Verwaltungsrecht

Polizeilicher Platzverweis mit Kontaktverbot

Aktenzeichen  W 5 S 17.1094

Datum:
25.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Art. 16 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen für einen vorübergehenden polizeilichen Platzverweis eines Wohnungsinhabers aus seiner eigenen Wohnung sind erfüllt, wenn bei Gewalttaten im sozialen Nahbereich aus einer ex-ante-Sicht aufgrund der erkennbaren Umstände des Einzelfalls in Form von Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen greifbaren Anhaltspunkten eine Fortsetzung häuslicher Gewalt zu befürchten ist (vgl. VG München BeckRS 2016, 50535). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein vorübergehender polizeilicher Platzverweis ist grundsätzlich bis zu dem Zeitpunkt zu befristen, in dem voraussichtlich nach dem Gewaltschutzgesetz eine Eilverfügung durch das Zivilgericht gegen den Störer ergehen kann, also erfahrungsgemäß für 10 bis 14 Tage (Fortführung von VG München BeckRS 2007, 36564). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten des Antragstellers wird abgelehnt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen ihm gegenüber von Polizeibeamten der Polizeiinspektion O. am 21. September 2017 um 1:30 Uhr ausgesprochenen befristeten polizeilichen Anordnungen (Platzverweis und Kontaktverbot).
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren W 5 K 17.1093 ist zulässig, aber unbegründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO, weil er sich gegen eine unaufschiebbare Anordnung von Polizeivollzugsbeamten wendet. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Hier ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass die Klage des Antragstellers gegen die bis 2. Oktober 2017 befristeten Anordnungen der Polizeiinspektion W.-Land vom 21. September 2017 voraussichtlich erfolglos sein wird.
Gegen die Rechtmäßigkeit des von der Polizeiinspektion O. am 21. September 2017 verfügten Platzverweises des Antragstellers und des angeordneten Kontaktverbots bzgl. seiner Ehefrau bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
Auf der Rechtsgrundlage des Art. 16 Satz 1 PAG, wonach die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Orts verbieten kann, ist der vorübergehende Platzverweis eines Wohnungsinhabers aus seiner eigenen Wohnung zulässig, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind bei Gewalttaten im sozialen Nahraum erfüllt, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine Fortsetzung häuslicher Gewalt zu befürchten ist. Die Gefahrenprognose muss auf erkennbaren Umständen, also Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen greifbaren Anhaltspunkten beruhen, ein bloßer Verdacht oder bloße Vermutungen reichen nicht (Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 3. Aufl. 2011, Art. 16 Rn. 41, 43; VG München, B.v. 29.2.2016 – M 7 K0 15.1383). Dabei ist für die gerichtliche Beurteilung der Gefahrenlage auf eine ex-ante-Sicht abzustellen.
Im Falle des Antragstellers ist die insoweit von den handelnden Polizeibeamten getroffene Gefahrenprognose rechtlich nicht zu beanstanden. Es lagen konkrete Anhaltspunkte für die tatsächliche Gefahr vor, dass der Antragstellerin seine Ehefrau bedrohen oder verletzen wird. Nach den Feststellungen der örtlichen Schwerpunkt-Sachbearbeiterin „Häusliche Gewalt“, Polizeioberkommissarin …, erschien die Ehefrau des Antragstellers am 21. September 2017 gegen 1:00 Uhr, emotional sichtlich aufgewühlt, bei der Polizeiinspektion O. und gab an, Anzeige erstatten zu wollen, da sie Angst vor ihrem Ehemann habe. Seit sie im Mai 2017 zusammengezogen seien, sei ihr Ehemann öfters betrunken gewesen und es sei immer wieder zu Streitigkeiten gekommen. Während einer solchen Streitigkeit sei sie von ihrem Mann auch einmal geschlagen und ein anderes Mal gegen die Wand geschubst worden. Sie sei schwanger, was auch ein Streitpunkt sei, da ihr Mann verlange, dass sie eine Abtreibung durchführen lasse, was sie aber ablehne. Die Ehefrau des Antragstellers gab weiter an, dass sie von ihrem Mann aufgefordert worden sei, die Wohnung zu verlassen, da sie sonst sehen werde, was passiere. Dies habe sie als verbale Drohung gedeutet, dass es zu Tätlichkeiten kommen könne, falls sie der Aufforderung nicht nachkomme. Sie sei deshalb aus Angst um sich und ihr ungeborenes Kind davon gelaufen und zur Polizei gegangen. Diese Angaben hat die Ehefrau des Antragstellers in schriftlicher Form bestätigt, wobei sie auf die ermittelnde Beamtin einen glaubhaften Eindruck machte.
