Verwaltungsrecht

Pflicht zur Vorlage des ausländischen Führerscheins nur bei gleichzeitiger sofortigen Vollziehbarkeit der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung

Aktenzeichen  11 CS 17.315

Datum:
9.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 708
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 28 Abs. 4 S. 2, § 47 Abs. 1 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 47 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Erlässt die Fahrerlaubnisbehörde nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Fahrberechtigung und wird dieser angefochten, besteht die Pflicht zur Vorlage des ausländischen Führerscheins nach § 47 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV nur dann, wenn auch der feststellende Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist.
2. Um einen entsprechenden Sperrvermerk in den Führerschein eintragen zu können, muss die Fahrerlaubnisbehörde daher sowohl die Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung als auch die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins für sofort vollziehbar erklären.

Verfahrensgang

AU 7 S 16.1776 2017-01-23 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Aufhebung der Nummer 3 ihres Bescheids vom 12. September 2016, mit der sie die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung zur Vorlage des polnischen Führerscheins des Antragstellers angeordnet hat.
Der Antragsteller verzichtete am 26. Mai 2008 auf seine Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (alt), nachdem er am 28. Juli 2007 mit einem Blutalkoholwert von 1,99 ‰ ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hatte.
Am 1. März 2011 stellte ihm die Behörde in Most, Tschechische Republik, einen Führerschein für die Fahrerlaubnisklasse B aus. In der Spalte 10 ist als Datum der Erteilung der 1. März 2011 eingetragen.
Nachdem die Antragsgegnerin von diesem Führerschein Kenntnis erlangt hatte, holte das Kraftfahrt-Bundesamt auf ihre Bitte eine Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums ein. Das Ministerium teilte am 28. Februar 2014 mit, der Führerschein sei gültig. Hinsichtlich der Fragen nach einem Wohnort für 185 Tage im Jahr, Familienangehörige, Unterkunft usw. ist jeweils „unbekannt“ angekreuzt. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 24. März 2015 auf, den tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Dem kam der Antragsteller nicht nach.
Mit Schreiben vom 6. April 2016 teilte das tschechische Verkehrsministerium mit, der Antragsteller habe seinen tschechischen Führerschein in einen polnischen Führerschein umgetauscht. Aus einem Auszug aus dem Europäischen Fahrzeug- und Fahrerlaubnis-Informations-System (Eucaris) ergibt sich, dass die Behörde Starosta Opolski dem Antragsteller am 21. April 2015 einen polnischen Führerschein mit der Nummer 00472151609 ausgestellt hat, der eine Fahrerlaubnis der Klasse B, erteilt am 1. März 2011, mit der Schlüsselzahl 70 bescheinigt.
Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 26. April 2016 auf, den polnischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen.
Mit Bescheid vom 12. September 2016 stellte die Antragsgegnerin fest, dass die polnische Fahrerlaubnis den Antragsteller nicht berechtige, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen (Nr. 1 des Bescheids). Sie verpflichtete den Antragsteller, den am „24. April 2015“ ausgestellten polnischen Führerschein mit der Nummer 00472151609 unverzüglich vorzulegen (Nr. 2) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nummer 2 des Bescheids an (Nr. 3). Unter Nummer 6 drohte sie ein Zwangsgeld für die Nichtvorlage des unter Nummer 1 genannten Führerscheins an. Zur Begründung des Sofortvollzugs führte die Antragsgegnerin aus, diese liege im überwiegenden öffentlichen Interesse, da der Antragsteller ansonsten den ausländischen Führerschein missbräuchlich verwenden könne.
Über die gegen den Bescheid vom 12. September 2016 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Augsburg noch nicht entschieden (Az: Au 7 K 16.1445). Auf den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Januar 2017 Nummer 3 des Bescheids vom 12. September 2016 aufgehoben und den Antrag im Übrigen abgelehnt.
Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus, die Anordnung des Sofortvollzugs sei nicht hinreichend begründet i.S.d. § 80 Abs. 3 VwGO. Es fehlten Erwägungen dazu, weshalb nur die Pflicht zur Vorlage des Führerscheins, nicht aber die Feststellung, dass der polnische Führerschein den Antragsteller nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtige, für sofort vollziehbar erklärt worden sei.
Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 18. August 2010 (11 CS 10.785) geltend, die Behörde müsse keinen feststellenden Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV erlassen. Es sei daher unerheblich, wenn dieser Verwaltungsakt nicht für sofort vollziehbar erklärt werde und die Anfechtungsklage dagegen aufschiebende Wirkung habe. Die fehlende Fahrberechtigung ergäbe sich ohnehin aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerde-verfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts im Ergebnis rechtswidrig wäre.
Die Anordnung des Sofortvollzugs der Pflicht zur Vorlage des polnischen Führerscheins leidet allerdings nicht an einem Begründungsmangel nach § 80 Abs. 3 VwGO, sondern es fehlt an der sofortigen Vollziehbarkeit der in Nummer 1 des Bescheids getroffenen Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung, die zur sofortigen Durchsetzung der Vorlagepflicht aber erforderlich ist.
Es trifft zwar zu, dass nach § 28 Abs. 4 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), ein feststellender Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung nach § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV nicht zwingend erlassen werden muss, sondern im Ermessen der Behörde steht (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 28 FeV Rn. 56; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 1. Aufl. 2014, § 28 FeV Rn. 45). Das Ermessen ist jedoch intendiert, sobald ein Feststellungsinteresse besteht, also regelmäßig dann, wenn unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob der EU-Führerschein anzuerkennen ist oder nicht (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2016 – 11 CE 16.15 – juris Rn. 11; Dauer a.a.O. Rn. 56). Im Rahmen der Ermessensausübung ist auch zu berücksichtigen, dass die Feststellung über die fehlende Fahrberechtigung nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. November 2016 (BGBl I S. 2722), und § 59 Abs. 1 Nr. 9 FeV in das Fahreignungsregister eingetragen werden kann, während die bloße Anordnung der Vorlage des EU-Führerscheins keine solche Eintragung erlaubt. Außerdem wird in der strafgerichtlichen Rechtsprechung zumindest für bestimmte Fallgestaltungen der Erlass eine feststellenden Verwaltungsakts nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV für notwendig erachtet, um eine Tatbestandswirkung für § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) zu begründen (vgl. AG Bünde, B.v. 1.2.2016, 1 Ds 545/15 – juris Rn. 92).
