Aktenzeichen M 16 S 16.34334
Leitsatz
Erscheint ein Asylbewerber, der nicht verpflichtet ist, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, nicht zur Anhörung beim Bundesamt, so ist eine Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG rechtswidrig, wenn dem Asylbewerber zuvor nicht die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gem. § 25 Abs. 5 S. 2 AsylG gegeben wurde (vgl. VG Wiesbaden BeckRS 2015, 42669). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. November 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtschutz in Bezug auf einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem ihr Asylverfahren eingestellt wurde.
Die Antragstellerin ist ukrainische Staatsangehöriger. Sie reiste nach eigenen Angaben erstmals am 26. April 2015 in das Bundesgebiet ein. Am 26. Mai 2015 stellte sie bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 2. November 2016, als Einschreiben am 4. November 2016 zur Post gegeben, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt sei (Nr. 1 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 2 des Bescheids). Die Antragstellerin wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragstellerin und ihrem Bevollmächtigten sei der 15. Juni 2016 als Termin zur persönlichen Anhörung mitgeteilt worden. Sie sei jedoch ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Erscheine eine Antragstellerin ohne genügende Entschuldigung nicht zur Anhörung, werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG vermutet, dass sie das Verfahren nicht betreibe. Von einer gesonderten Aufforderung zur Stellungnahme zu eventuellen schutzwürdigen Belangen, die bei der Entscheidung zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots berücksichtigt werden könnten, sei gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG abgesehen worden. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da die Antragstellerin das Verfahren nicht betreibe. Daher sei festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei (§ 32 AsylG). Die Antragstellerin sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde vermutet, dass sie das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. AsylG nicht betreibe. Ein Nachweis, dass das oben genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen gewesen sei, auf die die Antragstellerin keinen Einfluss gehabt hätte, sei bis zur Entscheidung nicht eingereicht worden. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG seien weder vorgetragen worden noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor. Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin über ihre Bevollmächtigten am 14. November 2016 Klage mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben. Zudem beantragte sie am 18. November 2016,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Bevollmächtigten für die Antragstellerin eine Aufforderung zur Anhörung nicht erhalten hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.34189 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. November 2016 (M 16 K 16.34189), ist begründet.
Der Antrag ist insbesondere statthaft. Der Klage kommt gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, weil das Bundesamt das Asylverfahren der Antragstellerin gestützt auf § 32 und § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG eingestellt hat. Eine Frist für die Stellung des diesbezüglichen Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sieht das Asylgesetz nicht vor.
Der Antrag erweist sich auch als begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 2. November 2016, mit dem der Asylantrag der Antragstellerin als zurückgenommen behandelt und deren Asylverfahren eingestellt wurde. Damit überwiegt das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von den Wirkungen des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheids verschont zu bleiben, das entgegenstehende öffentliche Interesse. Bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht vieles dafür, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und deshalb im Klageverfahren keinen Bestand haben wird.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer bzw. die Ausländerin einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist.
Vorliegend fehlt es jedoch bereits an einer Betreibensaufforderung durch das Bundesamt bzw. der Einräumung einer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG. Da die Antragstellerin nicht (mehr) verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ist diese Regelung in ihrem Fall anwendbar.
Folgt der Ausländer ohne genügende Entschuldigung einer Ladung des Bundesamts zur Anhörung nicht, so ist ihm Gelegenheit zu geben, schriftlich innerhalb eines Monats Stellung zu nehmen (§ 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Äußert sich der Ausländer in dieser Frist nicht, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage, wobei auch die Nichtmitwirkung des Ausländers zu würdigen ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AsylG). Aus den Regelungen in § 25 Abs. 5 AsylG ergibt sich damit der gesetzliche Grundsatz, dass das Bundesamt auch bei Nichterscheinen des Ausländers zur Anhörung eine Sachentscheidung zu treffen hat. Demgegenüber lässt sich aus § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylG, wonach § 33 AsylG unberührt bleibt, kein Wahlrecht des Bundesamts zwischen Sachentscheidung und Betreibensaufforderung herleiten. Unter Berücksichtigung der Systematik des § 25 Abs. 5 AsylG kann dem Hinweis auf § 33 AsylG nur die Bedeutung zukommen, dass das Bundesamt bei Nichterscheinen des Ausländers zur Anhörung nach § 33 AsylG vorgehen kann, wenn zusätzliche Umstände Anlass geben, am Fortbestehen des Bescheidungs- oder Rechtsschutzinteresses zu zweifeln (vgl. VG Braunschweig, B.v. 21.1.2016 – 6 B 647/15 – juris Rn. 7 f.).
Im Fall der Antragstellerin hätte dieser – unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Fernbleiben der Anhörung ohne genügende Entschuldigung vorlag – jedenfalls zwingend zunächst Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben werden müssen (vgl. § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG), was hier unterblieben ist (vgl. auch VG Wiesbaden, B.v. 9.1.2015 – 1 L 1513/14.WI.A – juris Rn. 24).
Demzufolge hätte bereits deshalb das Asylverfahren nicht eingestellt, die in § 32 AsylG vorgesehene Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht getroffen und eine Abschiebungsandrohung gem. § 34 Abs. 1 AsylG ebenso wenig wie eine Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 AufenthG erlassen werden dürfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).