Verwaltungsrecht

Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit wegen strafgerichtlicher Verurteilung

Aktenzeichen  M 7 S 17.4507

Datum:
5.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7801
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 45 Abs. 2 S. 1, Abs. 5, § 46 Abs. 2 S. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3
StGB § 266a

 

Leitsatz

1 Für die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit wegen strafgerichtlicher Verurteilung (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG) ist die Vorsatzart, die der Verurteilung zugrunde lag, unerheblich. Zur Berechnung der Fünf-Jahres-Frist kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung und nicht auf den der Tatbegehung an (ebenso BayVGH BeckRS 2017, 116472). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit wegen strafgerichtlicher Verurteilung wird nicht dadurch entkräftet, dass es der abgeurteilten Tat (etwa § 266a StGB) an einem waffenrechtlichen Bezug fehlt. Die Begehung vorsätzlicher Straftaten ist vielmehr grundsätzlich ein gewichtiges Indiz dafür, dass es dem Waffenbesitzer auch an der erforderlichen Fähigkeit oder Bereitschaft fehlt, mit Waffen gewissenhaft umzugehen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei der Prüfung, ob die Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit wegen strafgerichtlicher Verurteilung entkräftet werden kann, sind nur tatbezogene Umstände zu berücksichtigen, die die abgeurteilten Verfehlungen ausnahmsweise in einem derart milden Licht erscheinen lassen könnten, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers im Regelfall begründeten Zweifel an der Zuverlässigkeit im konkreten Fall nicht gerechtfertigt sind. Dabei sind die Schwere der konkreten Verfehlung zu würdigen sowie die Persönlichkeit des Betroffenen (BayVGH BeckRS 2009, 43280). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren Az. M 7 K 17.4506 wird bezüglich der Nr. 2 des Bescheids vom 22. August 2017 wiederhergestellt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller % und der Antragsgegner Vi
III. Der Streitwert wird auf 9.875 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf von auf ihn ausgestellten Waffenbesitzkarten und die Einziehung seines Jagdscheins.
Der Antragsteller ist Inhaber zweier Waffenbesitzkarten (Nr. … vom …1997 und Nr. … vom …2010), in die neun Lang- und eine Kurzwaffe eingetragen sind. Zudem ist auf ihn ein Jagdschein (Nr. … vom …2016) ausgestellt.
Mit seit 26. Juli 2016 rechtskräftigem Urteil vom … Juli 2016 (Az. …) verurteilte das Amtsgericht … den Antragsteller wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 82 Fällen gemäß §§ 266a Abs. 1 und 2, 52, 53, 56 Abs. 1 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Laut Urteilsbegründung wiesen der Antragsteller und sein mitangeklagter Vater im Rahmen der von ihnen geführten Gewerbebetriebe im Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 31. Dezember 2012 in 82 Einzelfällen Teile von Lohnzahlungen fälschlicherweise als steuer- und sozialversicherungsfreie Lohnzuschläge aus, um so die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 52.007,59 Euro zu vermeiden. Zur Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht zugunsten des Antragstellers sein Geständnis und dass er strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist. Zu Lasten des Antragstellers wurden die langen Tatzeiträume und die in den Einzelfällen nicht unerheblichen Schäden gewertet.
Anlässlich einer vom Antragsteller am … Januar 2017 beantragten Eintragung einer weiteren Waffe in seine Waffenbesitzkarten erlangte das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) Kenntnis von der Verurteilung des Antragstellers und hörte ihn dazu mit Schreiben vom 3. April 2017 an. Dem Antragsteller wurde eröffnet, dass man aufgrund des Strafurteils beabsichtige, ihm seine waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse zu entziehen.
Mit Schriftsatz vom … Mai 2017 äußerte sich dazu der bereits im Verwaltungsverfahren bestellte Bevollmächtigte des Antragstellers. Eine Entziehung der waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse sei nicht gerechtfertigt, da § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a Waffengesetz – WaffG – eine bloße Regelvermutung sei, die widerlegt werden könne. Die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers sei mehr oder weniger ein strafrechtlicher Vergleich, den der Antragsteller akzeptiert habe, um das jahrelange Strafverfahren beenden zu können. Die ohnehin nur auf bedingtem Vorsatz basierende Verurteilung habe nichts mit dem Besitz oder dem Führen von Schusswaffen zu tun; der zugrundeliegende Sachverhalt liege mehr als sechs Jahre zurück. Das Jagdrecht bleibe im Rahmen der Regelvermutungen ohnehin hinter dem Waffenrecht zurück.
