Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung nach Italien

Aktenzeichen  M 25 S 16.50984

Datum:
29.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1b
AsylG AsylG § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Erfolgloses Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Italien. (redaktioneller Leitsatz)
2. Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Kein systemischer Mangel wegen deutlich schlechterer Situation eines Asylbewerbers in Italien im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben 28 Jahre alt und somalischer Staatsangehöriger. Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 1. April 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Juni 2016 Asylantrag.
Bei seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 13. Juni 2016 gab der Kläger an, in Italien am 10. August 2013 internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben (Blatt 25 der Behördenakte). Am 11. August 2016 bat die Antragsgegnerin Italien unter Angabe dieses Sachverhalts und eines EURODAC-Treffers der Kategorie 1 für Italien um Übernahme des Asylverfahrens (Blatt 48 f. der Behördenakte).
In der Anhörung am 19. September 2016 führte der Antragsteller aus, er habe eine Pigmentstörung am Bein und befinde sich deswegen in ärztlicher Behandlung. Medikamente seien erforderlich. Italien habe er verlassen, weil er dort keine Wohnung gehabt habe und auf der Straße habe schlafen müssen; das Leben dort sei schlecht. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller im Rahmen der Zweitbefragung auf, dem Bundesamt die nach Angaben des Antragstellers vorhandenen ärztlichen Atteste in Kopie binnen vier Wochen vorzulegen.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2016 lehnte das Bundesamt für … (Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise-und Aufenthaltsverbot auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Absatz 1b) Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen nach Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Der Antragsteller habe zwar vorgetragen, wegen einer Pigmentstörung am Bein in ärztlicher Behandlung zu sein, ein ärztliches Attest jedoch trotz Aufforderung nicht eingereicht. Das Vorbringen, in Italien sei das Leben schlecht, sei nicht geeignet zu einem anderen Ergebnis zu führen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller nach telefonischer Auskunft des Bundesamts vom 29. November 2016 am 27. Oktober 2016 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 3. November 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage mit dem Antrag erheben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids zu verpflichten, den Kläger als Flüchtling anzuerkennen sowie den Bescheid der Beklagten betreffend die Abschiebungsanordnung aufzuheben (M 25 K 16.50983). Des Weiteren ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm seinen Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
Es werde auf das noch nachzureichende Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin (sic!) Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 7. November 2016, bei Gericht am 9. November 2016 eingegangen, legte die Antragsgegnerin die Behördenakte vor.
Mit Schreiben vom 11. November 2016 legte der Prozessbevollmächtigte sein Schreiben vom selben Tag im Verfahren M 8 K 16. 50949 vor, in dem er darum bat, dieses Verfahren „auszutragen“, da mangels Benennung der Beklagten und mangels Ersichtlichkeit des Klagegegenstands keine ordnungsgemäße Klage vorliegen dürfe.
Mit Schreiben vom 14.11.2016 teilte die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts dem Prozessbevollmächtigten mit, dass aus Sicht des Gerichts eine ordnungsgemäße Klageerhebung mit Schreiben des Klägers vom 28. Oktober 2016 vorliege. Die Klage vor der 25. Kammer sei zu einem späteren Zeitpunkt bei Gericht eingegangen. Es dürfe sich um einen Fall der doppelten Rechtshängigkeit handeln.
Mit Schreiben vom 28. November 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass die Klage im Verfahren M 8 K 16. 50949 zurückgenommen worden sei und begründete Klage und Eilantrag wie folgt: Der Kläger sei somalischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens. Er bestreite, in Italien bereits einen Asylantrag gestellt zu haben. Der Kläger sei nicht reisefähig. Ein ärztliches Attest werde nachgereicht. Ansprüche auf Strafverfolgung, Unterbringung, Verpflegung, Rechtsberatung, medizinische Versorgung, psychologische Hilfe usw. seien dem Kläger in Italien verwehrt worden. Somit liege ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
1. Das Bundesamt hat die Abschiebung nach Italien zutreffend gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG angeordnet.
Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG). In einem solchen Fall verpflichtet § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG das Bundesamt, die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an zuordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1.1. Italien ist für die Prüfung des am 13. Juni 2016 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrags zuständig.
1.1.1. Die Antragsgegnerin hat Italien innerhalb der Frist (Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO) um Wiederaufnahme gemäß Art. 18 Absatz 1b Dublin-III-VO ersucht. Italien ist mangels fristgemäßer Antwort gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen.
1.1.2. Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Italiens den Asylantrag des Antragstellers inhaltlich selbst zu prüfen. Dem Gericht liegen keine Hinweise darauf vor, dass der Asylantragsteller in Italien Gefahr liefe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden und es demzufolge geboten sein könnte, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21. Dezember 2011 C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) zwar dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14A; U.v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U.v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B.v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH U.v. 28.2.2014 – 13 a B 13.30295; OVG Magdeburg, B.v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 17.10.2013 – OVG 3 S. 40.13) geht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon aus, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S.v. Art. 4 Grundrechtecharta implizieren. Diese Einschätzung wird auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 4.11.2014 – 2921/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt.
Der volljährige, alleinstehende Antragsteller gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen.
Aktuell begründen die Aufnahmebedingungen in Italien für den alleinstehenden arbeitsfähigen Mann grundsätzlich keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (EGMR, U.v. 13.01.2015 – 51428/10 – A.M.E. gegen Niederlande). Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel nach der Überstellung eine Unterkunft und Zugang zu einem geordneten (Wieder-)Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 23. Februar 2016 zu den Bedingungen der Rücküberstellung nach Italien, Seite 3f.). Zwar kam es in Italien in der Vergangenheit zu Kapazitätsengpässen in Bezug auf die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Italien hat jedoch inzwischen auf den Zustrom der Flüchtlinge reagiert und seine Kapazitäten wesentlich erhöht. Das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von etwa 5000 Plätzen auf etwa 120.000 Plätze gewachsen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, Seite 15). Auch nach Auskunft des Auswärtigen Amtes lag die Kapazität im Februar 2016 bereits bei etwa 100.000 Aufnahmeplätzen, wobei das Aufnahmesystem weiter ausgebaut werde (Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 23. Februar 2016 zu den Bedingungen der Rücküberstellung nach Italien, S. 5).
Der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien).
1.2. Das Bundesamt hat zu Recht Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens verneint. Trotz Aufforderung durch die Antragsgegnerin hat der Antragsteller die angeblich bereits vorhandenen ärztlichen Bestätigungen weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren vorgelegt.
Inlandsbezogene Abschiebungsverbote sind nicht erkennbar. Der Antragsteller hat seine Reiseunfähigkeit lediglich behauptet.
1.3. Keinen Bedenken begegnet das auf § 11 Abs. 2, 3 AufenthG gestützte sechsmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Da der Eilantrag keine Aussicht auf Erfolg hat, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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