Aktenzeichen M 24 K 16.2084, M 24 S 16.2085
DVAsyl § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 Nr. 2
ZPO § 114
Leitsatz
1 Die zumindest vorübergehende Schließung einer staatlichen Unterkunft ist der eine Umzugsaufforderung rechtfertigenden endgültigen Auflösung gleichzustellen, da dem Antragsteller auch bei vorübergehender Schließung für die Zwischenzeit eine Unterkunft zugewiesen werden muss. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Umzugsaufforderung bedarf keiner expliziten Begründung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 24 S 16.2085) wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten für das Hauptsacheverfahren (M 24 K 16.2084) wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der am … Januar 1980 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger und Asylbewerber.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21. April 2016 wies die Regierung von Oberbayern den Antragsteller ab dem 21. April 2016 dem Landkreis … und dort als künftigen Wohnsitz eine Unterkunft in der …straße 39 in … zu, in die er am 21. April 2016 einzuziehen verpflichtet sei. Bislang hatte der Antragsteller in der GU … in der … Straße 12 in … gewohnt.
Am 4. Mai 2016 erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte gegen diesen Bescheid Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Regierung von Oberbayern, mit dem der Antragsteller in die Unterkunft …weg 39, … … zugewiesen werde, aufzuheben.
Zugleich wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragssteller sei psychisch krank. Er benötige ein Einzelzimmer, das ihm in der Unterkunft in der … Straße 12 in … auch zur Verfügung gestellt worden sei. In der neuen Unterkunft solle er mit mindestens sechs Personen in einem Zimmer leben. Der Klage- und Antragsschrift beigefügt waren ein fachärztlicher Befundbericht vom 1. Februar 2016 und ein psychologisch-psychotherapeutischer Befundbericht vom 8. Februar 2016, die sich mit den Folgen einer etwaigen erzwungenen Ausreise des Antragstellers auseinandersetzen, sowie ein fachärztliches Attest vom 14. April 2016 und eine psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 2. Mai 2016, in denen eine Unterbringung des Antragstellers in einem Einzelzimmer befürwortet wurde.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2016 beantragte der Antragsgegner die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Während der Dauer des Asylverfahrens bestehe kein Anspruch auf Aufenthalt an einem bestimmten Ort (§ 55 Abs. 1 Satz 2 Asylgesetz – AsylG). Die Gemeinschaftsunterkunft in der … Straße werde demnächst geschlossen, da sie dringend renovierungsbedürftig sei. Ein Verbleib in der Unterkunft sei daher nicht möglich.
Mit Schreiben vom 27. Mai 2016 ergänzte der Antragsgegner seine Ausführungen dahingehend, dass – nach telefonischer Rücksprache mit dem Landratsamt … – im Landkreis … kein Einzelzimmer zur Verfügung stehe. Die dezentrale Unterkunft in … sei voll belegt. Eine Belegung des Zimmers im …weg mit nur einer statt sechs Personen komme in der aktuell immer noch sehr angespannten Unterbringungssituation nicht in Betracht und würde auch zu erheblicher Unruhe in der Unterkunft führen, da sämtliche anderen Zimmer voll belegt seien. Sonstige dezentrale Unterkünfte im Landkreis … würden nicht über Einzelzimmer verfügen. Dem Antragsteller könne daher nur ein Zimmer in einem anderen Landkreis angeboten werden. Außerdem könnte er aus gesundheitlichen Gründen die private Wohnsitznahme beantragen. Die Aufhebung des Bescheides komme aufgrund der Schließung der Unterkunft nicht in Betracht (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 5 zweiter Spiegelstrich DVAsyl).
Mit Telefax seiner Bevollmächtigten vom 21. Juni 2016 erklärt der Antragsteller, dass er selbstverständlich auch ein Einzelzimmer in einem anderen Landkreis annehmen würde.
Mit weiterem Schreiben vom 1. Juli 2016 erwiderte der Antragsgegner, eine Umverteilung in einen anderen Landkreis sei nicht beantragt worden. Aktuell könne dem Antragsteller nur ein Doppelzimmer in einer Unterkunft im Bereich der Landeshauptstadt … angeboten werden. Das zweite Bett würde dann nicht belegt werden. Es werde jedoch angeregt, hier aus medizinischen Gründen eine private Wohnsitznahme zu beantragen.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 7. Juli 2016 erklärte der Antragsteller, dass mit dem Angebot des Antragsgegners im Schreiben vom 1. Juli 2016 Einverständnis bestehe.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2016, bei Gericht eingegangen am 25. Juli 2016, beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse diesem im Verfahren M 24 K 16.2084 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Unterfertigenden zu bewilligen.
Mit Schreiben vom 8. September 2016 teilte der Antragsgegner mit, dass der Antrag auf Umverteilung in ein Doppelzimmer in Bearbeitung sei. Die Umzugsaufforderung aufgrund der Schließung der Gemeinschaftsunterkunft sei rechtmäßig gewesen.
Mit Beschluss vom 21. November 2016 wurde der Rechtsstreit M 24 K 16.2084 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten M 24 S 16.2085 und M 24 K 16.2084 Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Eilantrag bleibt in der Sache erfolglos.
1.1. Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (Art. 10 Abs. 1 Satz 1, Art. 5 Abs. 2 Aufnahmegesetz – AufnG – i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) sofort vollziehbare Umzugsaufforderung im Bescheid vom 21. April 2016.
