Verwaltungsrecht

Pflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen

Aktenzeichen  6 ZB 17.2087

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2393
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 3
BayGO Art. 62 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Gemeinden sind nach der Soll-Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 S. 3 BayKAG grundsätzlich verpflichtet, für die Erneuerung oder Verbesserung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Straßenausbaubeiträge von den Eigentümern und Erbbauberechtigten der bevorteilten Grundstücke zu erheben; insbesondere haben die Gemeinden eine entsprechende Beitragssatzung zu erlassen (Fortführung von BayVGH BeckRS 2016, 54104). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nur unter besonderen – atypischen – Umständen darf eine Gemeinde von der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen absehen und dadurch die Finanzierung beitragsfähiger Straßenbaumaßnahmen von den Begünstigten auf die Allgemeinheit verlagern. Für die Beurteilung, ob ein solcher atypischer Fall vorliegt, ist ihr kein Spielraum eingeräumt; sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörden und die Gerichte (Fortführung von BayVGH BeckRS 2016, 54104).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Besondere atypische Umstände, aufgrund derer ausnahmsweise vom Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung abgesehen werden kann, liegen grundsätzlich nicht vor, wenn eine Gemeinde – in nicht unerheblichem Umfang – Kredite aufnimmt oder Steuern einnimmt (Fortführung von BayVGH BeckRS 2016, 54104). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4 Es ist kein tragfähiger sozialer oder finanzwirtschaftlicher Grund ersichtlich, aus dem eine Gemeinde zugunsten der Eigentümer und Erbbauberechtigten der von beitragsfähigen Straßenbaumaßnahmen bevorteilten Grundstücke auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen mit der Folge verzichten darf, dass die in Rede stehenden Mittel von Anderen aufgebracht werden müssen oder zur Erfüllung anderer gemeindlicher Aufgaben fehlen (Fortführung von BayVGH BeckRS 2016, 54104). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 2 K 15.5159 2017-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. März 2017 – M 2 K 15.5159 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin, eine Stadt, wendet sich gegen eine rechtsaufsichtliche Beanstandung durch das Landratsamt.
Die Klägerin hatte im Jahr 2015 beschlossen, künftig keine Straßenausbaubeiträge nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG von den Anliegern mehr zu erheben und die bestehende Ausbaubeitragssatzung aufzuheben. Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 beanstandete das Landratsamt die von der Klägerin gefassten Beschlüsse rechtsaufsichtlich und forderte diese unter Androhung der Ersatzvornahme auf, die Beschlüsse aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 7. März 2017 abgewiesen, weil die rechtsaufsichtlichen Maßnahmen des Landratsamtes rechtmäßig seien und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzten.
Der Antrag der Klägerin‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ bleibt ohne Erfolg. Die hiergegen fristgerecht geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO wurden bereits nicht in der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt.
1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat die Klägerin nicht dargelegt.
Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Diesen Darlegungsanforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht.
Die Klägerin wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, „ob die durch das Verwaltungsgericht angewandten und interpretierten landesrechtlichen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes und der Bayerischen Gemeindeordnung (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG, Art. 62 Abs. 2 und 3 GO) bezüglich der Beschaffung kommunaler Finanzmittel durch eine Gemeinde in dieser gebotenen Weise es erlauben, die verfassungsrechtlich verbürgte Satzungsautonomie von Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG) derart zu beschränken, als dass nunmehr entgegen der Wortwahl des Gesetzes der absolut obligatorische Grundsatz des Erhebungsgebots von Beiträgen für Straßenausbau durch kommunale Satzung bestehen soll“.
Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich auf der Grundlage des Gesetzes und der vorhandenen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und – soweit Bundesrecht angesprochen ist – des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten lässt. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG (i.d.F. der Bek. vom 4.4.1993 GVBl S. 264, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.3.2016, GVBl S. 36) sollen für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet, (Straßenausbau-)Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Der Senat hat mit Urteil vom 9. November 2016 – 6 B 15.2732 – (BayVBl 2017, 200 ff.) entschieden, dass die Gemeinden nach der Soll-Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG grundsätzlich verpflichtet sind, für die Erneuerung oder Verbesserung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Straßenausbaubeiträge von den Eigentümern und Erbbauberechtigten der bevorteilten Grundstücke zu erheben und insbesondere eine entsprechende Beitragssatzung zu erlassen. Nur unter besonderen – atypischen – Umständen darf eine Gemeinde von der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen absehen und dadurch die Finanzierung beitragsfähiger Straßenbaumaßnahmen von den Begünstigten vollständig auf die Allgemeinheit verlagern. Für die Beurteilung, ob ein solcher atypischer Fall vorliegt, ist ihr kein Spielraum eingeräumt; sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch die Rechtsaufsichtsbehörden und Gerichte. Unter Berücksichtigung der in Art. 62 Abs. 2 und 3 GO festgelegten Grundsätze der Einnahmebeschaffung verbleibt nur ein sehr eng begrenzter Bereich, innerhalb dessen vom Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung abgesehen werden kann. Besondere atypische Umstände, aufgrund derer ausnahmsweise vom Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung abgesehen werden kann, liegen grundsätzlich nicht vor, wenn eine Gemeinde – in nicht unerheblichem Umfang – Kredite aufnimmt oder Steuern einnimmt. Es ist kein tragfähiger sozialer oder finanzwirtschaftlicher Grund ersichtlich, aus dem eine Gemeinde zugunsten der Eigentümer und Erbbauberechtigten der von beitragsfähigen Straßenbaumaßnahmen bevorteilten Grundstücke auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen mit der Folge verzichten darf, dass die in Rede stehenden Mittel von Anderen aufgebracht werden müssen oder zur Erfüllung anderer gemeindlicher Aufgaben fehlen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 16. November 2017 – 10 B 2.17 – (juris) die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. November 2016 zurückgewiesen. Hierbei hat es bekräftigt, dass es in einem Revisionsverfahren von der berufungsgerichtlichen Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG auszugehen hätte, wonach diese Regelung den Gemeinden bei ihrer Entscheidung über die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen keinen Beurteilungsspielraum einräumt und die Annahme eines atypischen Falls, der ein Abweichen von der „Soll“-Regelung rechtfertigt, von der Aufsichtsbehörde und von den Verwaltungsgerichten vollständig überprüft wird. Diese Auslegung entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu „Soll“-Regelungen im Bereich des revisiblen Rechts (BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – BVerwGE 153, 353/359). Die kommunale Finanzhoheit ist als Ausprägung der verfassungsrechtlich garantierten gemeindlichen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Der Gesetzgeber ist befugt, sie inhaltlich auszuformen und zu begrenzen. Er hat dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf nicht in den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung eingreifen (BVerfG, B.v. 27.1.2010 – 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04 – juris Rn. 91 ff.; BVerwG, B.v. 16.11.2017 – 10 B 2.17 – juris Rn. 6; U.v. 27.10.2010 – 8 C 43.09 – juris Rn. 94 ff.). Der Gesetzgeber kann den Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise dadurch ausfüllen, dass er eine Beitragserhebungspflicht der Gemeinden anordnet, ohne ihnen dabei einen Ermessensspielraum zu belassen (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1996 – 8 B 205.96 – juris Rn. 4). Ebenso wenig ist er zur Einräumung eines Beurteilungsspielraums der Gemeinden verpflichtet, wenn er anstelle einer ausnahmslos zwingenden Regelung Raum für eine Abweichung von der Beitragserhebungspflicht in atypischen Fällen lässt (BVerwG, B.v. 16.11.2017 – 10 B 2.17 – juris Rn. 6).
Der Zulassungsantrag zeigt nicht substantiiert auf, inwiefern erneuter oder weitergehender landesrechtlicher oder bundesrechtlicher Klärungsbedarf bestehen soll.
2. Der Zulassungsantrag der Klägerin enthält keine Gesichtspunkte, die eine Divergenz im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO begründen können.
Eine Divergenz ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Rechtsmittelführers divergierenden Rechts- oder Tatsachensätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2017 – 1 B 22.17 – juris Rn. 19 m.w.N.). Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen (ständige Rechtsprechung, u.a. BVerwG, B.v. 25.7.2017 – 6 B 44.17 – juris Rn. 8; B.v. 3.3.2017 – 6 B 15.17 juris Rn. 11; B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 S. 14). Die Behauptung einer – angeblich – fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht.
Daran gemessen zeigt der Zulassungsantrag eine Divergenz nicht auf. Er unterstellt lediglich, dass das Verwaltungsgericht von der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. März 1999 – 4 B 98.1349 – (BayVBl 1999, 408) abgewichen sei, ohne aber dabei sich widersprechende, die Entscheidung jeweils tragende abstrakte Rechts- oder Tatsachensätze herauszuarbeiten. In dem herangezogenen Urteil vom 10. März 1999 hatte der 4. Senat entschieden, dass ein Bürgerbegehren, das die Aufhebung vorhandener Straßenausbaubeitragssatzungen zum Ziel hat, grundsätzlich wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG unzulässig ist. Der Begriff „sollen“ in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG habe – wie bei Sollvorschriften in anderen Gesetzen auch – grundsätzlich verbindlichen Charakter, d.h. die Gemeinde sei grundsätzlich zur Beitragserhebung verpflichtet und dürfe Ausbaumaßnahmen nur in Ausnahmefällen vollständig aus allgemeinen Deckungsmitteln finanzieren. Es müssten besondere Umstände vorliegen, die es – ausnahmsweise – rechtfertigen könnten, von der Beitragserhebung abzusehen. Die ersatzlose Aufhebung einer vorhandenen und über Jahre angewandten Straßenausbaubeitragssatzung ohne Vorliegen besonderer Umstände verstoße jedenfalls gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG und sei deshalb rechtswidrig.
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil keinen hiervon abweichenden Rechts- oder Tatsachensatz aufgestellt. Im Gegenteil ist es den vom 4. Senat aufgestellten Rechtssätzen einschränkungslos gefolgt. Es hat sich in den Entscheidungsgründen seines Urteils (UA S. 8 bis 14) den rechtlichen Ausführungen des – für das Straßenausbaubeitragsrecht zuständigen – 6. Senats in dem rechtskräftigen Urteil vom 9. November 2016 angeschlossen, der denselben rechtlichen Maßstab anwendet wie ihn der 4. Senat seinem Urteil vom 10. März 1999 zugrunde gelegt hat. Darüber hinaus werden lediglich die Voraussetzungen präzisiert, bei deren Vorliegen ein atypischer Ausnahmefall anzunehmen wäre, der den Erlass und die Vorhaltung einer Straßenausbaubeitragssatzung entgegen der gesetzlichen Sollregelung des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG ausnahmsweise in das Ermessen einer Gemeinde stellen würde. Dass aber das Absehen von solchen Präzisierungen im Urteil vom 10. März 1999 den ausdrücklichen Rechtssatz enthalten könnte, diese seien rechtlich ausgeschlossen, zeigt der Zulassungsantrag nicht nachvollziehbar auf. Eine Divergenz im Sinn voneinander abweichender Rechtssätze ist daher auch unter dem Gesichtspunkt eines „beredten Schweigens“ nicht ansatzweise erkennbar (vgl. BVerwG, B.v. 25.7.2017 – 6 B 44.17 – juris Rn. 9; B.v. 6.7.2016 – 1 B 39.16 – juris Rn. 18).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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