Verwaltungsrecht

Rechtsweg – Zahlungsklage auf anteilige Abschreibungen an einer gemeindlichen Kläranlage

Aktenzeichen  4 C 20.571

Datum:
3.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16929
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 53 Abs. 1 Nr. 4
GVG § 17a Abs. 4 S. 3

 

Leitsatz

Die Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zur Auflösung eines positiven Kompetenzkonflikts zwischen zwei Gerichten setzt voraus, dass die dort anhängigen Verfahren denselben Streitgegenstand betreffen (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 53289).  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 K 18.1601 2020-02-21 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beklagte wendet sich gegen einen den Verwaltungsrechtsweg bejahenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg.
In dem beim Verwaltungsgericht anhängigen Ausgangsverfahren (W 2 K 18.1601 / neu: W 2 K 20.332) begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrags von 85.328,25 Euro für anteilige Abschreibungen an einer gemeindlichen Kläranlage im Kalenderjahr 2015. Gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten sind für die Kalenderjahre 2013 (W 2 K 18.1599) und 2014 (W 2 K 18.1600 / neu: W 2 K 20.331) beim Verwaltungsgericht anhängig; sie wurden von der Klägerin in einer einheitlichen Klage erhoben und vom Verwaltungsgericht nach Kalenderjahren aufgeteilt. Die Beklagte rügte in sämtlichen Verfahren die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs und beantragte, den Rechtsstreit an das Landgericht Bonn zu verweisen. Für das Kalenderjahr 2013 wurde die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs rechtskräftig bejaht (VG Würzburg, B.v. 7.6.2019 – W 2 K 18.1599 – juris; bestätigt durch BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 4 C 19.1345 – juris; vgl. auch den Beschluss über die Anhörungsrüge: BayVGH, B.v. 2.12.2019 – 4 C 19.2081 – juris).
Mit Beschluss vom 21. Februar 2020 erklärte das Verwaltungsgericht auch für das Kalenderjahr 2015 den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht für zulässig. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde, in der sie zuletzt beantragt,
den Rechtsstreit, soweit die Klage auf die Vereinbarung vom 11. Mai 1973 gestützt ist, an das Landgericht Bonn zu verweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. Februar 2020 ist nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 146 Abs. 1, § 147 VwGO zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Zur Begründung wird zunächst auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs betreffend das Kalenderjahr 2013 verwiesen, die für das Kalenderjahr 2015 entsprechend gelten. Ergänzend wird unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens Folgendes ausgeführt:
a) Der Senat ist nicht deswegen an einer Entscheidung über die Beschwerde gehindert, weil die Beklagte in dem beim Verwaltungsgericht Würzburg anhängigen Parallelverfahren W 2 K 18.1599 beim Bundesverwaltungsgericht die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Bonn gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO beantragt hat. Hierbei kann offenbleiben, ob diese Vorschrift, welche die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit regelt, analog auf rechtswegübergreifende Bestimmungen des zuständigen Gerichts anwendbar ist (vgl. dazu Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 53 Rn. 3 ff. m.w.N.). Jedenfalls sind die Voraussetzungen dieser Norm, die auf Feststellung des zuständigen Gerichts zielt, ersichtlich nicht erfüllt, so dass der Verwaltungsgerichtshof von seinem Aussetzungsermessen nach § 94 VwGO (vgl. Garloff in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2020, § 94 Rn. 6) keinen Gebrauch macht.
Die Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zur Auflösung eines positiven Kompetenzkonflikts zwischen zwei Gerichten setzt voraus, dass die dort anhängigen Verfahren denselben Streitgegenstand betreffen (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.2016 – 7 AV 1.16 – juris Rn. 3). Bereits hieran fehlt es. Die Beklagte beruft sich auf einen früheren Beschluss des OLG Bamberg (B.v. 28.7.2015 – 5 W 39/15), der einen auf § 812 BGB gestützten Erstattungsanspruch der hiesigen Beklagten für die Nutzung der gemeindlichen Kläranlage betraf und nur bezüglich des dortigen Streitgegenstands Bindungswirkung nach § 17a Abs. 1 GVG entfalten kann (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 VwGO/§ 17a GVG Rn. 21). Im nunmehrigen Verfahren geht es hingegen – mit umgekehrten Parteirollen und anderem Streitgegenstand – um eine von der Klägerin erhobene Zahlungsklage für anteilige Abschreibungen an ihrer Kläranlage. Der Umstand, dass in beiden Verfahren möglicherweise die rechtliche Qualifizierung der Vereinbarung vom 11. Mai 1973 als Vorfrage eine Rolle spielt bzw. gespielt hat, ist für die Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 4 VwGO weder maßgeblich noch ausreichend. Vielmehr ist die Frage des zulässigen Rechtswegs im Wege der Vorabentscheidung durch das Verwaltungsgericht zu klären, was im Verfahren W 2 K 18.1599 bereits rechtskräftig erfolgt ist.
