Aktenzeichen 11 ZB 17.1920
StVZO § 35h Abs. 3, § 53a Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3
Leitsatz
1 Das Verwaltungsgericht prüft bei einer Vorladung zum Verkehrsunterricht nach § 114 S. 1 VwGO, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Hierbei müssen Bildungsstand und die Fahrpraxis des Betroffenen ebenso wenig in die Ermessensentscheidung einbezogen werden wie seine Empfindung, es handele sich um eine “Strafe”. Vielmehr ist von einem nicht schwerwiegenden Eingriff auszugehen, unabhängig davon, wie der Betroffene dies empfindet. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 23 K 16.948 2017-06-27 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 2.500,-Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Jahr 1971 geborene Kläger wendet sich gegen eine Vorladung zum Verkehrsunterricht.
Am 3. August 2015 stellte die Polizei bei einer Verkehrskontrolle fest, dass der Kläger in seinem Fahrzeug weder ein Warndreieck, einen Verbandskasten noch eine Warnweste mitführte. Er habe angegeben, diese Gegenstände würden nicht in sein Fahrzeug hineinpassen, da es sich um einen Porsche Oldtimer handele. Er habe sich gleichgültig gezeigt und es sei der Eindruck entstanden, er führe die Gegenstände bewusst nicht mit und werde sie auch in Zukunft nicht regelmäßig mitführen. Er habe ausgeführt, dass er zum Vorzeigen der mitgeführten Sachen schon ein Fahrzeug finden werde, in dem diese Sachen vorhanden seien. Die Polizei erteilte ihm eine Verwarnung mit Verwarnungsgeld und schlug eine Vorladung zum Verkehrsunterricht vor.
Das Landratsamt Altötting (im Folgenden: Landratsamt) lud den Kläger nach Anhörung mit Bescheid vom 25. Januar 2016 zum Verkehrsunterricht vor. Die Unbelehrbarkeit des Klägers rechtfertige die Anordnung. Der Kläger kenne zwar die Verkehrsvorschriften, es liege jedoch ein Erziehungsbedürfnis vor, da er deren Bedeutung verkenne oder aus charakterlichen Gründen nicht seinen Kenntnissen entsprechend handeln könne. Die Umstände des Verstoßes ließen den Schluss zu, dass er von seiner grundsätzlichen Einstellung her nicht ausreichend bereit sei, die im Interesse der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs notwendigen Regeln zu beachten.
Die gegen den Bescheid vom 25. Januar 2016 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München abgewiesen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Vorladung zum Verkehrsunterricht seien erfüllt, da der Kläger unstreitig ohne Verbandskasten, Warndreieck und Warnweste mit seinem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe. Das Landratsamt habe auch sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Es habe den Bescheid auf das beim Kläger gegebene Erziehungsbedürfnis gestützt. Die Vorladung sei auch nicht unverhältnismäßig, obgleich es sich nicht um Verstöße von besonderem Gewicht handele. Lägen konkrete Umstände zugrunde, die ein fehlendes Verantwortungsbewusstsein des Betreffenden zeigten, so rechtfertigten selbst weniger gewichtige Verkehrsverstöße zur Hebung der Verkehrsdisziplin eine Ladung zum Verkehrsunterricht.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Der Kläger macht geltend, das Landratsamt habe das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Es gehe in dem Bescheid lediglich um den strafenden Charakter der Vorladung und die Beschränkung seiner Freiheit, denn aufgrund seines Bildungsstands, seiner Erfahrung und Fahrpraxis kenne er die Verkehrsvorschriften genau. Es seien keinerlei Erwägungen zu seinem Bildungsstand in das Ermessen eingestellt worden. Die Verstöße seien auch nur mit minimalen Beträgen geahndet worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungs-verfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO) nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr erweist sich der streitgegenständliche Bescheid auch unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens als ermessensgerecht.
Nach § 48 der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (StVO, BGBl I S. 367), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. September 2017 (BGBl I S. 3532), ist derjenige, der Verkehrsvorschriften nicht beachtet, auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehr-Ordnung (VwV-StVO) vom 22. Oktober 1998 (BAnz Nr. 246b, ber. 1999 S. 947), zuletzt geändert am 22. Mai 2017 (BAnz AT 29.5.2017 B8), ist Zweck der Vorschrift des § 48 StVO, die Sicherheit und Ordnung auf den Straßen durch Belehrung solcher, die im Verkehr Fehler begangen haben, zu heben. Eine Vorladung ist danach nur dann sinnvoll und überhaupt zulässig, wenn anzunehmen ist, dass der Betroffene aus diesem Grund einer Belehrung bedarf. Das trifft in der Regel nicht bloß bei Personen zu, welche die Verkehrsvorschriften nicht oder nur unzureichend kennen oder beherrschen, sondern auch bei solchen, welche die Bedeutung und Tragweite der Vorschrift nicht erfasst haben. Es kann auch schon eine einmalige Verfehlung Anlass zu einer Vorladung sein, wenn der bei dem Verstoß Betroffene sich trotz Belehrung uneinsichtig gezeigt hat.
