Aktenzeichen M 22 S 18.4326
VwZVG Art. 32, Art. 34 S. 1, Art. 36 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Die Räumung einer Obdachlosenunterkunft kann ohne vorherigen Widerruf der Wohnungszuweisung angeordnet werden, wenn die Zuweisung befristet und anschließend nicht verlängert worden ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Rechtmäßigkeit der Androhnung der Zwangsräumung ist die ausschließliche Androhung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme unschädlich, wenn allen Beteiligten bewusst ist, dass die Zwangsräumung nicht nur die vertretbare Ausräumung, sondern auch die unvertretbare Besitzverschaffung bzw. -übertragung der Wohnung umfasst, die mit den Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden kann (vgl. dazu VG München BeckRS 2004, 151154 Rn. 52). (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2018, mit dem die Räumung ihrer Obdachlosenunterkunft unter Androhung von Zwangsmitteln angeordnet wurde.
Die Antragstellerin wurde erstmalig mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2017 wegen drohender Obdachlosigkeit in einer Pension in der Gemeinde S. vorübergehend bis zum 23. November 2017 untergebracht. Mit Bescheid vom 23. November 2017 wies die Antragsgegnerin der Antragstellerin ein Zimmer in der Obdachlosenunterkunft in der M.straße 63 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin zu, wobei die Unterbringung zunächst bis 31. Januar 2018 befristet war. Die Unterbringung wurde in der Folge mehrmals, zuletzt mit Bescheid vom 18. Juni 2018 bis 31. Juli 2018, verlängert.
Mit Schreiben vom 5. Juli 2018 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie aufgrund einer internen Mitteilung in Erfahrung gebracht habe, dass die Antragstellerin eine neue Aufenthaltsadresse in der H.straße 25 besitzen solle. Bei einer Begehung der Obdachlosenunterkunft sei zudem festgestellt worden, dass sich darin weder ein Bett noch ein Sofa befänden. Sollte die Antragstellerin eine andere Schlafmöglichkeit haben, sei eine weitere Unterbringung durch die Antragsgegnerin nicht mehr möglich. Im Rahmen eines Anhörungstermins am 16. Juli 2018 teilte die Antragstellerin hierzu mit, dass es sich bei der Adresse in der H.straße 25 lediglich um ein Lager handle, in dem sie nicht wohnen könne. Sie habe lediglich einen Lagermietvertrag abgeschlossen.
Mit E-Mails vom 2. bzw. 14. August 2018 teilte das zuständige Jobcenter der Antragsgegnerin mit, dass die Antragstellerin nunmehr seit 1. Juni 2018 unter der neuen Adresse in der H.straße 25 wohnhaft sei und hierüber ein Mietvertrag vorliege, der eine für eine Person angemessene Miete ausweise. Das Jobcenter würde künftig nur noch für diese Wohnung Leistungen ausbezahlen.
Daraufhin ordnete die Antragsgegnerin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. August 2018 die Räumung aus dem Zimmer im Erdgeschoss der Obdachlosenunterkunft in der M.straße 63 bis zum 31. August 2018 um 08:00 Uhr an (Ziffer 1). Weiterhin wurde angeordnet, das Zimmer vollständig leerzuräumen und in einem sauberen Zustand und mit allen Schlüsseln bis spätestens 31. August 2018 um 08:00 Uhr an die Antragsgegnerin zu übergeben (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3) und für den Fall, dass das Zimmer nicht, nicht fristgemäß und/oder nicht vollständig geräumt werde, wurde die Zwangsräumung in Form der Ersatzvornahme angedroht (Ziffer 4), wobei die Kosten hierfür mit vorläufig EUR 480,- veranschlagt wurden (Ziffer 5).
