Aktenzeichen M 10 S 17.41859
VwVfG § 51 Abs. 1 – 3
AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4, § 71a
Leitsatz
1 § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus. Insoweit muss das Bundesamt zu einer gesicherten Erkenntnis gelangen, um seine Prüfung auf Wiederaufnahmegründe beschränken zu dürfen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn eine negative Sachentscheidung über den Asylantrag getroffen wurde und der Kläger seine Klage dagegen zurücknimmt, bleibt es bei der Anwendung des § 71a AsylG. Anders liegt der Fall, wenn das Verfahren ohne Sachentscheidung, etwa wegen Ausreise oder Nichtbetreibens, beendet wurde. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hat der Antragsteller nur Fluchtgründe angegeben, die bereits bei seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat vorlagen, und keine entscheidungserhebliche Veränderung des Sachverhalts vorgetragen, liegen keine Wiederaufgreifensgründe vor. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sowie der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe werden, auch für das Klageverfahren M 10 K 17.41746, abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Eilrechtsschutzverfahrens.
Gründe
I.
Der pakistanische Antragsteller wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig.
Der Antragsteller ist am 21. August 2015 eingereist und hat am 11. August 2016 einen Asylantrag gestellt. Im Verfahren vor dem Bundesamt hat er angegeben, sechs oder sieben Jahre in Griechenland gewesen zu sein.
Auf ein Informationsersuchen teilte das Ministry of Migration Policy der Hellenischen Republik mit Schreiben vom 8. Februar 2017 mit, der Antragsteller habe am 2. Juni 2011 dort internationalen Schutz beantragt. Der Antrag sei am 17. Juli 2012 abgelehnt worden. Der Antragsteller habe daraufhin am 10. September 2012 Klage erhoben. Das Verfahren sei eingestellt worden, nachdem der Antragsteller seinen Asylantrag am 11. März 2014 zurückgenommen habe.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 hat das Bundesamt den Antrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt, festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und den Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu verlassen, sowie ihm andernfalls die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Auf die Begründung wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Am 29. Mai 2017 hat der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 22. Mai 2017 erhoben und zugleich beantragt,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung anzuordnen, sowie ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Zur Begründung wird ausgeführt, § 71a AsylG setze den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.d. § 26a AsylG voraus. Darunter sei die rechtskräftige Abweisung des Asylantrags in der Sache zu verstehen, nicht aber etwa die Einstellung oder die Rücknahmefiktion in dem anderen Mitgliedsstaat im Falle der Ausreise aus diesem Mitgliedsstaat oder des nicht Betreibens des Verfahrens erfolgt sei. § 71a AsylG finde auch bei der förmlichen oder stillschweigenden Rücknahme des Antrags keine Anwendung. Im Übrigen müsse der negative Ausgang des Asylverfahrens in einem Mitgliedsstaat feststehen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Behörden- und Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Interessenabwägung anzustellen (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 80 Rn. 68). Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage einzubeziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Nur wenn die Vollziehung einen erheblichen, nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff darstellt, mithin vollendete Tatsachen schafft, könnte auch in diesem Fall das private Interesse des Antragstellers überwiegen (vgl. Schmidt in Eyermann, a.a.O. Rn. 76).
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Fall eines Zweitantrags, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht der Fall.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Hierbei muss der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen.
Dies ist vorliegend der Fall. Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 VO (EU) Nr. 604/2013 hat der Mitgliedstaat Griechenland die erbetenen Informationen, einschließlich eingelegter Rechtsbehelfe und deren Ausgang, übermittelt. Damit ist das Bundesamt seiner Amtsermittlungspflicht im vorliegenden Fall hinreichend nachgekommen. Auch benötigte das Bundesamt keine weiteren Informationen, wie etwa den griechischen Bescheid oder ein abweisendes Urteil des griechischen Gerichts, um festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Denn der Antragsteller hat im vorliegenden Fall bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und auf erneute Nachfrage nur Fluchtgründe angegeben, die bereits bei seiner Ausreise in Pakistan vorlagen. Zudem führen bei asylrechtlichen Dauersachverhalten nachträgliche Veränderungen dann zu einer Änderung des Sachverhalts, wenn diese einen „Qualitätssprung“ bewirken, der eine entscheidungserhebliche Veränderung darstellt und damit eine Neubewertung erfordert (BVerwG NVwZ-RR 2008, 507; BeckOK VwVfG, 36. Edition Stand: 01.04.2017, § 51 Rn. 36). Eine solche Änderung ergibt sich nicht durch den Vortrag des Antragstellers. (Neue) Beweismittel wurden nicht eingereicht. Aus den in der Anhörung angegebenen Fluchtgründen ergibt sich nicht, dass einer der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Wiederaufgreifensgründe vorliegen könnte, so dass ein Abgleich mit den in Griechenland angegebenen Tatsachen unterbleiben konnte. Damit ist der Antrag zu Recht als unzulässig abgelehnt worden.
Der Antragsteller kann auch nicht geltend machen, eine abschließende Entscheidung sei in Griechenland nicht ergangen, da er während seines Klageverfahrens seinen Asylantrag zurückgenommen habe und das Verfahren deshalb eingestellt worden sei. Nach Sinn und Zweck des § 71a AsylG kann es nicht darauf ankommen, ob auch ein Klageverfahren materiell erfolglos abgeschlossen wurde, oder ob das Klageverfahren aus formellen Gründen eingestellt wurde, weil wie hier vor einer gerichtlichen Sachentscheidung der Asylantrag zurückgenommen wurde. Es genügt, dass eine negative Sachentscheidung der für das Asylgesuch zuständigen Behörde erging und diese nicht vom zuständigen Gericht aufgehoben wurde. Ansonsten hätte es der Antragsteller in der Hand, nach möglicherweise längerer Verfahrensdauer vor der zuständigen Behörde und vor dem angerufenen Gericht kurz vor einer endgültigen abschließenden – negativen – Gerichtsentscheidung das gesamte Verfahren durch Rücknahme des zugrundeliegenden Asylantrags gegenstandslos zu machen. Dadurch würde die Regelung des § 71a AsylG komplett unterlaufen, wofür es keinerlei sachlichen Gründe gäbe.
Soweit die Rechtsprechung bei Anwendung des § 71a AsylG die rechtskräftige Abweisung des Asylantrags in der Sache verlangt, nicht aber etwa die Einstellung oder die Rücknahmefiktion in dem anderen Mitgliedsstaat im Falle der Ausreise aus diesem Mitgliedsstaat oder des nicht Betreibens des Verfahrens genügen lässt, betrifft dies nur die Verfahrenskonstellation, dass noch keine Sachentscheidung zum Asylgesuch erging und das Verfahren wegen Ausreise etc. ohne Sachentscheidung beendet wurde, oder aber ein Klageverfahren noch anhängig ist. Wenn aber eine Sach-entscheidung getroffen wurde, eine weitere gerichtliche Überprüfung aber durch den Antragsteller – und sei es durch Rücknahme des ursprünglichen Asylantrags – nicht weiter verfolgt wurde, bleibt es bei der Anwendung des § 71a AsylG.
Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Weitere Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote wurden weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren genannt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen. Ebenso ist wegen Erfolglosigkeit von Eilantrag und Klage die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, § 114 ZPO, § 166 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).