32822
GG GG Art. 16a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
In Bangladesch droht keine unmittelbare oder mittelbare Gruppenverfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bihari. Der bangladeschische Staat ist grundsätzlich willens und in der Lage, Angehörige dieser Gruppe ebenso wie andere bangladeschische Staatsbürger zu schützen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.
Gründe
I.
Der am … 1998 geborene Antragsteller ist bangladeschischer Staatsangehöriger, Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Bihari. Er begehrt mit seinem Antrag einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsandrohung.
Der Antragsteller verließ nach eigenen Angaben zu einem nicht mehr genau bekannten Zeitpunkt sein Heimatland Bangladesch und reiste im September 2013 mit dem Schiff nach … in die Bundesrepublik Deutschland ein. Asylantrag stellte er am 5. April 2016.
Bei seiner Befragung nach § 25 AsylG am 2. Februar 2017 gab er im Wesentlichen an, er habe weder Eltern noch Geschwister und sei in Bangladesch nicht zur Schule gegangen, weil er sich dies nicht habe leisten können. Als Angehöriger der Bihari habe er in Bangladesch keine Rechte und dürfe nicht wählen, auch habe er keine Wohnung, sondern wohne in einem Camp. Für Waisenkinder wie ihn gebe es dort keinen Schutz. Er sei von älteren Leuten aus dem Camp geschlagen worden, etwa dann, wenn ihm bei der Arbeit etwas runter gefallen sei, oder auch wenn er gefragt habe, ob er zur Schule gehen dürfe. Einmal sei ihm auch seine linke Hand gebrochen worden. Medizinische Versorgung habe er sich jedoch nicht leisten können, sodass seine Hand nur provisorisch geschient worden sei, bis heute könne er sie nicht zu 100% gebrauchen. Als Waisenkind habe er zum Überleben oft arbeiten müssen. Er habe gesehen, dass es anderen mit Wohnung, richtiger Arbeit und gutem Essen besser gegangen sei. Die Gesamtsituation sei einfach sehr unbefriedigend gewesen, deshalb habe er sich auch mit Suizidgedanken getragen. In Bangladesch hätte er keinen Pass bekommen, weil er staatenlos sei, vermutlich würde man ihn bei seiner Rückkehr festnehmen und wieder in das Camp zurückschicken. Da sein Bihari-Ausweis, den er zurückgelassen habe, mittlerweile vermutlich verloren gegangen sei, müsse er bei seiner Rückkehr unter Umständen sogar ins Gefängnis. Dies sei auch anderen schon passiert. Es gebe keine Garantie für ein gesundes Leben. Auch schaue man ihn vielleicht als Mitglied der „Rajakar“-Gruppe an, weil sein Großvater Pakistani gewesen sei. Es handele sich dabei um eine rechtsextreme Gruppe, mit der er selbst indes nichts zu tun habe. Viele von deren Mitgliedern würden zur Zeit bei ihm zu Hause gehenkt, das könne auch ihm passieren, weil er keine Personaldokumente mehr habe.
