Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreibens

Aktenzeichen  M 21 S 17.33999

Datum:
20.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10 Abs. 2, § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 75 Abs. 1

 

Leitsatz

§ 33 Abs. 4 AsylG lässt eine anderweitige Zustellung, auf Grund derer sich der Asylsuchende die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, nicht zu. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist ausweislich seines Reisepasses malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 21. Juli 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. August 2013 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
In der dem Antragsteller nur in deutscher Sprache erteilten Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise wurde auf Folgendes hingewiesen:
„Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen… Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Sie werden darauf hingewiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher Ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben …“
Der Belehrung war ein Gesetzesauszug aus dem Asylgesetz in deutscher Sprache beigefügt, u.a. ein Auszug aus §§ 10, 25 und 36 AsylVfG.
In einem später dem Antragsteller übergebenen Hinweisblatt mit der Aufschrift „Wichtige Hinweise für Asylbewerber“, das dem Antragsteller auch in französischer Sprache ausgehändigt worden ist, heißt es,
„…Schließlich erhalten Sie noch einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Dieser Termin ist äußerst wichtig für Ihr Asylverfahren! Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen. Verhinderungen (Reise- und Verhandlungsunfähigkeit) müssen Sie dem Bundesamt unverzüglich durch Vorlage eines ärztlichen Attests nachweisen, sonst erhalten Sie keinen weiteren Termin für eine Anhörung!…“
Bereits am 2. Januar 2013 hatte sich die Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen beim Bundesamt bestellt und darum gebeten, Ladungen und Zustellungen nur über sie zu tätigen.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 19. September 2016 wurde der Antragsteller über seine Bevollmächtigte zu einer Anhörung am 4. Oktober 2016 geladen.
Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt enthielt folgenden Hinweis, wiederum nur in deutscher Sprache:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Ihre Mandantschaft zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn sie unverzüglich nachweist, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Ihre Mandantschaft unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet ist, muss sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Wenn dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
Nachdem der Antragsteller zu dem Termin nicht erschienen war, wurde mit Schreiben des Bundesamtes vom 17. November 2016, wiederum über die Bevollmächtigte des Antragstellers, zu einem weiteren Termin zur Anhörung am 5. Dezember 2016 geladen. Die Ladung enthielt dieselben Hinweise, die bereits in der ersten Ladung enthalten waren.
Nachdem der Antragsteller wiederum nicht erschienen war, stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 23. Februar 2017, unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Mali an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die Vermutungsregel in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ausgeführt, der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung erschienen.
Die Antragsteller hat gegen den Bescheid am 1. März 2017 durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben (M 21 K 17.33997), mit der er, den Bescheid vom 23. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass der Antragsteller asylberechtigt ist, die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus sowie Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei ihm vorliegen.
Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine angekündigte Begründung erfolgte weder hinsichtlich der Klage noch hinsichtlich des Eilverfahrens.
Das Bundesamt legte die Akten mit Schreiben vom 20. Juni 2017, ohne sich weiter zum Verfahren zu äußern. Auch einen Antrag stellte das Bundesamt nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klageverfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der im Rahmen der gebotenen und möglichen Auslegung auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) und begründet.
Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die Bevollmächtigte des Antragstellers die Ladungen erhalten und es verabsäumt hat, diese an den Antragsteller weiterzuleiten oder ob die Ladungen bereits bei der Bevollmächtigten niemals eingegangen sind.
Denn jedenfalls ist der Antragsteller nicht ausreichend auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen hingewiesen worden.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er freilich den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich.
Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu.
Diesen Anforderungen genügt der allgemeine (und im Hinblick auf das Schriftformerfordernis von Entschuldigungsgründen auch unzutreffende) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise nicht, zumal dieser Hinweis dem Antragsteller nur in deutscher Sprache übergeben worden ist.
Der spätere Hinweis über die Wichtigkeit des persönlichen Erscheinens beim Anhörungstermin wurde dem Antragsteller zwar auch in französischer Sprache und gegen Empfangsbekenntnis überreicht, allerdings ist dort kein Hinweis auf die Folgen des Nichterscheinens enthalten.
Die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung ist schließlich ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt und dem Antragsteller im Übrigen nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Die Zustellungsfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung erforderliche tatsächlich erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Antragstellers über die Belehrung nicht.
Nachdem sich die angefochtene Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung der Klage ohne weitere Prüfung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen