Aktenzeichen M 10 S 16.31523
RL 2013/32/EU Art. 32 Abs. 2, Art. 46 Abs. 5, Abs. 6
Leitsatz
Das verfahrensrechtliche Bleiberecht nach Art. 46 Abs. 5 RL 2013/32/EU wird für Schutzsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten in zulässiger Weise durch Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Klage eingeschränkt. (redaktioneller Leitsatz)
Soweit die Bestimmungen in den § 29a Abs. 1, § 30 AsylG nicht vorsehen, dass der Asylantrag im Bescheid des Bundesamtes auch hinsichtlich des internationalen subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, steht dies nicht im Widerspruch zur Verfahrensrichtlinie (so aber VG Münster BeckRS 2016, 42272, VG Kassel BeckRS 2016, 44575, VG Düsseldorf BeckRS 2016, 40065). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller tragen gesamtverbindlich die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 10. Juni 2016, denen es folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Bescheid wurde am 20. Juni 2016 zugestellt.
Die Antragsteller haben durch ihren Bevollmächtigten am 27. Juni 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben (Az. M 10 K 16.31522). und beantragen,
unter insoweitiger Aufhebung ihrer Entscheidung vom 10. Juni 2016 wird die Beklagte verpflichtet, den Klägern gemäß § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen von § 4 AsylG, höchst hilfsweise, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich des Kosovo vorliegen;
ersatzweise werden zumindest das Offensichtlichkeitsmerkmal in Ziff. 1 und 2 sowie die in Ziff. 6 und 7 der Entscheidung enthaltenen Fristbestimmungen aufgehoben, höchst hilfsweise – unter Aufhebung des Offensichtlichkeitsmerkmals in Ziff. 1 und 2 – in Ziff. 6 eine Frist von höchstens einem Monat und in Ziff. 7 von längstens 12 Monaten bestimmt, höchst ersatzweise die Beklagte insoweit zur Neubescheidung verpflichtet.
Gleichzeitig wird beantragt,
es wird festgestellt, dass die Klage vom heutigen Tage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Juni 2016 aufschiebende Wirkung hat.
Zur Begründung des Antrags wird ausgeführt, die Antragsgegnerin lehne zwar den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ab, nicht aber den Antrag auf subsidiären Schutz; dieser werde nur als einfach unbegründet abgelehnt. Gleichwohl solle die Klage keine aufschiebende Wirkung haben.
Die Antragsteller könnten sich jedoch auf Art. 46 Abs. 5 der Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes berufen, der ihnen ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf einräume, dessen Ausnahmen hier nicht vorlägen und der im Verhältnis der Antragsteller zur Antragsgegnerin unmittelbar anwendbar sei.
Auf die eingehenden Ausführungen wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt ohne Erfolg. Nach § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 sowie der §§ 73, 73 b und 73 c aufschiebende Wirkung; diese Ausnahmen von der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit liegen ersichtlich nicht vor.
Auch unmittelbare Geltung beanspruchende europarechtliche Vorschriften, die nationales Recht dahingehend überlagern würden, dass die erhobene Klage entgegen § 75 AsylG aufschiebende Wirkung hätte, sind nicht ersichtlich. Das Gericht hat hierzu bereits in einem anderen Verfahren (B.v. 30.6.2016 – M 10 S 16.31521) entschieden:
„Der Anwendung des § 75 Abs. 1 AsylG steht keine unmittelbar geltende Bestimmung der Europäischen Union entgegen. Insbesondere ist Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des Internationalen Schutzes (Neufassung) (ABl. Nr. L 180/60 v. 29.6.2013, S. 60 – Verfahrensrichtlinie) im Fall der Ablehnung eines Asylantrags eines Antragstellers aus einem sicheren Herkunftsstaat nicht unmittelbar anwendbar und folgt daraus im Rechtsverhältnis zum jeweiligen Antragsteller kein verfahrensrechtliches Bleiberecht (a.A. VG Düsseldorf, B.v. 5.2.2016 – 7 L 4154/15.A – juris Rn. 17 ff.). Denn es verbleibt nach Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hinsichtlich des Mittels bei der Anwendung des mitgliedstaatlichen Rechts, da der antragsgegnerische Mitgliedstaat diese Richtlinie insoweit vollständig umgesetzt hat (vgl. VG Hamburg, B.v. 14.4.2016 – 2 AE 1426/16 – juris Rn. 3).
Nach Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU gestatten die Mitgliedstaaten unbeschadet des Absatzes 6 den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. Danach kann ein Antragsteller also grundsätzlich bis zur Entscheidung über seine Klage gegen einen ablehnenden Asylbescheid im Bundesgebiet verbleiben, es sei denn, dass dieses Recht nach Absatz 6 zulässig eingeschränkt worden ist. So liegt es aber hier. Denn die Bundesrepublik Deutschland hat das sich aus dieser Bestimmung (Art. 46 Abs. 5 Verfahrensrichtlinie) ergebende verfahrensrechtliche Bleiberecht in zulässiger Weise nach Art. 46 Abs. 6 Buchst. a Verfahrensrichtlinie durch nationales Recht eingeschränkt. Art. 46 Abs. 6 der Verfahrensrichtlinie räumt den Mitgliedstaaten insoweit die Möglichkeit ein, das durch Art. 46 Abs. 5 Verfahrensrichtlinie eingeräumte (vorläufige) Bleiberecht unter den in Art. 46 Abs. 6 Buchst. a bis d aufgeführten Fällen zu beenden und verpflichtet sie gleichzeitig, wenn sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, ein gerichtliches Antragsverfahren, gerichtet auf Verschaffung eines solchen verfahrensrechtlichen Bleiberechts, einzuräumen. Hiervon ist durch die Beschränkung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 75 Abs. 1, 36 AsylG und die Möglichkeit des Eilrechtsschutzantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) Gebrauch gemacht worden (vgl. VG Cottbus, B.v. 3.5.2016 – 4 L 182/16.A – juris Rn. 6).
Das verfahrensrechtliche Bleiberecht nach Art 46 Abs. 5 der Verfahrensrichtlinie ist in zulässiger Weise nach Art. 46 Abs. 6 Buchst. a 1. Alternative der Verfahrensrichtlinie eingeschränkt worden. Art. 32 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie, der von Art. 46 Abs. 6 Buchst. a 1. Alternative der Verfahrensrichtlinie in Bezug genommen wird, ermächtigt dabei die Mitgliedstaaten, unbegründete Anträge, bei denen einer der in Art. 31 Abs. 8 der Verfahrensrichtlinie aufgeführten Umstände gegeben ist, als offensichtlich unbegründet zu betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Art. 32 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie erfordert insoweit lediglich das Vorliegen von zwei Voraussetzungen nämlich (erstens) einen unbegründeten Antrag und (zweitens) das Vorliegen einer der in Art. 31 Abs. 8 Verfahrensrichtlinie aufgeführten Umstände, die die Mitgliedstaaten ermächtigen, Anträge als offensichtlich unbegründet zu betrachten. Hierzu gehört auch der vorliegend in Rede stehende Umstand nach Art. 31 Abs. 8 Buchst. b, dass der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt.
Danach Art. 2 Buchst. b der Verfahrensrichtlinie der Antrag grundsätzlich sowohl die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch die Gewährung des subsidiären Schutzstatus umfasst, setzt eine im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie stehende nationale Regelung voraus, dass der Antrag sowohl in Bezug auf die Flüchtlingsanerkennung als auch in Bezug auf den subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet betrachtet wird.
Eine solche nationale Regelung für die Fälle, dass der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, ergibt sich vorliegend aus § 29 a Abs. 1 AsylG. Von diesem Offensichtlichkeitsverdikt ist auch der subsidiäre Schutz erfasst. Denn nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG umfasst ein Asylantrag sowohl die Anerkennung als Asylberechtigter als auch die Zuerkennung von internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nummer 2 AsylG, also den Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutz. Da § 29a Abs. 1 AsylG den Asylantrag (Asylantrag i. S. d. § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG) eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat als offensichtlich unbegründet betrachtet, gilt dies damit auch für den subsidiären Schutz.
Auch wenn insoweit die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes (§ 29a Abs. 1 und § 30 AsylG) nicht vorsehen, dass der Asylantrag im Bescheid des Bundesamtes auch hinsichtlich des internationalen subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, so steht dies nicht im Widerspruch zu der Verfahrensrichtlinie (so aber: VG Münster, B.v. 2.2.2016 – 7 L 118/16.A – juris; VG Kassel, B.v. 23.3.2016 – 6 L 375/16.KS.A – juris; VG Düsseldorf, B.v. 22.12.2015 – 7 L 3863/15.A – juris). Die Verfahrensrichtlinie fordert schon nicht, dass die Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ vom Bundesamt im Tenor des Bescheides ausdrücklich ausgesprochen wird; sie fordert auch keine diesbezügliche nationale Regelung, mit der die Behörde ermächtigt oder verpflichtet wird, die Ablehnung eines unbegründeten Antrags hinsichtlich des subsidiären Schutzes als „offensichtlich unbegründet“ auszusprechen. Nach Art. 32 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie können die Mitgliedsstaaten unbegründete Asylanträge u. a. bei einem Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat (Art. 31 Abs. 8 Buchst. b Verfahrensrichtlinie) als offensichtlich unbegründet „betrachten“. Eine Verpflichtung, dass die Mitgliedstaaten Regelungen vorsehen müssen, dass die offensichtliche Unbegründetheit auch im Tenor der Entscheidung (des Bescheides) der jeweiligen nationalen Behörde über den Asylantrag ausdrücklich als solche bezeichnet wird, lässt sich dem nicht entnehmen. Auch die weiteren Sprachfassungen der Verfahrensrichtlinie belegen dieses Verständnis. Vielmehr ist nach Art. 288 Abs. 4 AEUV eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, (nur) hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich; die Wahl der Form und der Mittel ist jedoch den innerstaatlichen Stellen überlassen (zum Ganzen: VG Cottbus, B.v. 3.5.2016 – 4 L 182/16.A – juris Rn. 8 ff.; so auch VG Lüneburg, B.v. 18.4.2016 – 5 B 70/16 – juris).“
An dieser Auffassung wird festgehalten.
2. Die Umdeutung in einen Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, führt ebenfalls nicht zu einem Erfolg des Antrags.
Das Gericht sieht hierzu von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 10. Juni 2016 folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Die Antragsteller haben im Eilverfahren keine maßgeblichen Gründe vorgetragen, die die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Bescheid in Frage stellen könnten.
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
4. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.