Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Einstellung eines Asylverfahrens wegen Nichterscheinens nach fehlerhafter Ladung

Aktenzeichen  M 21 K 16.35587

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 15, § 25, § 33
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. I. Der Bescheid vom 29. November 2016 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. II. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte
3. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tenor

I. Der Bescheid vom 29. November 2016 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Kläger, nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am 20. Juni 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Juni 2016 einen Asylantrag.
Mit Ladungsschreiben vom 5. Oktober 2016 wurde der Kläger zur Anhörung vor dem Bundesamt am 13. Oktober 2016 geladen (ohne Zustellungsnachweis). Nachdem der Kläger zu dem Termin am 13. Oktober 2016 nicht erschienen war, wurde mit Vermerk vom 14. Oktober 2016 eine Anschriftenermittlung und eine Neuladung zur Anhörung über die aktuelle Anschrift per PZU mit 14 Tagen Vorlauf verfügt. Tatsächlich erging dann unter dem 26. Oktober 2016 ein Ladungsschreiben zur Anhörung am 13. Oktober 2016 (zugestellt am 7. November 2016 mittels Postzu-stellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung – Übergabe an einen ständigen er-wachsenen Mitbewohner).
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2016 (ohne Zustellungsnachweis) stellte das Bun-desamt unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenom-men gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung am 13. November 2016 erschienen.
Mit der am 16. Dezember 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und beantragt,
den Bescheid vom 8. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Zugleich wurde beantragt, hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe den Termin zur Anhörung nicht wahrnehmen können, da ihm die Ladung für den Termin am 13. Oktober 2016 erst mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 bekanntgegeben worden sei.
Die Beklagte stellte keinen Antrag.
Das Bundesamt legte die Akten (elektronische Akte) mit Schreiben vom 21. Dezem-ber 2016 und 16. Januar 2017 vor.
Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 20. Februar 2017 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Auf die unter dem 14. März 2017 erfolgte Anhörung zum Erlass eines Gerichtsbescheids reagierten die Beteiligten nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Eilverfahren sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Beides ist hier der Fall.
Soweit die Klage über die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinausgeht und auf eine Verpflichtung des Bundesamtes zu einer Sachentscheidung gerichtet ist, ist sie unzulässig. Macht das Bundesamt von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (vgl. zu § 33 AsylVfG BVerwG, U.v. 5.9. 2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 12 ff.).
Die im Übrigen zulässige Klage (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) ist begründet. Die Einstellung des Verfah-rens durch das Bundesamt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rech-ten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG n.F. wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist.
Vorliegend fehlt es bereits an einer Aufforderung zur Anhörung, der der Kläger nicht nachgekommen ist. Hinsichtlich des Ladungsscheibens vom 5. Oktober 2016 fehlt es an einem Zustellungsnachweis. Das am 7. November 2016 zugestellte Ladungsschreiben vom 26. Oktober 2016 zu einer Anhörung in der Vergangenheit am 13. Oktober 2016 stellt offensichtlich keine Aufforderung i.S.v. § 33 AsylG dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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