Aktenzeichen 3 ZB 13.396
Leitsatz
Ein Unfallgeschehen muss sich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes ereignen, um noch ein “plötzliches Ereignis” im Sinne des Dienstunfallrechts (§ 31 Abs. 1 S. 1 BeamtVG) zu sein. Eine generelle zeitliche Festlegung, was als kurzer Zeitraum anzusehen ist, gibt es allerdings nicht. Das Tatbestandsmerkmal “plötzliches Ereignis“ dient vielmehr der Abgrenzung eines Dienstunfalls gegenüber schädliche Dauereinwirkungen (zB durch gesundheitsgefährdende Stoffe oder sog. „Mobbing“), die grundsätzlich kein “plötzliches Ereignis” sind. Bei Vorfällen an zwei oder drei aufeinanderfolgenden Tagen kann noch ein “plötzliches Ereignis” vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M K 12.4927 2012-12-12 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 €festgesetzt.
Gründe
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (tatsächliche/rechtliche Schwierigkeiten) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, die Ereignisse vom 16. und 18. April 2008, bei denen der Vater eines Schülers einen anderen Schüler im Schullandheim bzw. bei Rückkehr aus dem Schullandheim in Gegenwart des Klägers als aufsichtführende Lehrkraft bedroht hat, als Dienstunfall i. S. d. § 31 BeamtVG (nach § 108 Abs. 1 BeamtVG in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung vom 31.8.2006, vgl. BayVGH, U. v. 24.4.2015 – 3 B 14.1141 – juris Rn. 22; gleichlautend Art. 46 BayBeamtVG) mit der Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer reaktiven Depression anzuerkennen. Der 1959 geborene Kläger, der als Hauptschullehrer (BesGr A 12 + AZ) im Dienst des Beklagten stand, ist seit Juni 2009 dienstunfähig erkrankt und wurde zum 1. Juli 2010 in den Ruhestand versetzt. Mit Bescheid des Versorgungsamts vom 26. Mai 2010 wurde dem Kläger u. a. wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ein GdB von 50 zuerkannt.
Das Verwaltungsgericht hat bezüglich der beiden Vorfälle vom 16. und 18. April 2008 aufgrund des von ihm eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. D. vom 7. August 2012 sowie aufgrund von dessen Erläuterung in der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2012 zutreffend einen Dienstunfall i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG (Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG) bejaht. Danach ist Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich rechtsfehlerfrei darauf abgestellt hat, dass die beiden Vorfälle aufgrund des engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit dem Schullandheimaufenthalt auch in ihrer Zusammenschau noch als ein Ereignis im Rechtssinn, das die o.g. Merkmale eines Dienstunfalls erfüllt, anzusehen sind.
Hiergegen kann der Beklagte nicht einwenden, dass es sich bei den beiden Vorfällen nicht um ein plötzliches Ereignis gehandelt habe, da zwischen ihnen nahezu zwei Tage gelegen hätten bzw. – lege man die Aussage des Sachverständigen zugrunde, wonach es sich um ein „in sich verwobenes Geschehen“ gehandelt habe, – sich das Geschehen sogar auf drei Tage erstreckt hätte. Geschehnisse, die über mehrere Dienstschichten bzw. Tage dauerten, erfüllten aber nicht die Voraussetzungen eines plötzlichen Ereignisses.
Damit verkennt er jedoch den Inhalt des Tatbestandsmerkmals „plötzliches Ereignis“. Das Unfallgeschehen muss sich zwar in einem relativ kurzen Zeitraum ereignen und wirken. Dabei wird in der gesetzlichen Unfallversicherung als „plötzlich“ noch ein Ereignis angesehen, das im Zeitraum längstens einer Arbeitsschicht eingetreten ist. Dies kann in bestimmten Fällen auch als Maßstab für ein Unfallereignis i. S. d. § 31 Abs. 1 BeamtVG (Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG) herangezogen werden (BayVGH, B. v. 25.10.2012 – 3 ZB 10.2737 – juris Rn. 5). Eine generelle zeitliche Festlegung, was als kurzer Zeitraum anzusehen ist, gibt es hingegen nicht. Das Tatbestandsmerkmal „plötzliches Ereignis“ dient vielmehr der Abgrenzung eines Dienstunfalls gegenüber einer länger dauernden Einwirkung. Schädliche Dauereinwirkungen im dienstlichen Bereich durch gesundheitsgefährdende Stoffe (BayVGH, U. v. 17.5.1995 – 3 B 94.3181 – juris Rn. 18), steigende Arbeitsbelastung (BayVGH, B. v. 12.9.2011 – 3 ZB 09.1477 – juris Rn. 2) oder sog. „Mobbing“ (BayVGH, B. v. 4.5.2011 – 3 ZB 09.2463 – juris Rn. 3) stellen deshalb grundsätzlich kein plötzliches Ereignis dar.