Am 7. Juni 2017 teilte das Landratsamt dem Bevollmächtigen des Antragstellers mit, dass es keine Anhaltspunkte für ein Abweichen von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG erkennen könne.
Mit Bescheid vom 22. August 2017 widerrief der Antragsgegner die Waffenbesitzkarten des Antragstellers (Nr. 1 des Bescheids) und forderte diesen auf, seine Waffen sowie zugehörige Munition innerhalb eines Monats nach Vollziehbarkeit (Zustellung) des Bescheids einem Berechtigten zu überlassen beziehungsweise zu verkaufen oder unbrauchbar machen zu lassen, und dies dem Landratsamt innerhalb von zwei Wochen nach Vornahme schriftlich nachzuweisen (Nr. 2). Am Ende der Anordnung von Nr. 2 heißt es „Hinweis: Der Bescheid ist ab der Zustellung vollziehbar“. Die Sicherstellung von Waffen und Munition wurde angekündigt, sofern der Nr. 2 des Bescheids nicht fristgerecht nachgekommen wird (Nr. 3). Der Jagdschein des Antragstellers wurde für ungültig erklärt und eingezogen. Der Antragsteller wurde weiter verpflichtet, den Jagdschein binnen vier Wochen nach Bescheidsvollziehbarkeit zur Vernichtung vorzulegen (jeweils Nr. 4). Die Anordnung unter Nr. 4 des Bescheids wurde für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 5). Für den Fall, dass der Antragsteller die Anordnung in Nr. 4 des Bescheids nicht fristgerecht erfüllt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht (Nr. 6). Es wurden Gebühren in Höhe von insgesamt 150 Euro gegenüber dem Antragsteller festgesetzt (Nr. 7).
Den Widerruf der Waffenbesitzkarten und die Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins begründete das Landratsamt mit § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a WaffG sowie §§ 18 Satz 1, 17 Abs. 1 Bundesjagdgesetz – BJagdG. Aus der Verurteilung des Antragstellers, der auch ein vorsätzliches Handeln zugrunde liege, ergebe sich seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit. Ein Abweichen von der Regelvermutung sei nicht angebracht. Dass die Tat mehr als fünf Jahre zurückliege rechtfertige ebenso wenig eine Ausnahme wie eine lange Verfahrensdauer, zumal § 5 Abs. 2 WaffG ausdrücklich auf die Rechtskraft des Urteils abstelle. Die Anordnung in Nr. 2 des Bescheids beruhe auf § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG, die Nr. 3 auf § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG. Der angeordnete Sofortvollzug der Nr. 4 rechtfertige sich angesichts des öffentlichen Interesses, die infolge eines gültigen Jagdscheins bestehende Gefahr des missbräuchlichen Erwerbs von Waffen und Munition zu vermeiden. Daher sei zur Durchsetzung auch die Androhung eines Zwangsgeldes gemäß Art. 29 ff. Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – notwendig gewesen. Die erhobenen Gebühren ergäben sich aus den einschlägigen Kostenvorschriften. Im Einzelnen bzw. ergänzend wird insoweit auf die Begründung des Bescheids vom 22. August 2017 verwiesen.
