Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Durchsuchungsanordnung zum Zweck der Sicherstellung eines Führerscheins

Aktenzeichen  W 6 X 20.481

Datum:
3.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7180
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 13 Abs. 2
VwZVG Art. 34 S. 1, Art. 37 Abs. 3 S. 2
VwGO § 40, § 45, § 52 Nr. 1
StVO § 3 Abs. 2 S. 3
FeV § 11 Abs. 8, § 47 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen der Antragsgegnerin in … W…, … … und … G… durch Bedienstete des Landratsamts W. und Polizeibeamte zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners Nr. …, ausgehändigt durch das Landratsamt W. am … 2019, werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.
II. Die Gestattung gilt bis zum 31. August 2020.
III. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
IV. Das Landratsamt W. wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an die Antragsgegnerin im Wege der Amtshilfe beauftragt.
V. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt eine Durchsuchungsanordnung zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins der Antragsgegnerin.
1. Der 1961 geborenen Antragsgegnerin war aufgrund der Nichtvorlage eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung ihrer Fahreignung hinsichtlich Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV (psychische Störung) zunächst mit Bescheid vom 29. Oktober 2018 des Landratsamts W. die Fahrerlaubnis entzogen worden. Am 10. Dezember 2018 versicherte die Antragstellerin beim Landratsamt an Eides statt, dass ihr der abzuliefernde Führerschein der Klasse 3, ausgestellt von der Stadt W. am 22. Januar 1982, am 7. Oktober 2018 gestohlen worden sei und sie ihn deshalb nicht vorlegen könne. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte sie ein Gutachten des TÜV Thüringen Fahrzeug GmbH & Co. KG vor, aus dem hervorgeht, dass trotz der bekannt gewordenen Krankheit nach Nr. 7 (psychische Störung) derzeit keine Einschränkung der Fahreignung bestehe. Infolgedessen hob die Regierung von Unterfranken den Bescheid vom 29. Oktober 2018 mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2019 auf. Am … … 2019 wurde der Antragsgegnerin ein neuer Führerschein mit der Nr. … durch das Landratsamt W. ausgestellt.
Die Antragsgegnerin wurde mit weiterem Schreiben vom 3. September 2019 aufgefordert, wegen Verdachts auf Vorliegen eines erhöhten Aggressionspotenzials unter Hinweis auf diverse abgeurteilte Straftaten ein psychologisches Gutachten beizubringen. Eine Vorlage erfolgte nicht, ebenso wenig erfolgte eine Äußerung auf die Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis.
Mit kostenpflichtigem Bescheid vom 29. November 2019 entzog das Landratsamt der Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), da sie der Anordnung zur Vorlage einer psychologischen Untersuchung nicht nachgekommen war, § 11 Abs. 8 FeV. In Nr. 2 des Bescheids wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, den am … … 2019 ausgestellten Führerschein Nr. … der Klassen AM 79.03, A1 79.03, 79.04, A 79.03, 79.04, B, BE, C1, C1E und L spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3) und der Antragsgegnerin für den Fall der Nichterfüllung der Abgabepflicht ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht (Nr. 4). Der mit einer Rechtsmittelbelehrungversehene Bescheid wurde dem damaligen Bevollmächtigten der Antragsgegnerin am 4. Dezember 2019 zugestellt und ist seit dem 8. Januar 2020 bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2020 stellte der Antragsteller das angedrohte Zwangsgeld fällig und drohte der Antragsgegnerin unmittelbaren Zwang an (Beitreibung des Führerscheins durch die Polizei), falls sie den Führerschein nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abgibt. Der Bescheid wurde der Antragsgegnerin am 6. Februar 2020 zugestellt.
Eine Reaktion der Antragsgegnerin erfolgte nicht, sodass die Polizeiinspektion W.-Land mit Schreiben vom 17. Februar 2020 vom Landratsamt aufgefordert wurde, den Führerschein im Wege des unmittelbaren Zwangs beizutreiben. Ausweislich der Rückmeldung der Polizei sei die Antragsgegnerin am 19. Februar 2020 in ihrer Wohnung aufgesucht worden, eine Kommunikation habe erst über den Balkon stattgefunden. Die Antragsgegnerin sei absolut unkooperativ, verbal aggressiv und uneinsichtig gewesen und habe die Wohnungstür nicht öffnen wollen. Nach mehrfacher Androhung sei die Türe gewaltsam geöffnet und die Antragsgegnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Die Geldbörse der Antragsgegnerin habe offen auf dem Sofa gelegen und die Antragsgegnerin habe der Durchsicht auf Nachfrage nicht widersprochen. Der im Geldbeutel aufgefundene Führerschein der Klasse 3, ausgestellt am 22. Januar 1982 durch die Stadt W., Liste-Nr. … wurde sichergestellt. Der einzuziehende Führerschein (Nr. … der Klassen AM 79.03, A1 79.03, 79.04, A 79.03, 79.04, B, BE, C1, C1E und L ausgestellt am …2019 durch das Landratsamt W.) sei nicht herausgegeben worden.
2. Am 31. März 2020 beantragte das Landratsamt bei Gericht für den Antragsteller, die Durchsuchung der Wohnräume mit Nebenräumen der Antragsgegnerin in … W… und … G… nach dem Führerschein Nr. … zu gestatten,
festzustellen, dass die Antragsgegnerin sowie alle Fahrzeuge, die auf die Antragsgegnerin zugelassen sind, zum Zwecke der Auffindung und Abnahme des Führerscheins durchsucht werden dürfen.
Zur Begründung wurde auf das bisherige Verwaltungsverfahren verwiesen und im Wesentlichen ausgeführt, der Führerschein sei bisher nicht abgegeben worden. Die Abgabe des Führerscheins sei notwendig, damit die Antragsgegnerin durch Vorzeigen des Führerscheins nicht den Rechtsschein erwecken könne, trotz des bestandskräftigen Entzugs nach wie vor im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Es bestehe der begründete Verdacht, dass die Antragsgegnerin weiterhin unter Vorzeigen ihres Führerscheins ungehindert am Straßenverkehr teilnehme und dadurch den Tatbestand des § 21 StVG erfülle. Die Nichtabgabe des Führerscheins stelle zudem eine Ordnungswidrigkeit dar. Da weder die Androhung von Zwangsgeld noch von unmittelbaren Zwang zur Vorlage des Dokuments geführt habe, sei nun die Durchsuchung der Person, der Wohnräume einschließlich Nebenräume sowie der vorhandenen und eventueller zukünftig auf die Antragsgegnerin zugelassenen Fahrzeuge durch Polizeibeamte erforderlich.
Eine Anhörung der Antragsgegnerin erfolgte nicht.
3. Der am 27. Januar 2020 durch die Antragsgegnerin gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der zeitgleich erhobenen Anfechtungsklage gegen den Entziehungsbescheid vom 29. November 2019 wurde mit Beschluss vom 6. Februar 2020 (Az.: W 6 S 20.195) unter Hinweis auf die Bestandskraft des angefochtenen Entziehungsbescheids abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 25.3.2020 – 11 CS 20.350, 11 C 20.351 und 11 C 20.352).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 S 20.195, und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist in dem im Tenor (Nr. I.) genannten Umfang statthaft und in-soweit zulässig und begründet. Im Übrigen war der Antrag unzulässig und abzulehnen (Nr. III).
1. Bei der begehrten Durchsuchungsanordnung zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins der Antragsgegnerin ist der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts (§ 45 VwGO) gegeben. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Zusammenhang mit einer Verwaltungsvollstreckung nach dem Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) aus öffentlich-rechtlichen Bescheiden. Die Polizei wird im Wege der Vollstreckungshilfe für das Landratsamt tätig (Art. 2 Abs. 3 PAG, Art. 37 Abs. 2 VwZVG). Das angerufene Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg ist für den Rechtsstreit auch nach § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig. Insbesondere handelt es sich bei dem Antrag auf Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegnerin um kein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis i.S.v. § 52 Nr. 1 VwGO, da es um die Vollstreckung der Verpflichtung zur Herausgabe des Führerscheins der Antragsgegnerin geht.
2. Der Antrag auf Durchsuchung der Wohnung (Haupt- und Nebenwohnsitz) mit Nebenräumen der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.
2.1 Nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind die mit der Durchführung des Verwaltungszwangs beauftragten Bediensteten der Vollstreckungsbehörde und Polizeibeamte befugt, die Wohnung eines Pflichtigen zu betreten und verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen, soweit es der Zweck der Vollstreckung erfordert. Zwar enthält diese Vorschrift keinen richterlichen Erlaubnisvorbehalt, im Hinblick auf die Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), wonach Wohnungsdurchsuchungen – außer bei Gefahr im Verzug – nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift jedoch verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung des Pflichtigen und das Öffnen verschlossener Türen und Behältnisse nur durch den Richter angeordnet werden darf (BVerfG, B.v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76; B.v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05 – juris; VG München, B.v. 21.12.2012 – M 6a X 12.6329 – juris).
Es ist unschädlich, dass der Nebenwohnsitz der Antragsgegnerin in … G…, Main-Kinzig-Kreis in Hessen, liegt, da der Verfahrensgegenstand die Verwaltungsvollstreckung nach dem Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) aus dem Bescheid des Antragstellers vom 3. Februar 2020 ist (s.o. 1.). Auf dem Hoheitsgebiet des Landes Hessen kann sich der Antragsteller gemäß Art. 4 BayVwVfG, § 4 HVwVfG der Amtshilfe der hessischen Landespolizei bedienen. Da die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gleichlautende Vorschriften enthalten, gelten dieselben Regeln für die Amtshilfe zwischen den Behörden verschiedener Länder untereinander (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 7 Rn. 3). Nach den gleichlautenden Art. 7 Abs. 1 BayVwVfG und § 7 Abs. 1 HVwVfG richtet sich die Zulässigkeit der Maßnahme, die durch die Amtshilfe verwirklicht werden soll, nach dem für die ersuchende Behörde, die Durchführung der Amtshilfe nach dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht. Demnach ist die durch den Antragsteller vorliegend beantragte Maßnahme – nämlich die Durchsuchung der Wohnungen der Antragsgegnerin – nach dem Maßstab des Art. 37 Abs. 3 VwZVG zu prüfen. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die Handlung der ersuchenden Behörde, für die die Amtshilfe in Anspruch genommen wird, nach dem Recht der ersuchten Behörde zu Recht besteht bzw. rechtmäßig vorgenommen werden kann (Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 5). Die konkrete Durchführung der Maßnahme in G… obliegt der im Wege der Amtshilfe ersuchten hessischen Landespolizei nach dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
2.2 Der Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Wohnungen der Antragsgegnerin einschließlich der Nebenräume ist begründet. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (Ar. 18 ff VwZVG) liegen vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Durchsuchungsgestattung unverhältnismäßig wäre, bestehen nicht. Im Einzelnen:
Bei der Anordnung in Nr. 2 des Bescheides vom 29. November 2019, nämlich den Führerschein spätestens innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheides bei der Führerscheinstelle des Landratsamts abzuliefern, handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der der Vollstreckung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs zugänglich ist (Art. 18 VwZVG). Die sofortige Vollziehung war angeordnet (Nr. 3 des Bescheides) worden, im Übrigen ist der Bescheid bestandskräftig und damit vollstreckbar. Der am 4. Dezember 2019 zugestellte Bescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung(Widerspruch oder Klage) versehen, Rechtsmittel wurden innerhalb offener Rechtsmittelfrist seitens der Antragsgegnerin nicht ergriffen, der Verwaltungsakt ist bestandskräftig geworden.
Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs gemäß Art. 34 VwZVG mit Bescheid vom 3. Februar 2020 (Nr. 1), sollte die Antragsgegnerin den Führerschein nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung abgeben, ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG) und mittlerweile in Bestandskraft erwachsen. Der Bescheid wurde der Antragsgegnerin am 6. Februar 2020 zugestellt und war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehen. Ein Rechtsmittel wurde seitens der Antragsgegnerin nicht eingelegt. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs wurde der Antragsgegnerin angedroht, wie Art. 36 Abs. 1 VwZVG es verlangt. Die gesetzte Frist war unter Berücksichtigung der Erfolglosigkeit der vorausgegangenen Bemühungen des Landratsamts angemessen (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG).