1.2. Das Verwaltungsgericht München ist zur Entscheidung über diesen Antrag als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 45 VwGO; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da die DVAsyl (auch) auf § 50 Abs. 2 AsylG beruht und für die Entscheidung jedenfalls auch § 53 AsylG maßgeblich ist (VG München, Kammerbeschluss vom 24.6.2015 – 24 K 15.2322 – juris Rn. 3-6 m.w.N.). Der Antragsteller hatte im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG -) seinen Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (Landkreis …) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen. Zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
1.3. Der zulässige Antrag ist unbegründet und war daher abzulehnen.
1.3.1. Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht abzuwägen zwischen dem gesetzlich bestimmten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse eines Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
1.3.2. Nach summarischer Prüfung ist vorliegend davon auszugehen, dass sich der streitgegenständliche Bescheid als rechtmäßig erweisen und die Klage des Antragstellers deshalb erfolglos bleiben wird, so dass das staatliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt.
1.3.2.1. Rechtsgrundlage der im streitgegenständlichen Bescheid von Amts wegen verfügten Umzugsaufforderung ist, da nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich ist, § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Altern. 1 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 DVAsyl in der seit 1. September 2016 geltenden Fassung (GVBl. S. 258ff). Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 9 Abs. 3 Satz 1 DVAsyl zuständige Regierung eine Umzugsaufforderung in eine andere Wohnung, in eine andere Unterkunft, in eine Gemeinschaftsunterkunft oder dezentrale Unterkunft innerhalb des Landkreises oder der kreisfreien Gemeinde erfolgen. Ein öffentliches Interesse für eine Umzugsaufforderung besteht dabei insbesondere bei Auflösung einer staatlichen Unterkunft (§ 9 Abs. 5 Nr. 2 DVAsyl).
So verhält es sich hier. Den unwidersprochenen Ausführungen des Antragsgegners zufolge ist die Gemeinschaftsunterkunft … dringend renovierungsbedürftig und muss in Kürze geschlossen werden. Die zumindest vorübergehende Schließung einer staatlichen Unterkunft ist dabei der endgültigen Auflösung gleichzustellen, da dem Antragsteller auch bei vorübergehender Schließung für die Zwischenzeit eine Unterkunft zugewiesen werden muss.
1.3.2.2. Der Umzugsaufforderung stehen auch nicht sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i.S.v. § 9 Abs. 6 DVAsyl entgegen. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus den vorgelegten Unterlagen zur psychischen Erkrankung des Antragstellers.
Der fachärztliche Befundbericht vom 1. Februar 2016 und der psychologisch-psychotherapeutischer Befundbericht vom 8. Februar 2016 befassen sich mit den Folgen einer etwaigen erzwungenen Ausreise für den Antragsteller, die vorliegend nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Soweit in dem fachärztlichen Attest vom 14. April 2016 und in der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 2. Mai 2016 die Unterbringung des Antragstellers in einem Einzelzimmer befürwortet wurde, ergeben sich daraus keine sonstigen humanitären Gründe von vergleichbarem Gewicht.
Im Übrigen hat der Antragsgegner nachvollziehbar und unwidersprochen dargelegt, dass eine Unterbringung in einem Einzelzimmer im Landkreis … mangels Kapazitäten nicht möglich ist. Die Unterbringung in einem anderen Landkreis, um die sich der Antragsgegner nach entsprechender Beantragung durch den Antragsteller auch bemüht, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens.
1.3.2.3. Wie sich dem Schreiben des Antragsgegners vom 27. Mai 2016 entnehmen lässt, liegt das nach § 9 Abs. 3 Satz 1 DVAsyl erforderliche Einvernehmen der Ausländerbehörde vor.
1.3.2.4. Der streitgegenständliche Bescheid leidet auch nicht unter Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Die vorliegende Umzugsaufforderung bedarf gemäß § 9 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl i.V.m. § 50 Abs. 4 Satz 3 AsylG zum einen von vornherein keiner expliziten Begründung. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom 21. April 2016 auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhen könnte, zumal die Umzugsaufforderung anlässlich der zumindest vorübergehenden Schließung der Gemeinschaftsunterkunft in … erfolgte.
1.4. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Eilverfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der unterzeichnenden Bevollmächtigten für das Klageverfahren (M 24 K 16.2084) wird abgelehnt. Dem eindeutigen Prozesskostenhilfeantrag vom 18. Juli 2016 zufolge wurde Prozesskostenhilfe nur für das Klage-, nicht aber auch für das Eilverfahren beantragt.
2.1. Für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ist das Verwaltungsgericht München als Gericht der Hauptsache sachlich und örtlich zuständig (s.o. unter Nr. 1.2.). Aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer vom 21. November 2016 ist der Einzelrichter zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag im Klageverfahren zuständig (§ 76 Abs. 1 AsylG).
2.2. Nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach einen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen des Beteiligten ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife als offen zu beurteilen sein (BayVGH B.v. 23.10.2005 – 10 C 04.1205 – juris).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da die Klage keine hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO hat. Auf die vorstehenden Ausführungen wird insofern Bezug genommen. Da dem Antragsteller keine Prozesskostenhilfe gewährt wird, war auch der Antrag auf Beiordnung der zur Vertretung bereiten Bevollmächtigten abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).
2.3. Die Entscheidungen über die Prozesskostenhilfe ergehen kostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).