In den Bescheidsgründen wird unter anderem ausgeführt, die Antragstellerin sei mit der Entrichtung der Nutzungsgebühren für die Obdachlosenunterkunft erheblich im Rückstand. Die Unterbringung sei bereits aufgrund des Zeitablaufs beendet, da diese befristet bis zum 31. Juli 2018 erfolgt sei. Durch das Vorhandensein einer Nutzungsmöglichkeit von Wohnraum in der H.straße 25 sei die Antragstellerin darüber hinaus nicht mehr obdachlos, sodass eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht mehr vorliege. Die Räumungsanordnung erweise sich insbesondere auch als verhältnismäßig, da bei einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der Vorhaltung einer freien Unterkunft zur Beseitigung einer plötzlich auftretenden Obdachlosigkeit und dem Interesse der Antragstellerin am Verbleib in der Unterkunft das öffentliche Interesse höher zu bewerten sei. Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung sei derzeit beeinträchtigt, die Unterkunft müsse baldmöglichst wieder für die Unterbringung obdachloser Personen zur Verfügung stehen. Dies rechtfertige auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Innerhalb der der Antragstellerin eingeräumten Frist zur Räumung könne es ihr billigerweise zugemutet werden, die Unterkunft zu verlassen und zu übergeben. Für den Fall der Nichterfüllung sei die Ersatzvornahme als mildestes und gleichzeitig geeignetes Mittel der Zwangsvollstreckung angedroht worden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 30. August 2018 Klage zur Niederschrift des Gerichts mit dem Antrag, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2018 aufzuheben. Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, der Bescheid der Antragsgegnerin sei nichtig und rechtswidrig. Das Trinkwasser in der Wohnung in der H.straße 25 sei mit Legionellen belastet, sodass die Bezeichnung als Wohnraum nicht zutreffe. Sie könne aufgrund der Legionellen dort weder kochen noch das Bad benutzen. Dies könne ihr nicht zugemutet werden. Sie nutze daher auch weiterhin die sanitären Einrichtungen in der Obdachlosenunterkunft. Zudem seien nach ihrem Einzug Möbel entfernt worden, sodass es sich nicht mehr – wie im Mietvertrag bezeichnet – um ein möbliertes Zimmer handle.
Die Antragstellerin beantragte darüber hinaus,
ihr sowohl für das Klage- als auch das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 3. September 2018,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Räumungsanordnung sei weder nichtig noch rechtswidrig. Die Antragstellerin verfüge über Wohnraum, den sie auch nutzen könne. Eine Gefahr für Leib und Leben bestehe in der Wohnung in der H.straße 25 nicht, da über eine aktuelle Belastung mit Legionellen nichts bekannt sei. Nach Auskunft der zuständigen Firma für Wasseruntersuchungen vom 30. August 2018 seien im Jahr 2016 Legionellen in dem betreffenden Gebäude festgestellt worden, woraufhin die Rohre durchgespült worden seien. Bei einer Überprüfung im Jahr 2017 hätte keinerlei Belastung mehr festgestellt werden können. In dem Gebäude würden sich zwei öffentlich zugängliche Gaststätten befinden, zudem seien neun weitere Personen dort gemeldet. Die Antragstellerin sei dementsprechend nicht mehr obdachlos im rechtlichen Sinne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Es trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 der Räumungsverfügung vom 16. August 2018 begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Insbesondere wurde sie in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise ausreichend begründet.
2. Der Bescheid wird sich auch in der Sache voraussichtlich als rechtmäßig erweisen. Eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Antragstellerin i.S.d. Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG ist aufgrund des seit 1. Juni 2018 bestehenden Wohnraummietverhältnisses über eine Wohnung bzw. ein Zimmer in der H.straße 25 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin vorliegend nicht gegeben, da die Antragstellerin nicht mehr obdachlos und daher nicht länger auf eine Unterbringung in der gemeindlichen Obdachlosenunterkunft angewiesen.
2.1 Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Unterlagen hat die Antragstellerin seit 1. Juni 2018 ein Zimmer zu Wohnzwecken angemietet. Die Mietzahlungen hierfür werden durch das zuständige Jobcenter übernommen. Durchgreifende Bedenken dafür, dass es der Antragstellerin nicht möglich bzw. zumutbar wäre, ihre Mietwohnung auch tatsächlich zu benutzen, bestehen nicht. Insbesondere drohen der Antragstellerin keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Benutzung des (Trink-)Wassers. Eine Beeinträchtigung des Wassers durch Legionellen, wie es die Antragstellerin vorbringt, ist nicht anzunehmen. Aus einer Auskunft des zuständigen Unternehmens für die Überprüfung der Wasserqualität geht hervor, dass eine Verunreinigung des Wassers in dem betreffenden Gebäude in der H.straße 25 im Jahr 2016 zwar vorgelegten hatte, diese jedoch durch eine Reinigung der Leitungen beseitigt worden und eine anschließende Untersuchung auf Legionellen im Jahr 2017 negativ ausgefallen ist. Des Weiteren werden in dem Gebäude aktuell auch zwei Restaurants betrieben, sodass es für eine derzeit bestehende Verunreinigung des Wassers mit Legionellen keinen Anhalt gibt.
Da die Einweisung der Antragstellerin zuletzt bis 31. Juli 2018 befristet und anschließend nicht mehr verlängert wurde, konnte ohne vorherigen Widerruf der Wohnungszuweisung die Räumung der Unterkunft angeordnet werden. Die im Bescheid verfügte Erfüllungsfrist von zwei Wochen begegnet ebenso keinen Bedenken.
2.2 Auch die Androhung der Zwangsräumung (Ziffern 4 und 5 des Bescheides vom 16. August 2018) erweist sich im Ergebnis als rechtmäßig.
Das Gericht geht dabei davon aus, dass sich die zwangsweise Räumung einer Obdachlosenunterkunft aus zwei zu unterscheidenden Bestandteilen zusammensetzt. Das Ausräumen der Wohnung (insbesondere der Einrichtungsgegenstände etc.) kann als vertretbare Handlung mit der Ersatzvornahme nach Art. 32 VwZVG zwangsweise vollstreckt werden. Die Besitzverschaffung bzw. -übertragung an der Unterkunft, die als unvertretbare Handlung nur durch den bisherigen Nutzer erfolgen kann, kann dagegen allein mit dem Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs i.S.d. Art. 34 VwZVG durchgesetzt werden (vgl. hierzu VG München, B.v. 29.12.2004 – M 22 S 04.6231 – juris Rn. 52; Huttner, Die Unterbringung Obdachloser durch die Polizei- und Ordnungsbehörden, 2014, Anhang 4, S. 158).
Vorliegend hat die Antragsgegnerin zwar ausschließlich die Ersatzvornahme als Zwangsmittel angedroht (vgl. hierzu auch § 11 Abs. 2 der Notunterkunftssatzung der Antragsgegnerin). Dies ändert nach Ansicht des Gerichts im Ergebnis jedoch nichts an der Rechtmäßigkeit der Zwangsmittelandrohung, da allen Beteiligten vorliegend bewusst ist, wie die Antragsgegnerin im Falle einer Zwangsvollstreckung wegen der Nichterfüllung der in Ziffer 1 und 2 angeordneten Räumung durch die Antragstellerin vorgehen wird. Dies kommt schon in dem Wort „Zwangsräumung“ in Ziffer 4 des Bescheides zum Ausdruck. Die Zwangsräumung erschöpft sich wie dargestellt nicht allein im Ausräumen der zur Verfügung gestellten Obdachlosenunterkunft, vielmehr bedarf es – für alle Beteiligten erkennbar – auch einer Besitzverschaffung bzw. -übertragung an die Antragsgegnerin, die mit den Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden kann. Dass dieser vorliegend in der Zwangsmittelandrohung nicht explizit als solcher bezeichnet wurde, ist für die Rechtmäßigkeit der Zwangsmittelandrohung im Hinblick auf das Vorstehende insoweit unschädlich. Innerhalb der angegebenen Vollstreckungsfrist von zwei Wochen ist es der Antragstellerin auch billigerweise zumutbar, die Räumungsverpflichtung zu erfüllen (vgl. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG).
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ungeachtet der – vorliegend noch nicht dargelegten – wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
5. Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass es davon ausgeht, dass die bevorstehende Räumung der Obdachlosenunterkunft der Antragstellerin – unabhängig einer Regelung im VwZVG – im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Ablauf der im Bescheid anberaumten Frist erneut mit einer angemessenen Frist anzukündigen ist.