Das Verwaltungsgericht prüft bei einer Vorladung zum Verkehrsunterricht nach § 114 Satz 1 VwGO, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht dabei Ermessensfehler in dem Bescheid vom 25. Januar 2016 verneint.
Soweit der Kläger geltend macht, die Vorladung habe lediglich strafenden Charakter und solle ihn in seiner Freiheit beschränken, kann dies seinem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Grundlage der Vorladung ist das beim Kläger bestehende Erziehungsbedürfnis, da er von seiner grundsätzlichen Einstellung her nicht ausreichend bereit erscheint, die im Interesse der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs notwendigen Regeln zu beachten. Damit hat sich der Beklagte in dem Bescheid hinreichend auseinandergesetzt. Dass der Kläger die Vorladung offensichtlich als Strafe und Freiheitsbeschränkung empfindet, ändert nichts daran, dass sie nicht als solche gedacht ist, sondern dazu dienen soll, ihn zur Einhaltung der ihm zwar wohl geläufigen, aber von ihm bewusst missachteten Verkehrsvorschriften anzuhalten.
Der Beklagte hat auch erkannt, dass es sich nicht um einen besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß gehandelt hat und dies in die Ermessenentscheidung eingestellt. Es ist dabei nicht zu beanstanden, dass er angesichts der Umstände des Einzelfalls angenommen hat, dass trotz des geringen Verwarnungsgelds eine Vorladung zum Verkehrsunterricht zulässig und sinnvoll ist, da der Kläger sich bei der Polizei als unbelehrbar erwiesen hat.
Der Bildungsstand und die Fahrpraxis des Betroffenen sind keine Umstände, die von der Behörde ermittelt und in die Ermessensausübung eingestellt werden müssten. Bei der Vorladung zum Verkehrsunterricht kommt es darauf an, ob der Betreffende die Verkehrsvorschriften und deren Bedeutung für die Sicherheit des Straßenverkehrs kennt und bereit ist, den Vorschriften Folge zu leisten. Daran fehlt es beim Kläger, denn er hat in Kenntnis der Vorschriften und damit bewusst die erforderlichen Gegenstände nicht mitgeführt. Als Erklärung für diesen Verstoß hat er zum Ausdruck gebracht, er halte die Einhaltung der Vorschriften nicht für besonders wichtig, da in seinem Fahrzeug zu wenig Platz für das Mitführen dieser Gegenstände sei und werde sie aus einem anderen Fahrzeug entnehmen und vorzeigen. Dies offenbart ein Fehlverständnis von den grundsätzlich bekannten Vorschriften, denn dem Kläger ist offensichtlich nicht hinreichend bewusst, dass für ihn keine Ausnahme hinsichtlich des Mitführens dieser Gegenstände besteht, selbst wenn in seinem Fahrzeug tatsächlich nur wenig Platz dafür vorhanden sein sollte. Eine Ausnahme nach § 70 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) von den nicht beachteten Vorschriften (§§ 35h Abs. 3, 53a Abs. 2 Nr. 1 und 3 StVZO) ist dem Kläger nicht gewährt worden. Bei dem Kläger fehlt es daher, unabhängig von seinem Bildungsstand, an ausreichendem Verantwortungsbewusstsein, die ihm bekannten Verkehrsvorschriften auch einzuhalten.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu muss dargelegt und begründet werden, worin solche besonderen Schwierigkeiten bestehen (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 53). Die Antragsbegründung zeigt aber weder ungeklärte Rechtsfragen noch sonstige, über das gewöhnliche Maß hinausgehende rechtliche Schwierigkeiten auf.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der Kläger erfüllt schon nicht die Darlegungsanforderungen des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO, weil er keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage formuliert (vgl. zu diesem Erfordernis Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72). Bei der Frage, ob das Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt worden ist, handelt es sich regelmäßig um eine Frage des Einzelfalls, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
4. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.12 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anhang zu § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).