Nicht mehr zu prüfen war im vorliegenden Verfahren, ob neben den Vollstreckungsvoraussetzungen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch die zu Grunde liegenden vollstreckbaren Titel, nämlich die Bescheide vom 29. November 2019 (Entzug der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins) und vom 3. Februar 2020 (Androhung unmittelbaren Zwangs) im Übrigen rechtmäßig sind. Diese Bescheide sind – mangels (rechtzeitiger) Einlegung eines Rechtsmittels durch die Antragsgegnerin – in Bestandskraft erwachsen. Es genügt für die Vollstreckung, dass diese Bescheide nicht offensichtlich rechtswidrig sind. Dass diese Bescheide an einem solch gravierenden Fehler leiden würden und damit offensichtlich rechtswidrig bzw. nichtig wären, kann nicht festgestellt werden. Angesichts der wiederholten schriftlichen Einlassungen der Antragsgegnerin gegenüber dem Landratsamt, sie werde den Führerschein nicht abgeben (z.B. Schreiben v. 24.1.2020, E-Mail v. 11.2.2020) und der Tatsache, dass die Antragsgegnerin entgegen einer bereits abgegeben eidesstattlichen Versicherung ihren 1982 ausgestellten Führerschein der Klasse 3 weiterhin in ihrem Besitz hatte, hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die Androhung weiterer Zwangsgelder und deren Vollstreckung keinen rechtzeitigen Erfolg im Sinne des Art. 34 Satz 1 VwZVG hätten erwarten lassen, sodass die Androhung unmittelbaren Zwangs gerechtfertigt war. Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von der Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr ausgeht, liegt auf der Hand.
Der Antragsteller hat ferner glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bisher nicht nachgekommen ist (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Hinweise darauf, dass die Antragsgegnerin ihren Führerschein nicht mehr in ihrem Besitz haben könnte, sind weder ersichtlich noch wurden sie im laufenden Vollstreckungsverfahren vorgetragen. Spätestens beim Aufsuchen durch die Polizei am 19. Februar 2020 hätte die Antragsgegnerin die Gelegenheit zu einem entsprechenden Vorbringen gehabt.
Die Durchsuchungsanordnung ist auch erforderlich. Die erfolglose Androhung von Zwangsgeld und dessen Fälligstellung, die ebenfalls bisher erfolglos gebliebene Androhung unmittelbaren Zwangs und das Verhalten der Antragsgegnerin, insbesondere gegenüber der Polizei am 19. Februar 2020, lassen erkennen, dass die Antragsgegnerin den Führerschein weiterhin in ihrem Besitz hat und nicht gewillt ist, ihn abzugeben. Unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens der Antragsgegnerin – auch ihrem Erklärungsverhalten im Verfahren W 6 S 20.195 – ist nach Aktenlage daher davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin ihren Führerschein nach wie vor in ihrem Besitz hat und eine Herausgabe des Dokuments verhindern möchte. Nachdem auch das Amtsermittlungsersuchen an die Polizei keinen Erfolg brachte, war das Ersuchen einer richterlichen Gestattung erforderlich. Nach dem Gesamtverhalten der Antragsgegnerin erscheint die zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung am Haupt- als auch Nebenwohnsitz erforderlich. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass die Antragsgegnerin ihren Führerschein in ihre zweite Wohnung in G… geschafft hat, um ihn vor einer Sicherstellung zu schützen.
Sonstige Umstände, aufgrund derer eine Wohnungsdurchsuchung als nicht verhältnismäßig erscheinen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere muss das Recht der Antragsgegnerin auf die Unverletzlichkeit ihrer Wohnung (Art. 13 GG) angesichts der vom Antragsteller hier im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzenden öffentlichen Interessen an einer effektiven Gefahrenabwehr, die durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr entstehen, zurücktreten. Die Gefahr des Missbrauchs des Führerscheindokuments, das sich mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch im Besitz der Antragsgegnerin befindet, wiegt schwerer als die Unverletzlichkeit der Wohnung, zumal der Antragsgegnerin mehrfach die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Fahrerlaubnis freiwillig zurückzugeben. Der Missbrauch des Führerscheindokuments erscheint auch naheliegend, nachdem die Antragsgegnerin bereits in der Vergangenheit eine falsche eidesstattliche Versicherung über den Verlust ihres Führerscheindokuments abgegeben hat, um die damalige Ablieferungspflicht aus dem Bescheid vom 29. Oktober 2018 zu umgehen.