Wird jedoch ein feststellender Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV erlassen und dieser mit Widerspruch oder Anfechtungsklage angegriffen, so besteht nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV nur dann eine Pflicht zur Vorlage des ausländischen Führerscheins, wenn die Feststellung über die fehlende Fahrberechtigung für sofort vollziehbar erklärt worden ist. Nur in diesem Fall ist der Betreffende nach § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV zur Vorlage seines EU-Führerscheins verpflichtet und diese Pflicht kann ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt werden (vgl. BayVGH, B.v. 11.7.2016 – 11 CS 16.1084, v. 22.8.2016 – 11 CS 16.1230, v. 7.2.2017 – 11 CS 16.2562 – alle in juris).
Die Auffassung des Senats in seinem Beschluss vom 18. August 2010 (11 CS 10.785 – juris), dass bei fehlender sofortiger Vollziehbarkeit der Feststellung über die fehlende Fahrberechtigung die Rechtslage so zu bewerten ist, als wäre der feststellende Verwaltungsakt nicht erlassen worden, kann nach der Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung durch die Erste Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 17. Dezember 2010 (BGBl I S. 2279) nicht aufrecht erhalten werden. Mit dieser Änderung wurde in § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV zusätzlich zu dem Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Möglichkeit der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung eingefügt. Damit gilt auch hinsichtlich der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung die Verweisung in § 47 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FeV auf § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV. Danach besteht die Verpflichtung zur Ablieferung oder Vorlage des Führerscheins auch, wenn die Entscheidung angefochten worden ist, die zuständige Behörde jedoch die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung (hier: ihrer Feststellung) angeordnet hat. Im Umkehrschluss besteht keine durchsetzbare Vorlagepflicht, wenn die Verfügung angefochten und insoweit kein Sofortvollzug angeordnet worden ist.
Die Begründung zur Ersten Änderungsverordnung (BR-Drs. 580/10, S. 28) bestätigt dieses Ergebnis. Danach sollen die Verfahrensregelungen in § 47 FeV an die neue Möglichkeit, bezüglich der Gültigkeit ausländischer Fahrerlaubnisse in Deutschland einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Fahrberechtigung zu erlassen, angepasst werden. Daraus ist ersichtlich, dass das Verfahren bei der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung dem Verfahren bei der Entziehung der Fahrerlaubnis angepasst werden sollte und es damit auch erforderlich ist, hinsichtlich der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung den Sofortvollzug anzuordnen, wenn die zugleich verfügte und für sofort vollziehbar erklärte Vorlagepflicht vor Bestandskraft des feststellenden Verwaltungsakts durchgesetzt werden soll.
Im Übrigen kann die fehlende Fahrberechtigung auch nur dann vor Unanfechtbarkeit des feststellenden Verwaltungsakts nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG ins Fahreignungsregister eingetragen werden, wenn diesbezüglich der Sofortvollzug angeordnet ist. Darüber hinaus werden durch die Anordnung des Sofortvollzugs Zweifel hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 21 StGB unmittelbar ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts ausgeschlossen (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 28 FeV Rn. 57). Ist nur die Vorlagepflicht sofort vollziehbar, bestünde demgegenüber die widersprüchliche Situation, dass zwar ein Sperrvermerk in den EU-Führerschein eingetragen werden könnte, die Klage gegen den feststellenden Verwaltungsakt aber aufschiebende Wirkung hat und damit weiterhin nicht verbindlich geklärt ist, ob der Betreffende von der EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch machen darf. Durch die Möglichkeit des Erlasses eines feststellenden Verwaltungsakts sollte aber gerade Rechtssicherheit auch hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG geschaffen werden (vgl. Empfehlungen des Verkehrsausschusses zur Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung, BR-Drs. 851/1/08, S. 3). Deshalb erscheint es folgerichtig, dass im Falle des Erlasses eines feststellenden Verwaltungsakts die Eintragung eines Sperrvermerks nur dann erfolgen kann, wenn die Feststellung über die fehlende Fahrberechtigung sofort vollziehbar ist.
Darüber, ob der Bescheid vom 12. September 2016 in allen seinen Nummern hinreichend bestimmt ist, da in Nummer 2 ein von der Eucaris-Auskunft vom 22. April 2016 abweichendes Erteilungsdatum des polnischen Führerscheins genannt ist und in Nummer 6 ein Zwangsgeld für die Nichtvorlage des in Nummer „1“ genannten Führerscheins angedroht wird, obgleich die Vorlagepflicht in Nummer 2 des Bescheids geregelt ist und in Nummer 1 nur festgestellt wird, dass die polnische Fahrerlaubnis den Antragsteller nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtige, und ob die vorliegenden Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat einen Wohnsitzverstoß hinreichend belegen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris), braucht deshalb hier nicht entschieden zu werden.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 1.7.1 entsprechend und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/ Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14), da nur noch der Sofortvollzug hinsichtlich der Vorlagepflicht im Streit steht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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