Vorliegend geht es jedoch nicht um eine länger dauernde schädliche Einwirkung im vorgenannten Sinne, sondern um zwei hintereinander aufgetretene Vorfälle, die sich in einem relativ kurzen Zeitraum von zwei bis maximal drei aufeinanderfolgenden Tagen ereignet haben und zu einem Körperschaden in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer reaktiven Depression beim Kläger geführt haben. Aufgrund des vom Verwaltungsgericht zu Recht bejahten engen sowohl zeitlichen wie auch sachlichen Zusammenhangs mit dem Schullandheimaufenthalt sind diese Vorfälle auch in ihrer Zusammenschau noch als ein Ereignis im Rechtssinn, das die Merkmale eines Dienstunfalls i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG (Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG) erfüllt, anzusehen, das sich aufgrund seines Ausnahmecharakters auch eindeutig vom sonstigen Schulalltag außerhalb des Schullandheimaufenthalts abgrenzen lässt. Der Kläger hatte während der Dauer des Schullandheimaufenthalts – anders als im normalen Schulbetrieb – auch rund um die Uhr die Aufsichts- und Fürsorgepflicht für die ihm anvertrauten Schüler wahrzunehmen, auch wenn es sich dabei nicht um eine Dienstschicht i. S. d. Arbeitszeitrechts handelte.
Im Übrigen hat der Sachverständige Prof. Dr. D. bereits durch das Ereignis vom 16. April 2008 das Kriterium gemäß DSM-IV für ein sog. Eingangsereignis als gegeben angesehen, das durch das weitere Geschehen lediglich intensiviert und perpetuiert worden sei, so dass jedenfalls deshalb davon auszugehen ist, dass sich das Unfallgeschehen plötzlich und während einer Arbeitsschicht ereignet hat sowie zu den festgestellten psychischen Erkrankungen führte. An der Plötzlichkeit des Ereignisses ändert auch nichts, dass der Kläger gegenüber dem Sachverständigen (Gutachten vom 7.8.2012 S. 31 unten) angegeben hat, den Baseballschläger in der Hand des Begleiters des Schülervaters gar nicht so bemerkt zu haben und sich der Drohung des Schülervaters „Wir sind noch nicht fertig miteinander !“ damals nicht so bewusst gewesen zu sein, da der Sachverständige das Eingangsereignis an der gegenüber dem anderen Schüler ausgesprochenen Todesdrohung (Gutachten vom 7.8.2012 S. 50 unten) und nicht an einer Bedrohung des Klägers festgemacht hat.
Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass das Landgericht R. im Regressprozess (U. v. 14.9.2016 – 7 O 984/16) die Vorfälle nicht für hinreichend erwiesen erachtet habe, hat dieses lediglich die zivilrechtliche Vorhersehbarkeit einer Gesundheitsschädigung des Klägers als nicht nachgewiesen angesehen. Im Übrigen ist dieses Vorbringen auch verspätet (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
2. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache nicht die behaupteten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist.
3. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ergibt sich zudem, dass die Rechtssache auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufweist. Soweit der Beklagte die Frage aufwirft, ob für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals eines plötzlichen Ereignisses i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG bzw. Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG zwei verschiedene Ereignisse, zwischen denen fast zwei Tage liegen, oder ein sich verwobenes Geschehen über drei Tage ausreichen, lässt sich diese anhand der o.g. Rechtsprechung beantworten.
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).