2.3 Unzulässig mangels Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses war der Antrag jedoch insoweit, als auch beantragt wurde die Durchsuchung etwaiger Fahrzeuge der Antragsgegnerin und ihrer Person zu gestatten. Diese Durchsuchungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG erfasst und unterliegen nicht dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG. Sie sind, soweit nicht gesetzliche Sonderregelungen eingreifen (z. B. nach PAG oder StPO) ohne gerichtliche Gestattung unter Beachtung der jeweils einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen von der zuständigen Behörde aus eigenem Recht zu veranlassen und durchzuführen (Art. 30 Abs. 1 VwZVG). Soweit zur Anwendung unmittelbaren Zwangs die Heranziehung von Polizeibeamten erforderlich ist, hat die örtlich zuständige Polizeidienststelle auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde Hilfe zu leisten (Art. 37 Abs. 2 VwZVG). Einer gerichtlichen Gestattung und damit eines Antrags an das Gericht bedurfte es insoweit nicht (VG München, B.v. 19.3.2013 – M 6b X 13.1124; B.v. 21.12.2012 – M 6a X 12.6329 – juris; a.A. VG Augsburg, B.v. 1.3.2012 – Au 7 V 12.271, B.v. 12.1.2009 – Au 7 V 09.8 – juris). Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Feststellung wird deshalb nicht gesehen.
3. Von einer Anhörung der Antragsgegnerin vor Erlass des Beschlusses konnte nach Ausübung des dem Gericht hierbei zustehenden Ermessens abgesehen werden. Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Gefährdung sicherheitsrechtlicher Interessen kann jedoch auch einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen. Gerade bei einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzuspüren, was der Betroffene von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will. Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden (BVerfG, B.v. vom 19.6.1981, a.a.O.). Angesichts des Vorverhaltens der Antragsgegnerin muss nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass eine Anhörung vor Erlass dieses Beschlusses den Vollstreckungserfolg gefährden würde. Es ist zu erwarten, dass die Antragsgegnerin, die sich bisher nachhaltig geweigert hat, ihren Führerschein herauszugeben und die sich von den bisher gegen sie ergriffenen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung sowie dem Besuch der Polizei unbeeindruckt gezeigt hat, auch dazu bereit sein wird, ihren Führerschein beiseite zu schaffen, sobald sie von der beabsichtigten Durchsuchung erfährt. So schreckte die Antragsgegnerin in der Vergangenheit schon nicht vor einer falschen eidesstattlichen Versicherung zurück, um in einem damaligen Entziehungsverfahren das Führerscheindokument nicht abgeben zu müssen. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden (BayVGH, B.v. 27.11.1998 – 4 C 98.2721 – juris).
4. Aus diesen Gründen ist auch die in Nr. IV des Tenors ausgesprochene Regelung sinnvoll, die Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an die Antragsgegnerin im Wege der Amtshilfe (§ 14 VwGO) zu beauftragen. Würde der Antragsgegnerin der Beschluss vor der Durchsuchung zugestellt, wäre der Vollstreckungserfolg ebenfalls wie bei einer vorherigen Anhörung vor Beschlusserlass gefährdet.
5. Die Durchsuchungsanordnung war zu befristen, da die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht auf unabsehbare Zeit gewährleisten kann. Die Befristung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 27.5.1997 – 2BvR 1992/97 – BVerfGEBVerfGE 96, 44).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Tatsache, dass der Antrag insoweit abgelehnt werden musste, als neben der Gestattung der Wohnungsdurchsuchung auch eine Gestattung der Durchsuchung der Person und der etwaigen Kraftfahrzeuge der Antragsgegnerin beantragt wurde, stellt nur ein geringfügiges Unterliegen des Antragstellers im Sinne der Vorschrift dar.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

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