Verwaltungsrecht

Pflichten des unzuständigen Gerichts bei Eingang eines Rechtsmittels

Aktenzeichen  1 U 2428/16

Datum:
1.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 128603
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 78, § 233, § 517

 

Leitsatz

1. Die Berufungseinlegung bei einem unzuständigen Gericht kann einen Anspruch auf Wiedereinsetzung begründen, wenn dem Gericht im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsganges eine rechtzeitige Weiterleitung an das zuständige Gericht möglich gewesen wäre und auch hätte veranlasst werden müssen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das unzuständige Gericht ist nicht verpflichtet, ein Rechtsmittel per Fax an das zuständige Gericht weiterzuleiten oder den Bevollmächtigten des Rechtsmittelführers telefonisch oder per Telefax innerhalb der Berufungsfrist von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten.   (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 O 17578/12 2016-04-11 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I.Der Wiedereinsetzungsantrag der Kläger vom 02.06.2016 wird zurückgewiesen.
II.Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.04.2016, Az: 9 O 17578/12, zu verwerfen.
III.Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 260.000.-Euro festzusetzen.
IV.Die Parteien erhalten Gelegenheit, zum Hinweis des Senats unter Ziffer II und III binnen zwei Wochen nach Zustellung Stellung zu nehmen.

Gründe

I.
Der Wiedereinsetzungsantrag der Kläger vom 02.06.2016 war zurückzuweisen. Die Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist darf einer Partei nur gewährt werden, wenn diese die Frist schuldlos versäumt hat (§ 233 ZPO). Dabei steht das (nachgenannte) Verschulden von deren Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Das mit der Berufung angegriffene Urteil des Landgerichts München I vom 11.04.2016 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger ausweislich dessen Empfangsbekenntnisses am 18.04.2016 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung endete somit am 18.05.2016. Die Berufung des Klägers, verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ging erst am 02.06.2016 beim Oberlandesgericht München ein.
Die Kläger bzw. deren Prozessbevollmächtigte haben die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO schuldhaft versäumt.
Der Berufungsschriftsatz vom 18.05.2016 war unstreitig an das Landgericht München I und damit nicht an das für die Berufungseinlegung zuständige Oberlandesgericht München gerichtet.
Dem Antragsteller ist einzuräumen, dass die Berufungseinlegung bei einem unzuständigen Gericht dann einen Anspruch auf Wiedereinsetzung begründen kann, wenn diesem im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsganges eine rechtzeitige Weiterleitung an das zuständige Gericht möglich gewesen wäre und auch hätte veranlasst werden müssen.
Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befasst gewesenen Gericht eingeht, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann und die Partei hierauf vertrauen durfte (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.01.2001 – 1 BvR 2147/00 – bei juris Rn. 8 ff; BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 – 1 BvR 166/93 -, bei juris Rn. 48; BGH, Beschluss vom 06.11.2008 – IX ZB 208/06, bei juris Rn. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 37. Auflage, § 233 Rn. 14 m.w.N.).
Vorliegend ging der Berufungsschriftsatz erst am 18.05.2016 gegen 13.00 Uhr bei der Geschäftsstelle des Landgerichts ein. Der genaue Zeitpunkt ist hierbei unerheblich. Die Erwartung, dass die Berufungseinlegung bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch rechtzeitig das Berufungsgericht erreichen würde, war im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Eine Pflicht des Gerichts, bereits kurz nach Eingang der eingehenden Post diese zu bearbeiten, besteht nicht. Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsganges war allenfalls mit einer Bearbeitung am nächsten Morgen zu rechnen. Selbst wenn noch am Nachmittag des 18.05.2016 eine Weiter leitung der Berufung im Rahmen des ordentlichen Geschäftsganges erfolgt wäre, wäre ein Eingang beim Oberlandesgericht erst am folgenden Tag erfolgt, so dass die Frist auch dann abgelaufen wäre (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 06.11.2008 – IX ZB 208/06, bei juris Rn. 8).
Eine Verpflichtung des Gerichts, die Berufung selbst per Fax weiterzuleiten oder den Prozessbevollmächtigten der Kläger telefonisch oder per Telefax innerhalb der Berufungsfrist von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten, besteht hingegen nicht. Andernfalls würden die Anforderungen an die rechtliche Fürsorgepflicht überspannt werden und die Prozessbevollmächtigten von ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Formalien sachwidrig entlastet werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.01.2001, 1 BvR 2147/00, bei juris Rn. 11; BGH Beschluss vom 14.05.2014 – XII ZB 689/13, bei juris Rn. 29).
II.
Da, wie unter I. ausgeführt, den Klägern keine Wiedereinsetzung gewährt werden kann, wird deren Berufung als unzulässig zu verwerfen sein (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Den Klägern wird daher aus Kostengründen angeraten, die verspätet eingelegte Berufung zurückzunehmen.
III.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren entspricht dem in erster Instanz festgesetzten Streitwert (vgl. Protokoll des Landgerichts vom 21.09.2015, Bl. 253 d. A.).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen