Verwaltungsrecht

Prekäre Sicherheitslage von Frauen und Mädchen in Süd- und Zentralsomalia

Aktenzeichen  M 11 K 15.31665

Datum:
5.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5

 

Leitsatz

Die Lage von Frauen und Mädchen in Süd- und Zentralsomalia ist besonders prekär, da sie den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung, Zwangsverheiratung und der systematischen Versklavung ausgesetzt sind, ohne dass ein wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe mangels staatlicher Autorität gewährleistet ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) beantragt war. Der Bescheid des Bundesamts für … vom 16. Dezember 2015 wird in den Nrn. 2 – 4 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Somalia vorliegen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 1/3, die Beklagte 2/3.
III.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg, soweit sie aufrechterhalten wurde.
Das Gericht kann entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Beteiligten wurden unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (vgl. § 102 Abs. 1 VwGO).
Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Klage ursprünglich einen weiter gehenden Streitgegenstand hatte. Zusammen mit der in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Beschränkung des Klageantrags auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurden gleichzeitig die übrigen Verpflichtungsanträge hinsichtlich Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutz zurückgenommen. Die Verfahrenseinstellung und Kostenentscheidung muss insoweit nicht gesondert durch Beschluss erfolgen. Vielmehr kann darüber gemeinsam im Urteil über den anhängig gebliebenen Streitgegenstand entschieden werden (vgl. BVerwG, U.v. 06.02.1963 – V C 24/61 -, NJW 1963, 923 = DVBl 1963, 522).
Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig und begründet.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Asylgesetz – AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Die Beklagte ist verpflichtet, bei der Klägerin das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen; der angefochtene Bescheid ist in den Nummer 2 bis 4, welche dieser Verpflichtung entgegen stehen, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
In Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots wird auf den Beschluss vom 13. Januar 2016 im Verfahren M 11 S 15.31666, dort insbesondere auf die Seiten 7 letzter Absatz bis 10 oben Bezug genommen.
Ob die umfangreichen vorgelegten ärztlichen Atteste (insbesondere die Schreiben von Dr. … vom 18.03.2015 und vom 24.02.2016, das Schreiben von … … vom 3.12.2014 sowie das Attest von Dr. … vom 24.02.2016) als Nachweis für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG ausreichen, kann dabei offen bleiben. Denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Somalia vom 1. Dezember 2015 ist die Lage von Frauen und Mädchen in Süd- und Zentralsomalia, woher die Klägerin jedenfalls stammt, weiterhin besonders prekär (S. 12 des Lageberichts). Sie bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen Versklavung ausgesetzt. Ein wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe ist dem Lagebericht zufolge mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet. Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen, häusliche Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet. Nach den sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergebenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Somalia ist davon auszugehen, dass das soziale Umfeld der Klägerin vorwerfen wird, in schwerwiegender Weise gegen die von Frauen einzuhaltenden Normen und Konventionen zu verstoßen. In vergleichbaren Fällen wird in den Entscheidungen der Kammer, welcher der entscheidende Richter angehört, in der Regel das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 3 AsylG – Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – angenommen (vgl. z. B. U.v. 22.04.2015 – M 11 K 14.30021), wenigstens wird die Zuerkennung subsidiären Schutzes gewährt. Das ist wegen des bereits durchgeführten negativ abgeschlossenen Asylverfahrens in der Slowakei wegen § 71 a AsylG i. V. m. § 51 VwVfG zwar nicht möglich. Jedoch spricht nichts dagegen, in einem derartigen Fall bei der immer noch zu prüfenden Frage eines Abschiebungsverbots auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG die o.g. Umstände in Bezug auf das mutmaßliche Schicksal einer jungen weiblichen und alleinstehenden Rückkehrerin zu berücksichtigen und bei Vorliegen der Voraussetzungen die Beklagte zur Gewährung desselben zu verpflichten.
Nach alledem ist der Klage, soweit sie aufrechterhalten wurde, stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i. V. m. § 155 Abs. 2 VwGO; unter Berücksichtigung des streitgegenständlichen Bescheids, der mit diesem Urteil überwiegend aufgehoben wird, ist die Kostenverteilung so vorzunehmen wie geschehen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, ist die Entscheidung unanfechtbar (entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO), im Übrigen gilt folgende

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