Mit Bescheid vom 24. April 2017 lehnte das Bundesamt seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Er wurde gleichzeitig aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und für die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Er habe in seinem Sachvortrag lediglich die allgemeinen Lebensbedingungen und die schwierige Lage der Bihari in Bangladesch geschildert, jedoch keine konkrete Verfolgung durch spezielle Gruppen aufgrund eines bestimmten Anlasses dargestellt. Eine Verfolgung oder Benachteiligung von staatlicher Seite sei in Bangladesch für Angehörige der Volksgruppe der Bihari derzeit nicht anzunehmen, die Verfassung garantiere Gleichheit vor dem Gesetz für alle Staatsangehörigen. Die Inanspruchnahme von internen Schutzmöglichkeiten sei dem Antragsteller in Bangladesch zumutbar, es sei davon auszugehen, dass der Staat in Bangladesch grundsätzlich willens und in der Lage sei, seine Bürger zu schützen. In seinem konkreten Fall erscheine die latente Gefahr durch einzelne Angreifer lokal begrenzt, er hätte daher auch die Möglichkeit gehabt, sich in anderen Landesteilen niederzulassen. Außerdem sei er jung, gesund und arbeitsfähig und daher grundsätzlich in der Lage, sich auch an anderen Orten in seinem Heimatland durch allgemeine Arbeitsleistung sein Existenzminimum abzusichern. Man müsse davon ausgehen, dass er vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen den Entschluss gefasst habe, sich in das Bundesgebiet zu begeben. Da bei ihm keinerlei asylrelevante Sachverhalte vorlägen und zusätzlich eine offensichtlich wirtschaftliche Motivation vorhanden gewesen sei, sei sein Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet zu qualifizieren. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes lägen offensichtlich nicht vor, da dem Antragsteller in seinem Heimatland offensichtlich kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG drohe. Aus diesem Grund seien auch Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 AufenthG nicht feststellbar. Insbesondere könne er sich nicht auf die allgemeine politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage in seinem Heimatland berufen, weil sich diese für ihn nicht wesentlich von der Lage unterscheide, wie sie alle Bewohner Bangladeschs in vergleichbarer Situation hinzunehmen hätten. Unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände sei bei seiner Abschiebung die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht beachtlich. Ihm drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Abschiebungsandrohung sei gem. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen, die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Dieser Bescheid wurde dem Antragsteller ausweislich Postzustellungsurkunde am 28. April 2017 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2017, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat er hiergegen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach Klage erhoben und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Zur Begründung lässt er mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. Mai 2017 im Wesentlichen vortragen, es bestünden ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes. Der Bescheid stelle schwerpunktmäßig darauf ab, dass er in der Anhörung gesagt habe, er sei mit der Gesamtsituation unzufrieden, berücksichtige dagegen sein übriges Vorbringen, etwa Verfolgungshandlungen wie Schläge und Ähnliches oder dass er als Angehöriger der Volksgruppe der Bihari in den Camps nur unzureichend Zugang zu medizinischer Behandlung habe, zu wenig. Mit diesem Vorbringen, welches nicht nur rein wirtschaftliche Gründe beinhalte, setze sich der angefochtene Bescheid nicht ausreichend auseinander, allein deshalb bestünden ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils. Zudem bestehe im Hinblick auf die Situation der Bihari keinesfalls eine eindeutige und widerspruchsfreie Auskunftslage darüber, dass diese nicht kollektiv verfolgt würden, und es bestehe auch keine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung hierzu. Die Gesamtgefahrenschau spreche auch für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Der Antragsteller könne nämlich bei seiner Rückkehr nach Bangladesch nicht auf die erforderlichen familiären oder sozialen Strukturen zurückgreifen, weil seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen seien, und er andere Verwandte oder Familienmitglieder nicht habe. Er werde daher kaum in der Lage sein, nach seiner Rückkehr eine Arbeitsstelle zu finden und sein Existenzminimum zu sichern. Hieraus ergebe sich die extreme Gefahrenlage i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG, die die Feststellung eines Abschiebeverbots rechtfertige.
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die unter Ziff. 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 24. April 2017 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Behörden- und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist nach § 80 Abs. 5 VwGO die Anordnung der gemäß § 75 AsylG ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des angegriffenen Bescheids des Bundesamts. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG für die Antragstellung ist eingehalten.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen.
Lehnt das Bundesamt einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche. Dementsprechend hat das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Einschätzung des Bundesamts, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 AsylG und nach Art. 16a GG offensichtlich nicht bestehe, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf es die Aussetzung der Abschiebung nur dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder an der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen. Das ist der Fall, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung oder das Offensichtlichkeitsurteil einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhalten (vgl. BVerfG, a.a.O.). Von einem Standhalten ist demnach auszugehen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
Derartige Zweifel hat das Gericht im vorliegenden Fall nicht.