Mit Schriftsatz vom … September 2017 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage (Az. M 7 K 17.4506) gegen den Bescheid vom 22. August 2017 und beantragte außerdem,
die aufschiebende Wirkung der o.g. Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung vertiefte er seine bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragene Argumentation. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG greife für den Antragsteller nicht, was sich bereits aus dem Urteil des Amtsgerichts … selbst ergebe. Der Antragsteller habe das gesamte Lohnbuchhaltungssystem inklusive Abrechnungspraxis letztendlich unverändert so übernommen, wie es sein Vater und nach dessen Unternehmensinsolvenz der Insolvenzverwalter betrieben habe. Zudem habe es eine Lohnbuchhalterin gegeben, weshalb der Antragsteller mit der Bezahlung von Arbeitnehmern und der Abführung von Sozialbeiträgen nicht befasst gewesen sei. Der Vater des Antragstellers sei der sog. faktische Geschäftsführer gewesen, der hinter allen vom Antragsteller betriebenen Unternehmen gestanden sei. Kriminelle Energie sei beim Antragsteller daher nicht vorhanden gewesen. Weiter müsse berücksichtigt werden, dass die abgeurteilten Straftaten in den Jahren 2011 und 2012 verwirkt worden seien und der Antragsteller bereits seit 1998 einen Jagdschein innehabe. In dieser Zeit sei es nie zu Beanstandungen gekommen. Da der Antragsteller mit drei weiteren Personen bis 2029 verbindlich eine eigene Jagd gepachtet habe, sei er bei einer sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 22. August 2017 irreversibel geschädigt. Das Landratsamt habe diese Tatsachen nicht umfassend gewürdigt, so dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliege.
Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 beantragte der Antragsgegner sinngemäß, den Antrag abzulehnen, und verteidigte seinen Bescheid. Die abgeurteilten Taten seien vorsätzlich begangen worden; ein Abweichen von der Regelvermutung wegen der Art des Vergehens oder der angeblichen Ahnungslosigkeit des Antragstellers über die Vorgänge in seiner Firma sei nicht angemessen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren, im Verfahren M 7 K 17.4506 sowie die vorgelegte Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt überwiegend ohne Erfolg, weil er teilweise schon unzulässig und nur begründet ist, soweit er sich gegen Nr. 2 des Bescheids vom 22. August 2017 richtet, Im Übrigen ist er unbegründet.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er sich gegen die Nr. 3 des Bescheids vom 22. August 2017 richtet.
Die Nr. 3 des Bescheids ist im Umkehrschluss zu § 46 Abs. 4 Satz 3 WaffG weder gesetzlich sofort vollziehbar, noch hat das Landratsamt eine sofortige Vollziehbarkeit angeordnet (vgl. dazu auch Sächs OVG, B.v. 15.8.2017 – 3 B 157/17 – juris Rn. 6f.). Daher ist der Antrag insoweit unstatthaft gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
2. Der Antrag ist, soweit er sich gegen Nr. 2 des Bescheids vom 22. August 2017 richtet, begründet, und im Übrigen unbegründet.
2.1 Der Antrag ist nach §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO i.V.m. dem Rechtsgedanken der §§ 133, 157 BGB sachdienlich dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren M 7 K 17.4506 bezüglich der Nrn. 1, 6 und 7 des Bescheids vom 22. August 2017 angeordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 5 WaffG und i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO) und bezüglich der Nrn. 2 und 4 wiederhergestellt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 3 VwGO, s.u.) werden soll.
2.2 Der so zu verstehende Antrag ist bezüglich der Nr. 2 des Bescheids vom 22. August 2017 begründet. Entgegen der Ansicht der Landratsamts ist die Verpflichtung zur Unbrauchbarmachung oder Überlassung an einen berechtigten Dritten (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar, da § 45 Abs. 5 WaffG ausweislich seines eindeutigen Wortlauts nur auf „Maßnahmen nach Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1“, also Rücknahme oder Widerruf selbst, nicht aber auf weitere Maßnahmen nach § 46 WaffG Bezug nimmt. Ebenso wenig greift § 46 Abs. 4 Satz 3 WaffG (s.o.). Eine sofortige Vollziehbarkeit von Nr. 2 kann sich folglich allenfalls aus einer behördlichen Anordnung ergeben. Der vom Landratsamt insoweit formulierte „Hinweis“ ist aus einem objektiven Empfängerhorizont daher so zu verstehen beziehungsweise auszulegen (Rechtsgedanke der §§ 133, 157 BGB), dass eine sofortige Vollziehbarkeit bezweckt und damit angeordnet wurde. Für eine solche Anordnung fehlt dann aber die nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zwingend erforderliche Begründung, zumal kein Fall nach § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorliegt. Das Gericht folgt insoweit der Ansicht, dass bei einem Verstoß gegen § 80 Abs. 3 VwGO nicht bloß der angeordnete Sofortvollzug aufzuheben, sondern die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen ist (vgl. zu diesem letztendlich weitgehend dogmatischen Streit Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 58 m.w.N.).
2.3 Im Übrigen, sprich soweit er sich gegen die Nrn. 1, 4, 6 und 7 des Bescheids vom 22. August 2017 richtet, ist der Antrag unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem kraft Gesetzes bestehenden beziehungsweise von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache als wesentliches, wenn auch nicht alleiniges Indiz für die vorzunehmende Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer (dann reinen) Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt die summarische Prüfung, dass der Bescheid vom 22. August 2017 in seinen Nrn. 1, 4, 6 und 7 rechtmäßig ist und die Rechte des Antragstellers nicht verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Hauptsacheklage ist daher voraussichtlich erfolglos.
2.3.1 Der in Nr. 1 des Bescheids vom 22. August 2017 angeordnete Widerruf der Waffenbesitzkarten ist rechtmäßig.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG hat die zuständige Behörde eine waffenrechtliche Erlaubnis, vorliegend also die Waffenbesitzkarten nach § 10 Abs. 1 WaffG, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis ist u.a. zu versagen, wenn eine Person nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG i.V.m. § 5 WaffG.
Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers ergibt sich vorliegend aus der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG. Der Antragsteller wurde 2016 rechtskräftig wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. § 266a StGB ist ein reines Vorsatzdelikt. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG differenziert nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht anhand der gängigen Vorsatzformen, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Antragsteller mit Eventual- oder mit direktem Vorsatz gehandelt hat. Ausweislich des Wortlauts kommt es zur Berechnung der – offensichtlich eingehaltenen – Fünf-Jahres-Frist auch auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung und nicht auf den der Tatbegehung an. Ebenso wenig rechtfertigt allein der schon einige Jahre zurückreichende Tatzeitpunkt ein Abweichen von der Regelvermutung (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 28.6.2017 – 21 CS 17.196 – juris Rn. 7), die auch im Übrigen nicht entkräftet ist. Wenn der Bevollmächtigte des Antragstellers meint, dass der der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nichts mit der Waffenführung zu tun habe, so trifft dies wohl zu. Damit wird jedoch grundsätzlich nicht die gesetzgeberische Entscheidung in Frage gestellt, wonach es nicht auf einen waffenrechtlichen Bezug der Straftat ankommt, sondern die Begehung vorsätzlicher Straftaten grundsätzlich ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass es dem Waffenbesitzer an der erforderlichen Fähigkeit oder Bereitschaft fehlt, auch mit Waffen gewissenhaft umzugehen. Bei der Prüfung, ob die Regelvermutung entkräftet werden könnte, sind nur tatbezogene Umstände zu berücksichtigen, so sie die abgeurteilten Verfehlungen ausnahmsweise in einem derart milden Licht erscheinen lassen könnten, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers im Regelfall begründeten Zweifel an der Zuverlässigkeit im konkreten Fall nicht gerechtfertigt sind. Dabei ist die Schwere der konkreten Verfehlung zu würdigen, zum Beispiel dahin, ob sie lediglich Bagatellcharakter hat sowie die Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2009 – 21 CS 09.520 – juris Rn. 4 m.w.N.; dieser Entscheidung liegt ebenfalls eine Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG aufgrund einer Verurteilung nach § 266a Abs. 1 StGB zugrunde).
Die Tat des Antragstellers hat weder Bagatellcharakter, noch erscheint sie aufgrund von Besonderheiten in seinem Verhalten in einem milderen Licht. Der Antragsteller hat in einem Zeitraum von rund dreieinhalb Jahren sowohl der Anzahl (82 Fälle) als auch der Schadenshöhe (rund 52.000 Euro) nach in erheblichem Umfang Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Dass gegen ihn, obwohl Ersttäter und umfassend geständig, eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, unterstreicht die Tatsache, dass es sich nicht um einen Bagatell- oder Ausnahmefall, sondern einen typischerweise der Vorschrift des § 266a StGB unterliegenden Fall handelt. Nichts anderes ergibt sich aus der Einlassung seines Bevollmächtigten, dass der Antragsteller letztendlich nur das „ausführende Organ“ insbesondere seines Vaters gewesen sei und selbst wenig Einblick in die betreffenden Buchungsvorgänge gehabt habe. Selbst wenn dies wenigstens teilweise der Fall gewesen sein sollte – was sich aus den Gründen des Strafurteils vom … Juli 2016 jedenfalls nicht so eindeutig ergibt wie vorgetragen -lässt dies das Verhalten des Antragstellers keinesfalls in einem milderen Licht erscheinen. Denn maßgeblicher Anknüpfungspunkt des § 5 Abs. 2 WaffG ist, wie bereits erwähnt, nicht die durch die Tat zutage tretende „kriminelle Energie“, sondern die aus der Tat in der Regel ableitbare Unzuverlässigkeit des Betreffenden. Sollte sich also der Antragsteller tatsächlich wie vorgetragen verhalten haben, so bestärkt dies eher den Eindruck, dass er zu sorglos mit einer ihm als Geschäftsführer gesetzlich obliegenden Verantwortung umgegangen ist, und bestärkt damit letztendlich auch die gesetzliche Vermutung seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit. Denn dem Gericht erschließt sich nicht, warum der Antragsteller, obwohl im Geschäftsleben laut eigener Einlassung gerade in Bezug auf essentielle gesetzliche Verpflichtungen, Fürsorgepflichten und Obliegenheiten zu sorglos, sich ausgerechnet im Bereich des Waffenrechts strikt an die strengen gesetzlichen Vorgaben halten sollte. Allein dass er insoweit in der Vergangenheit nicht auffällig wurde, vermag dies nicht zu relativieren (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 11.5.2009 – 21 CS 09.520 – juris Rn. 6). Seine Taten in den Jahren 2011 und 2012 und die daraus resultierende Regelvermutung legen wie eben dargelegt vielmehr eine andere Prognose nahe. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind aber nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen.
Es ist folglich nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG herangezogen und eine Ausnahme verneint hat. § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG räumt der Waffenbehörde bei Vorliegen eines Versagungsgrunds – also u.a. der fehlenden Zuverlässigkeit (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG) – keinerlei Ermessen ein, so dass schon deshalb kein Ermessensfehler vorliegen kann. Der ausgesprochene Widerruf ist schließlich auch nicht unverhältnismäßig (vgl. dazu 2.4).
2.3.2 Vor diesem Hintergrund sind auch keine Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit der Nrn. 4, 6 und 7 des Bescheids vom 22. August 2017 erkennbar oder vorgetragen. Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Nr. 4 des Bescheids vom 22. August 2017 unter Verweis auf das hohe öffentliche Sicherheitsinteresse im Bereich des Waffenrechts (Gefahr der missbräuchlichen Verwendung des Jagdscheins) den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet (vgl. zu den – nicht zu hoch anzusetzenden -Anforderungen im Einzelnen Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Inhaltlich folgt die Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins dem waffenrechtlichen Widerruf, zumal im Jagdrecht kein anderer Zuverlässigkeitsmaßstab (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BJagdG) gilt, weil § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG auf § 5 WaffG verweist (BayVGH, B.v. 11.5.2009 – 21 CS 09.520 – juris Rn. 4). Die Zwangsgeldandrohung ist ebenso rechtmäßig wie die Kostenerhebung; insoweit wird ergänzend auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
2.4 Da die Erfolgsaussichten der Hauptsache gering sind, überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der entsprechenden Anordnungen im Bescheid vom 22. August 2017 das private Interesse des Antragstellers am (vorläufigen) Behalten-Dürfen seiner Erlaubnisse. Nichts anderes ergibt sich, wenn man im Wege einer ergänzenden Interessenabwägung berücksichtigt, dass der Antragsteller Jagdpächter ist. Allein ein etwaig drohender, ohnehin nicht konkret bezifferter Schadensanspruch des Antragstellers bei außerordentlicher Kündigung des Jagdpachtvertrags vermag das hochrangige öffentliche Interesse an Gefahrenabwehr ebenso wenig zu überwinden, wie das rein ideelle Interesse, dass sein ansonsten „freiwerdender Platz“ im betreffenden Jagdbezirk nicht an eine andere Person verpachtet wird und damit für den Antragsteller nicht mehr zur Verfügung steht.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. Nr. 1.5, 20.3 und 50.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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