Zwar wird der Vorfall vom 21. September 2017 von Seiten des Antragstellers anders dargestellt, wenn er in der „Versicherung an Eides Statt“ vom 21. September 2017 erklärt, dass er seiner Frau nichts angetan habe, es keinen Vorfall von häuslicher Gewalt gegeben habe, seine Frau versuche, ihm mit allen Mitteln das Leben schwer zu machen und ihn in die Türkei zu schicken und sie kurz vor Verlassen der Wohnung erklärt habe, dass sie jetzt zur Polizei gehe und dort Lügen erzählen werde und er dann aus der Wohnung geworfen werde. Gegen den Antragsteller spricht aber, dass er bereits im August 2017 wegen einer Streitigkeit mit seiner Ehefrau polizeilich in Erscheinung getreten ist. Am 12. August 2017 gegen 5:00 Uhr gingen mehrere Meldungen aus der Nachbarschaft bei der Polizeiinspektion O. ein. Der Antragsteller hat damals – so die Feststellungen der Polizeibehörde – in der Nacht seine Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung geworfen, die daraufhin bei ihren Eltern untergekommen ist. Der sichtlich stark alkoholisierte Antragsteller folgte ihr und machte seinem Ärger lautstark Luft. Den Aufforderungen der Polizeibeamten, sich nach Hause zu begeben, kam er nur widerwillig nach. Nach allem ist auf der Grundlage der von der Polizei festgestellten Tatsachen die Entscheidung aus der ex-ante-Sicht nicht zu beanstanden. Es lagen konkrete Anhaltspunkte für die tatsächliche Gefahr vor, dass der Antragsteller seine Ehefrau und deren ungeborenes Kind bedrohen bzw. verletzen wird.
Die Dauer der angeordneten Platzverweisung ist voraussichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Grundsätzlich endet die konkrete Gefahr voraussichtlich in dem Zeitpunkt, in dem nach dem Gewaltschutzgesetz eine Eilverfügung durch das Zivilgericht gegen den Störer ergehen kann. Erfahrungsgemäß kann der Zeitraum bis zur gerichtlichen Verfügung zwischen 10 und 14 Tagen betragen (vgl. VG München, B.v. 20.7.2007 – M 7 S. 07.2792 – juris; Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Art. 16 Rn. 47). Nach diesen Maßgaben begegnet der am 21. September 2017 angeordnete Platzverweis mit einer bis zum 2. Oktober 2017 begrenzten zeitlichen Wirkung keinen Bedenken.
Auch ein sonstiger Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 4 PAG ist nach summarischer Prüfung nicht gegeben. Insbesondere führt die Maßnahme nicht zu einem Nachteil, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (Art. 4 Abs. 2 PAG). Die mit der Maßnahme für den Antragsteller verbundenen Härten stehen nicht außer Verhältnis zu dem mit dem Platzverweis erstrebten Erfolg des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit der Ehefrau des Antragstellers.
Soweit von Seiten der Bevollmächtigten des Antragstellers vorgebracht wird, dass der Platzverweis unverhältnismäßig sei, weil er bis zum 2. Oktober 2017 angeordnet worden sei und er keine Möglichkeit habe, in dieser Zeit eine Unterkunft zu finden auch aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse und geringen Einkommensverhältnisse, kann dem die Kammer nicht folgen. Zum einen dürfte es wohl möglich sein, für einige Tage bei Bekannten unterzukommen (Familie …), zum anderen wäre der Antragsteller auf kommunale bzw. staatliche Hilfsangebote zu verweisen (vgl. Schmidbauer/Steiner, Bayer. Polizeiaufgabengesetz, Art. 16 Rn. 49).
Soweit der Antragsteller persönliche Dinge (z.B. Kleidung) aus der Wohnung benötigt, bleibt es ihm unbenommen, sich an die Polizei zu wenden, die ihm nach Absprache mit der Ehefrau des Antragstellers das Betreten der Wohnung zu diesem Zweck ermöglichen wird.
Das Kontaktverbot konnte nach Art. 11 Abs. 1 und 2 Nrn. 1 und 3 PAG angeordnet werden.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 63 Abs. 2 GKG.
3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hatte aus o.g. Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO), so dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe schon deshalb abzulehnen war. Auch wurde die zwingend vorgesehene formularmäßige Erklärung des Antragstellers über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 117 Abs. 3 und 4 ZPO nicht vorgelegt.

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