Das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts lässt sich voraussichtlich auf § 30 Abs. 1 AsylG stützen. An der Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG und die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG offensichtlich nicht vorlägen, besteht kein ernstlicher Zweifel. Zum einen geht das Gericht davon aus, dass in Bangladesch eine unmittelbare oder mittelbare Gruppenverfolgung durch den Staat oder andere in § 3 c AsylG genannte Akteure allein aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bihari nicht stattfindet, und der bangladeschische Staat grundsätzlich willens und in der Lage ist, Angehörige dieser Gruppe ebenso wie andere bangladeschische Staatsbürger zu schützen. Insbesondere seit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs von Bangladesch vom 18. Mai 2008, in dem festgestellt wurde, dass alle Bihari die Staatsangehörigkeit Bangladeschs besäßen, die nach 1972 geboren worden oder zu diesem Zeitpunkt minderjährig gewesen seien, hat sich ihre Situation verbessert. Zur näheren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. März 2017 – AN 9 K 16.30144 – Bezug genommen, mit dem das Gericht auch der Rechtsprechung zahlreicher Verwaltungsgerichte sowie von Oberverwaltungsgerichten folgt (vgl. OVG NRW, B.v. 5.11.2014 – 16 A 307/14.A; VG Köln, U.v. 15.2.2016 – 13 K 4219/14.A; VG Saarlouis, U.v. 22.1.2015 – 6 K 813/13; VG Minden, U.v. 11.9.2014 – 1 K 1940/14.A; VG Aachen, U.v. 16.1.2014 – 5 K 2027/12.A; VG Gelsenkirchen, U.v. 29.3.2012 – 2a K 4589/10.A; VG Düsseldorf, U.v. 26.3.2010 – 1 K 6554/09.A). Zum anderen hat der Antragsteller bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 2. Februar 2017 keinerlei asylrechtlich relevante Verfolgungshandlungen vorgetragen. Was die von ihm erwähnten Schläge anbelangt, die ihm nach eigenen Angaben in seinem Camp zugefügt worden sind, ist die Verantwortlichkeit eines staatlichen Akteurs hierfür nicht erkennbar. Sein Vortrag, er könne vielleicht mit der rechtsextremen Rajakar-Gruppe in Verbindung gebracht werden, entbehrt jeglicher Substantiierung.
Auch an der Richtigkeit des Anspruchs, dass dem Kläger ein Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht zustehe, hat das Gericht keinen ernstlichen Zweifel. Umstände, aus denen hervorgehen könnte, dass ihm bei seiner Rückkehr ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG droht, wurden über eine allgemeine Schilderung der schlechten wirtschaftlichen Lage in Bangladesch hinaus nicht vorgetragen und solche sind auf Grundlage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel auch nicht ersichtlich.
Auch die Verneinung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG wird einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich standhalten. Ausschlaggebend ist insbesondere die Erwägung, dass der Antragsteller jung und arbeitsfähig ist. Es ist daher nicht einzusehen, warum er nicht grundsätzlich in der Lage sein sollte, sich in seinem Heimatland eine für bangladeschische Verhältnisse angemessene, bescheidene Existenzgrundlage zu schaffen.
Das Gericht hat auch keine ernstlichen Zweifel daran, dass sich das Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 2 AsylG stützen lässt. Die Schilderungen des Antragstellers bei seiner Anhörung lassen den deutlichen Schluss zu, dass er nur aus wirtschaftlichen Gründen sein Heimatland verlassen und in der Bundesrepublik Deutschland Asylantrag gestellt hat.
Die dem Antragsteller in Ziffer 5 des Bescheids gesetzte Ausreisefrist von einer Woche und die Abschiebungsandrohung ergeben sich aus den §§ 34 Abs. 1 und 26 Abs. 1 AsylG – ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht.
Zur weiteren Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die insoweit zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 80 AsylG.