Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Abschiebungsandrohung – Rückkehr nach Mogadischu begründet keine Annahme einer Gefahr für den Antragssteller

Aktenzeichen  Au 2 K 16.33014

Datum:
30.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 3d, § 3e, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 25, § 34 Abs. 1, § 77 Abs. 2, § 83b
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60
AuslG AuslG § 53 Abs. 4
EMRK EMRK Art. 3
GG GG Art. 16a Abs. 1
RL 2011/95/EG Art. 15 lit. b
VwGO VwGO § 67 Abs. 2, § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 154 Abs. 1

 

Leitsatz

Es kann offen bleiben, ob in der Region Mogadischu noch ein innerstaatlicher Konflikt iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, denn es fehlt bei einer Rückkehr dorthin an der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben. Die erforderliche Gefahrendichte ist im Raum Mogadischu derzeit nicht (mehr) gegeben. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2017 entschieden werden, obwohl kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. In der form- und fristgerecht erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung war darauf hingewiesen worden, dass auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. die Gewährung subsidiären Schutzes, noch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat nach der im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes – AsylG -) keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK -), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft nach Abs. 4 der genannten 15 Vorschrift zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG.
Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt, ist auf die §§ 3a ff. AsylG zurückzugreifen, die die Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt der zu gewährenden Schutzes (sog. Anerkennungsrichtlinie) umsetzen.
Unter dem Begriff der politischen Verfolgung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potentiellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder der religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von dem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Eine Verfolgung kann nicht nur ausgehen vom Staat oder von Parteien oder von Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
Die Furcht vor einer Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten als Verfolgung solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Abs. 1 Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich die Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form vorzutragen. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung gewinnen. Auf Grund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können (BVerwG, B.v. 21.7.1989 -9 B 239.89 – NVwZ 1990, 171). Das Asylverfahren ist eine Einheit, so dass ein gegenüber den Angaben vor der Verwaltungsbehörde im gerichtlichen Verfahren vorgetragener neuer Sachverhalt regelmäßig Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens wecken wird. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Asylsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 8 C 27.85 – InfAuslR 1986, 79). Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen und plausible, wirklichkeitsnahe Angaben machen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstandes und Alters ist von dem Asylbewerber eine im Wesentlichen gleichbleibende, möglichst detaillierte und konkrete Schilderung der Fluchtgründe zu verlangen.
Nach diesen Maßstäben kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen. Dem Kläger ist es nicht gelungen, dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, dass er Somalia unter dem Druck bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung verlassen hat. Sein Vorbringen hierzu ist nicht glaubhaft, da es zum einen Widersprüche enthält und es zum anderen wegen fehlender Detailangaben (z.B. zur zeitlichen Einordnung) und der Pauschalität nicht den Eindruck von tatsächlich Erlebtem erweckt. So gab der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt an, dass er von einem älteren Mann und zwei Jungs aus der Nachbarschaft, von denen er davor nicht gewusst habe, dass sie mit Al Shabaab zusammenarbeiten, darauf angesprochen worden sei, warum er (von der Polizei) freigelassen worden sei und ob er für die Regierung arbeite. Hiervon abweichend schilderte er in der mündlichen Verhandlung, die Leute von Al Shabaab hätten sich als solche zu erkennen gegeben und seien ihm bekannt gewesen, da im Viertel jeder jeden kenne. Zudem ist seine Angabe vor Gericht, die Bedrohung sei zwei Monate vor seiner Ausreise erfolgt, nicht in Übereinstimmung zu bringen mit seinen Angaben hierzu bei der Anhörung durch das Bundesamt, da er dabei erklärt hat, er habe sich nach der Bedrohung bis zur Ausreise noch zehn Tage versteckt halten müssen, damit seine Tante die Ausreise habe organisieren können. Ergänzend wird auf die Ausführungen auf S. 4 im angegriffenen Bundesamtsbescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Kläger hat im Fall seiner Rückkehr nach Somalia auch wegen seiner Zugehörigkeit zum Clan der Hawiye keine Verfolgung zu erwarten. Abgesehen davon, dass der Clan zu den großen Clans in Somalia gehört, ist nach Auswertung der Erkenntnismittel festzustellen, dass es in Mogadischu ohnehin keine Clankonflikte und -kämpfe mehr gibt, wie auch kein Risiko einer schweren Diskriminierung wegen der Clanzugehörigkeit (vgl. UK Home Office vom 9.4.2014, Country Information and Guidance Somalia). Da es in der Stadt keine Clanmilizen mehr gibt, ist der Clan heute weniger eine Schutzstruktur als vielmehr eine soziale Struktur. Minderheitenangehörige werden nicht mehr aufgrund ihrer Zugehörigkeit marginalisiert oder belästigt. Die Sicherheitslage für Angehörige kleiner, schwacher Clans oder ethnischer Minderheiten hat sich wesentlich verbessert. Auch die Andeutung des UNHCR, dass für eine Rückkehr nach Mogadischu die Anwesenheit der Kernfamilie relevant sei, weist auf die nunmehr geringerer Bedeutung des Clans hin (Bundesverwaltungsgericht in Österreich vom 21.9.2015 – W 211 1262918-5 -).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung subsidären Schutzes nach § 4 AsylG, da die Voraussetzungen der § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen.
Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Schutzgewährung greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt nur auf einen Teil des Staatsgebietes erstreckt (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; U.v. 24.6.2008 -10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist bezüglich der anzustellenden Gefahrenprognose auf den Zielort der Abschiebung abzustellen. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer seinem subjektiven Blickwinkel nach strebt. Vielmehr ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird, hier Mogadischu, da dort seine Familie und seine Tante leben. Ein Abweichen von dieser Regel kann jedenfalls nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ihm Schutz gewähren soll (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O.; B.v. 14.11.2012 – 10 B 22.12 – juris; zur Frage der „tatsächlichen Zielregion“ OVG NW, B.v. 15.10.2012 – 13 A 2010/12.A – juris; VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3177/11 – juris).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) anzunehmen ist (BVerwG, U.v. 24.6.2008, a.a.O.; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris; U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris). Danach genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, U.v. 13.2.2014, a.a.O.). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (BVerwG, U.v. 24.6.2008, a.a.O.). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist (BVerwG, U.v. 17.11.2010, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Glaubhafte gefahrerhöhende individuelle Umstände dieser Art liegen beim Kläger nicht vor.
Fehlen – wie hier – nachvollziehbar dargelegte individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.). Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.). Für die individuelle Betroffenheit von der Gefahr bedarf es Feststellungen zur Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, zu umfassen hat, sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.; U.v. 13.2.2014, a.a.O.; NdsOVG, U.v. 7.9.2015 – 9 LB 98/13 – juris). Allerdings sieht das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls ein Risiko von 1:800 (0,125%), in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvor-liegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O.).
Gemessen an diesen Kriterien besteht für den Kläger bezogen auf seine Herkunftsregion in Somalia keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Dabei kann offen bleiben, ob in der Region Mogadischu noch ein innerstaatlicher Konflikt vorliegt, denn es fehlt bei einer Rückkehr dorthin an der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben. Die erforderliche Gefahrendichte ist im Raum Mogadischu derzeit nicht (mehr) gegeben.
Al Shabaab übernahm bis Ende 2010 die Kontrolle in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias. Seither unterstützen Truppen der Afrikanischen Union (African Union Mission in Somalia – AMISOM) aus Uganda und Burundi die somalische Übergangsregierung. Im August 2011 zog sich Al Shabaab aus Mogadischu zurück – der letzte von der Al Shabaab gehaltene Distrikt Daynile wurde im Mai 2012 befreit – und kam in der Folge auch in anderen Landesteilen unter Druck. Im Zuge der im März 2014 begonnenen Operation „Eagle“ und der nachfolgenden Operation „Indian Ocean“ ab September 2014 ist es der somalischen Armee (Somali National Army – SNA) und Truppen von AMISOM bis Oktober 2014 gelungen, weitere Städte zu befreien und 80% des somalischen Staatsgebiets unter Kontrolle zu bringen (VG Aachen, U.v. 13.4.2015 – 7 K 711/14.A – juris; VG Stade, U.v. 5.10.2015 – 3 A 3658/13 – juris 30 Rn. 37). Seit 2012 gibt es eine politische Entwicklung in Somalia, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markieren könnte.
Auf dieser Grundlage ist fraglich, ob für die Region Mogadischu, in der es nicht mehr zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, überhaupt noch das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu bejahen ist. Allerdings wird der erreichte Zustand in nahezu allen Berichten als fragil bezeichnet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Somalia: Sicherheitssituation in Mogadischu, Stand: 25.10.2013, m.w.N.; EASO, Country of Origin Information report: South and Central Somalia – Country Overview, Stand: August 2014, jeweils abrufbar im Internet) und er kann nur durch den Einsatz ausländischer und internationaler Truppen aufrechterhalten werden. Al Shabaab hat auf die durch das offensive Vorgehen von SNA und AMISOM bewirkten erheblichen Territorialverluste mit einem Wechsel in der Strategie reagiert und präferiert nunmehr eine asymmetrische Kriegführung, die insbesondere gezielte Attentate, den Einsatz von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (sog. IED – Improvised Explosive Device) sowie die Durchführung überfallartiger Angriffe umfasst (VG Aachen, U.v. 13.4.2015, a.a.O.; U.v. 9.11.2015 – 7 K 53/15.A – juris Rn. 68).
Zur allgemeinen Sicherheitslage in Mogadischu und Somalia ist in Ergänzung zum Inhalt der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismaterialien auch auf die umfassenden Darstellungen in den Urteilen des VG Aachen vom 13. April 2015 (a.a.O., Rn. 34 ff.) und vom 9. November 2015 (a.a.O. Rn. 42 ff.), des VG Stade im Urteil vom 5. Oktober 2015 (3 A 3658/13, a.a.O. Rn. 37 ff.), des VG Regensburg im Urteil vom 8. Januar 2015 (RO 7 K 13.30801 – juris Rn. 18 ff.), des OVG RhPf (U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 33 ff.) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris) zu verweisen. Es ist weder der aktuellen medialen Berichterstattung noch den in das Verfahren eingeführten amtlichen Informationsquellen zu entnehmen, dass seitdem eine wesentliche Änderung der Situation eingetreten wäre. Vielmehr lassen diese auf eine gewisse Stabilisierung schließen (vgl. zuletzt z.B. Frankfurter Rundschau v. 28.10.2015, S. 6 „Ein Hoffnung namens Mogadischu“).
Nach Auswertung der Erkenntnismittel ist nicht festzustellen, dass praktisch jede Zivilperson bei der Rückkehr allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Region Mogadischu einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. wertender Gesamtbetrachtung aller Gesichtspunkte der dortigen Sicherheitslage kann konstatiert werden, dass der Konflikt in Mogadischu keine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung erreicht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Über das allgemeine Risiko hinausgehende, glaubhafte persönliche gefahrerhöhende Merkmale wurden vom Kläger nicht vorgetragen und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
Ferner liegen die Voraussetzungen für die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nicht vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezo-gene“ Abschiebungshindernisse).
Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht 33 über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz – und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG – vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Auf-enthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O.). Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht nur bei Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, in Betracht, sondern auch extreme Gefahren, die sich z. B. aus einer katastrophalen Versorgungslage ergeben können, können unter § 60 Abs. 5 AufenthG fallen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 -juris; EGMR, U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi – NVwZ 2012, 681 ff.). Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn nämlich die gegen die Ausweisung sprechenden humanitären Gründe als zwingend anzusehen sind (EGMR, U.v. 28.06.2011, a.a.O.).
Derartige Verhältnisse liegen im Falle der Region Mogadischu jedoch nicht vor. Zur Sicherung des Lebenserhalts im wirtschaftlichen Sinne bedarf es dort in erster Linie der (Kern-)Familie. Der größere Familienkreis wird den Lebenserhalt regelmäßig nur kurzfristig garantieren können. Im Fall des Klägers bietet seine Kernfamilie und die Familie seiner Tante ein hinreichendes Unterstützungsnetzwerk. Außerdem gibt es lokale NGOs, die den Neuankömmlingen zu helfen in der Lage sind (EASO, a.a.O, S. 117 ff.). Zudem unterstützt der UNHCR die Pläne der somalischen Regierung, zehntausend somalische Flüchtlinge aus Kenia im Rahmen einer freiwilligen Rückkehr zurückzuführen und für die Reintegration in neun Distrikten, darunter auch in Mogadischu, zu sorgen (UNHCR Communique vom 30.7.2015: Tripartite Commissi-on for the Voluntary Repatriation of Somali Refugees from Kenya, abrufbar im Internet).
Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Grundsätzlich sind das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte an diese gesetzgeberische Kompetenzentscheidung gebunden. Sie dürfen Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 Auf-enthG nicht besteht, nur dann im Einzelfall ausnahmsweise Schutz vor einer Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG zusprechen, wenn eine Abschiebung Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG verletzen würde. Dies ist nach der Rechtsprechung des BVerwG nur dann der Fall, wenn der Ausländer im Zielstaat der Abschiebung einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, die landesweit besteht oder der der Ausländer nicht ausweichen kann (grundlegend BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; U.v. 12.7.2011 – 1 C 2.01 – juris; OVG NW, B.v. 10.9.2014 – 13 A 984/14.A – juris).
Wann danach allgemeine Gefahren aus verfassungsrechtlichen Gründen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (OVG NW, B.v. 13.2.2013 – 13 A 1524/12.A – juris m.w.N.).
Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sei, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maß auszulegen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist dann erreicht, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O.; BayVGH, U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30465 – juris; OVG NW, U.v. 26.8.2014 – 13 A 2998/11.A – juris). Eine solche Gefahrenlage ist hier nicht ersichtlich (s. hierzu BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris Rn. 30; OVG RhPf, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 50 ff.). Eine solche „zugespitzte“ Gefahrensituation liegt hier nicht vor. Im Übrigen leben nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung seine nächsten Familienangehörigen, auf deren Unterstützung er auch zählen kann, im Raum Mogadischu. Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kläger im Rückkehrfall nicht gelingen könnte das notwendige Existenzminimum zu sichern, liegen nicht vor.
Rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG) und die ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen