Verwaltungsrecht

Prüfungsmaßstab ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Offensichtlichkeitsentscheidung

Aktenzeichen  M 17 S 17.41928, M 17 K 17.41924

Datum:
20.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1 § 36 Abs. 3 S. 5, Abs. 5
GG GG Art. 16a Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Ernstliche Zweifel iSv Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG liege vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzuweisen, einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG BeckRS 9998, 101420), was nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG BeckRS 2017, 114948). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe in den Verfahren M 17 S 17.41928 und M 17 K 17.41924 werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von … und reiste nach eigenen Angaben am … Oktober 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 9. November 2015 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … März 2017 gab er im Wesentlichen an, dass sein älterer Bruder Mitglied der BNP gewesen sei. Im April 2014 habe es eine große Demonstration sowie eine Gegendemonstration der Awami Liga gegeben. Es habe gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben, bei der sein Bruder verletzt worden sei. Als der Antragsteller ihm habe helfen wollen, sei er ebenfalls in die Auseinandersetzung verwickelt worden und habe vielleicht aus Versehen Leute geschlagen. Schwer verletzt habe er aber niemanden. Am Ende sei die Polizei gekommen und habe alle nach Hause geschickt. Der Antragsteller und sein Bruder seien ins Krankenhaus gegangen, wo ihre Wunden versorgt worden seien. Am nächsten Tag seien die Anhänger der Awami Liga zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie beschimpft. Aus Angst hätten sie sich im Haus versteckt. Sein älterer Bruder habe gesagt, dass sie nach … gehen sollten, wo sie sich zehn Tage aufgehalten hätten. Seine Eltern hätten in dieser Zeit telefonisch mitgeteilt, dass die Leute immer wieder da gewesen seien und den Antragsteller und seinen Bruder mit dem Tod bedroht hätten. Deswegen seien sie ausgereist. Die Anhänger der Regierungspartei wüssten, dass der Antragsteller in Deutschland und sein Bruder in Pakistan sei. Sie hätten ihren Eltern gesagt, dass sie auf sie warten und bei einer Rückkehr töten würden.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017, zugestellt am 26. Mai 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach … bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ihm asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, der Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung drohten. Sofern der Antragsteller geltend mache, sein Bruder sei Mitglied der BNP und man bedrohe ihn nach einer Schlägerei auf einer Demonstration im April 2014, sei festzuhalten, dass das Geschehen mittlerweile derart weit zurück liege, dass nicht zu erwarten sei, dass überhaupt irgendjemandem daraus Repressalien erwachsen könnten. Darüber hinaus sei nur der ältere Bruder des Antragstellers aktives BNP-Mitglied gewesen. Auch der jüngere Bruder des Antragstellers sei weder beschimpft, geschlagen noch angegriffen worden, sodass nicht davon auszugehen sei, dass dem Antragsteller eine Gefahr im Sinne des § 3 AsylG drohen könnte. Selbst bei Wahrunterstellung seines Vortrags, dass die Polizei nicht willens oder in der Lage sei, den Antragsteller zu schützen, sei es möglich, internen Schutz durch einen Umzug innerhalb …s zu erlangen. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach … in der Lage sein werde, sich auch in einem anderen Landesteil in einen Arbeitsprozess einzugliedern und für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen. Der Antragsteller sei jung und erwerbsfähig und habe angegeben, bereits auf dem Bau gearbeitet zu haben. Damit verfüge er über Berufserfahrung und sei in der Lage, am Ort des internen Schutzes zumindest das Existenzminimum zu erlangen. Es seien keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach … ein ernsthafter Schaden drohen würde, sodass die Zuerkennung subsidiären Schutzes ebenfalls abzulehnen sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Dem Antragsteller drohe in … keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in … führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Bei einer Rückkehr nach … könne im Allgemeinen von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden. Bei dem Antragsteller lägen auch keine besonderen Umstände vor, die die Annahme einer individuellen extremen Gefahr begründeten. Es sei ihm zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren. Schließlich drohe ihm auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben.
Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Mai 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 31. Mai 2017, Klage (M 17 K 17.41924). Gleichzeitig beantragte er (M 17 S. 17.41928),
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen sowie dem Kläger Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Eine Begründung erfolgte bisher nicht Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in den Verfahren M 17 S. 17.41928 und M 17 K 17.41924 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 22. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
1.1 Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
1.2 An der Rechtmäßigkeit der seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel. Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Weder im Eilverfahren noch im Hauptsacheverfahren wurde der streitgegenständliche Bescheid, insbesondere die Ausführungen zur inländischen Fluchtalternative, substantiiert infrage gestellt.
2. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Erfolgsaussichten der Klage sind – wie bereits dargelegt – nach summarischer Prüfung als gering zu bewerten. Zudem hat der Antragsteller die angekündigte Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bisher immer noch nicht abgegeben. Gemäß § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG soll die Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO jedoch innerhalb einer Woche ergehen.
Die (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Anträge waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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