b) Die Rechtswegfrage ist für die von der Klägerin erhobene Zahlungsklage einheitlich im Sinn einer Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu beurteilen. Die im Beschwerdeverfahren erstmals beantragte nur noch partielle Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Bonn, soweit sich die Klage nämlich auf die Vereinbarung vom 11. Mai 1973 stützt, kommt nicht in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob eine derartige Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz überhaupt möglich ist (vgl. dazu Happ in Eyermann, a.a.O., § 146 Rn. 25 m.w.N.). Denn anders als die Beklagte meint, stützt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch nicht auf eine alternative – sich in den zwei Gesichtspunkten gegenseitig ausschließende – Klagebegründung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von § 17 Abs. 2 GVG nicht erfasst wäre (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2018 – 10 B 25.17 – BVerwGE 161, 255 Ls. 2). Vielmehr führt die Klägerin als Rechtsgrundlage ihrer Zahlungsklage das „faktische Dauerschuldverhältnis“ an, mit dessen Vollzug die aus der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung vom 21./30. Mai 1970 bzw. vom 28. März/11. Mai 1973 folgenden Verpflichtungen von der Beklagten anerkannt worden seien. Aus dem von der Beklagten ins Feld geführten klägerischen Schriftsatz vom 14. November 2019 betreffend die Ergänzungsvereinbarung von 1973 ergibt sich schon deshalb keine andere Würdigung des Sachvortrags der Klägerin, weil sich diese weiterhin auch auf Bestimmungen der Grundvereinbarung von 1970 beruft. Insoweit stellen die Grundvereinbarung von 1970, die Ergänzungsvereinbarung von 1973 und das darauf basierende faktische Dauerschuldverhältnis nach dem Vorbringen der Klägerin ein einheitliches Rechtsverhältnis dar, aus dem sie ihr Zahlungsbegehren herleitet. Auf die Frage, ob der Zahlungsanspruch in der Sache an der fehlenden Einhaltung des Schriftformerfordernisses nach Art. 57 BayVwVfG scheitert, kommt es bei der Beurteilung der Rechtswegfrage nicht an (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 4 C 19.1345 – juris Rn. 7 m.w.N.).
c) Für den Zahlungsanspruch der Klägerin ist, wie bezüglich des Abschreibungsjahres 2013 bereits rechtskräftig entschieden, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 4 C 19.1345 – juris Rn. 6 f.). Die seinerzeit zwischen der Gemeinde R. und der Bundesrepublik in Gestalt der Bundesstraßenverwaltung getroffenen Vereinbarungen zielten auf die Begründung eines Rechtsverhältnisses auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (BayVGH, B.v. 5.5.2014 – 4 C 14.449 – juris Rn. 12 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass sich an dieser Zuordnung in der Folgezeit etwas geändert haben könnte, sind weder von der Beklagten substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich. Ein etwaiger Wille der Klägerin, in einer privatrechtlichen Handlungsform zu agieren, ist zu keinem Zeitpunkt nach außen sichtbar geworden. Wie sich schon aus der Bezeichnung „Ergänzungsvereinbarung“ ergibt, sollte die im Jahr 1973 getroffene Regelung die Grundvereinbarung von 1970 nicht ablösen, sondern lediglich ergänzen. Auch wenn man in der 1973 vereinbarten Regelung, wie die Beklagte meint, eine Ersetzung des § 5 Abs. 2 der Vereinbarung von 1970 sieht, ändert dies an der öffentlich-rechtlichen Qualifikation des gesamten Rechtsverhältnisses nichts, sondern spricht gerade für die identische Rechtsnatur der beiden aufeinander bezogenen Vereinbarungen. Soweit sich die Beklagte nunmehr auf eine ihr von der Klägerin im Jahr 2006 angetragene neue Vereinbarung mit einer zivilrechtlichen Gerichtsstandsklausel beruft, führt dies schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung, weil diese Vereinbarung nicht zum Abschluss gelangt ist. Da somit nichts gegen die tatsächliche Vermutung spricht, dass sich ein Träger öffentlicher Verwaltung in seinem Aufgabenbereich der für das Verwaltungshandeln besonders zugeschnittenen öffentlichen Rechtsformen bedient (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 4 C 19.1345 – juris Rn. 6), besteht unter Sachaufklärungsgesichtspunkten für die von der Beklagten erbetene Beiziehung der Verwaltungsvorgänge seit 1970, die lediglich die interne Behördenpraxis dokumentieren, keine Veranlassung.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es im Hinblick auf den in Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zu § 3 GKG genannten Festbetrag nicht. Der Gegenstandswert wird nach § 33 Abs. 1 RVG nur auf Antrag festgesetzt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen