Aktenzeichen M 9 K 17.53457
VwVfG § 41 Abs. 5
VwZG § 8
Leitsatz
1 Ein mangels Bekanntgabe an den Adressaten unwirksamer Verwaltungsakt kann – wie ein nichtiger Verwaltungsakt auch – mit der Anfechtungsklage angegriffen und nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufgehoben werden, wenn ein berechtigtes Interesse an der Beseitigung des Rechtsscheins eines wirksamen Verwaltungsaktes vorliegt (VG Freiburg BeckRS 2018, 7967). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist eine höchstpersönliche Zustellung an den Ausländer erforderlich, kann ein Zustellungsmangel nicht durch die Kenntniserlangung eines Bevollmächtigten im Wege der Akteneinsicht geheilt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. August 2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite, Schreiben vom 8.5.2018) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
1. Die Klage ist zulässig.
Die Klage ist fristgerecht erhoben. Weil der Bescheid nicht zugestellt wurde, ist keine Klagefrist angelaufen. Eine Verwirkung kommt nicht in Betracht. Nach Kenntniserlangung davon, dass es überhaupt einen Bescheid gibt, wurde unverzüglich Klage erhoben.
Die Klage ist als Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO, auch statthaft, eine Umdeutung ist nicht erforderlich. Die gegenteilige Auffassung des Bundesamts, dass eine Anfechtungsklage unzulässig und stattdessen ausschließlich eine Feststellungsklage richtige Klageart sei, trifft für den hiesigen Fall nicht zu. Vielmehr ist in Rechtsprechung und Kommentarliteratur anerkannt, dass ein mangels Bekanntgabe an den Adressaten unwirksamer Verwaltungsakt – wie ein nichtiger Verwaltungsakt auch – mit der Anfechtungsklage angegriffen und nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgehoben werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse an der Beseitigung des Rechtsscheins eines wirksamen Verwaltungsaktes vorliegt (vgl. statt vieler VG Freiburg (Breisgau), U.v. 20.2.2018 – A 1 K 9766/17 – juris Rn. 25 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Diese Auffassung ist richtig, denn es muss dem Kläger möglich sein, den Rechtsschein, den der im Rechtsverkehr befindliche (beispielsweise geht aus der Bundesamtsakte hervor, dass die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde einen Abdruck des Bescheids bekommen hat) Bescheid erzeugt, zu beseitigen. Den Umstand, dass auch der dem Adressaten nicht bekannt gegebene, aber in den Rechtsverkehr, insbesondere an andere Behörden, entäußerte Bescheid geeignet ist, einen entsprechenden Rechtsschein zu entfalten, übersieht die Beklagte in ihrer Stellungnahme vom 11. Mai 2018. Das bedeutet, dass der Kläger die Möglichkeit haben muss, zur Klarstellung eine Aufhebung des eigentlich unwirksamen bzw. „Nicht“ Bescheids zu erreichen, soweit er daran ein berechtigtes Interesse hat, und nicht „nur“ die bloße Feststellung, dass der Bescheid nicht existent ist. Die Frage, ob der Kläger statt der bloßen Feststellung die Aufhebung verlangen kann, beantwortet sich im zu entscheidenden Einzelfall richtigerweise danach, ob ein entsprechendes Interesse des Klägers besteht, was hier ohne weiteres der Fall ist. Denn anders als bei der nach § 121 VwGO nur inter partes zwischen dem Kläger und der Beklagten wirkende Feststellung der fehlenden Wirksamkeit aufgrund der mangelnden Bekanntgabe, welche die mit dem Vollzug der Rechtsfolgen, insbesondere der Ausreisepflicht, befassten Landes- und Kommunalbehörden nicht binden würde, besteht hier das spezifische rechtliche Interesse des Klägers an der Aufhebung des nicht bekanntgegebenen Bescheids in der Beseitigung des gesetzten Rechtsscheins mit Wirkung inter omnes.
2. Die Klage ist auch begründet, da der Rechtsschein des nicht bekanntgegebenen und damit unwirksamen Bescheids vom 9. August 2017 den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Bescheid vom 9. August 2017 ist dem Kläger nicht bekannt gegeben worden. Die hier erforderliche Bekanntgabe in der Form der Zustellung, § 41 Abs. 5 VwVfG, § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG, ist nicht erfolgt. Das ergibt sich ohne weiteres aus der vorgelegten Bundesamtsakte. Es wird von der Beklagten, wie aus der Stellungnahme vom 11. Mai 2018 hervorgeht, auch nicht bestritten.
Auf den Inhalt des Schreibens des Gerichts vom 27. April 2018 wird Bezug genommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt eine Heilung der Nicht-Bekanntgabe auf der Grundlage von § 8 VwZG nicht in Betracht. Insoweit ist anerkannt, dass die Zustellung eines Verwaltungsaktes nicht dadurch mit heilender Wirkung erfolgen kann, dass dem Adressaten der Inhalt des versandten Bescheides im Rahmen der Akteneinsicht durch seinen Prozessbevollmächtigten bekannt geworden ist (vgl. z.B. VG Schwerin, B.v. 29.8.2014 – 3 B 621/14 As – juris Rn. 20 m.w.N. speziell zu einer der hier vorliegenden vergleichbaren Konstellation). Soweit hierzu z.T. auch anderes vertreten wird (z.B. VG Düsseldorf, B.v. 15.6.2014 – 14 L 958/14 – juris Rn. 24), ist darauf hinzuweisen, dass insoweit nach den zugrundeliegenden Rechtsgebieten zu differenzieren ist. Im Asylrecht kann die nicht erfolgte Bekanntgabe an den Adressaten jedenfalls hier wegen der speziellen asylgesetzlichen Regelungen nicht geheilt werden durch die Kenntnisnahme eines Bevollmächtigten im Wege der Akteneinsicht. Denn gerade für den hier unter Zugrundelegung der Bescheidsbegründung vorliegenden Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG schreibt § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG die höchstpersönliche Zustellung an den Ausländer vor; der Bescheid vom 9. August 2017 beruft sich auf Seite 3 dritter Absatz von oben ausdrücklich auch auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) AsylG als Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung. Darauf, ob das auch richtig ist, kommt es hier nicht an, weil sich das Bundesamt an der selbst gewählten Rechtsgrundlage festhalten lassen muss. Die nicht erfolgte Zustellung an den Kläger persönlich kann demzufolge nicht durch die Kenntniserlangung seiner Bevollmächtigten im Wege der Akteneinsicht geheilt werden.
Daher bleibt es bei dem Zustellungsfehler. Eine Zugangsvereitelung schließlich liegt nicht vor, die Klägerbevollmächtigte hat – vom Bundesamt unwidersprochen – nachvollziehbar dargetan, dass Zustellungen unter der Adresse, die im Bescheid vom 9. August 2017 genannt ist, sowohl vorher als auch nachher an den Kläger bzw. an seine unter derselben Adresse wohnende Mutter ohne weiteres erfolgreich waren.
3. Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass der Bescheid vom 9. August 2017 auch inhaltlich betrachtet rechtswidrig wäre. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – richtigerweise kommt nur diese Vorschrift vorliegend als taugliche Rechtsgrundlage in Betracht – liegen nicht vor. Grundvoraussetzung dafür wäre im vorliegenden Fall, dass der Vater des Antragstellers tatsächlich in Malta internationalen Schutz zuerkannt bekommen hat. Dieser Umstand wird jedoch in der Begründung des Bescheids vom 9. August 2017 nur behauptet, aber in keiner Weise nachgewiesen. Weder der Bescheid noch wenigstens die vorgelegte Bundesamtsakte enthalten auch nur den kleinsten Ansatz für einen Beleg dafür. Insbesondere findet sich nirgendwo eine Mitteilung der maltesischen Behörden, dass der Vater des Antragstellers dort internationalen Schutz bekommen hat. Auch sonst hat das Bundesamt nicht im Ansatz angeführt oder auch nur angedeutet, wie es darauf kommt, dass dem so wäre. Weder der Bescheid noch die ganze vorgelegte Behördenakte enthalten auch nur irgendeinen Beleg dafür. Die reine beleglose Behauptung „ins Blaue hinein“ genügt dagegen nicht.
4. Dass schließlich der streitgegenständliche Asylantrag unter der Prämisse des Bundesamts als unzulässiger Asylantrag i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gesetzeswidrig wie ein „sonstiger Fall“ i.S.v. § 38 Abs. 1 AsylG behandelt wurde, was gegen § 36 Abs. 1 AsylG verstößt (vgl. im Einzelnen VG München, B.v. 21.11.2017 – M 9 S 17.45552), ist für den Rechtsschutz des Klägers nicht relevant.
Der streitgegenständliche Bescheid wird nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufgehoben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).