Aktenzeichen 10 C 19.2221, 10 CE 19.2227
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 578 Abs. 1, § 580 Nr. 8, § 589 Abs. 1 S. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60a Abs. 2 S. 1
AsylG § 5 Abs. 1, § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 3 S. 1, § 42 S. 1, § 71
EMRK Art. 3, Art. 13
Leitsatz
Art. 3, 13 und 46 EMRK gebieten keine „konventionskonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts“ dahin, dass bei einer im Fall der Abschiebung drohende Verletzung des Art. 3 EMRK auch ohne konkrete Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR die Möglichkeit der Restitutionsklage nach § 153 Abs. 1 VwGO iVm § 578 Abs. 1, § 580 Nr. 8 ZPO eröffnet ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 12 S 18.3900 2019-10-22 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Verfahren 10 C 19.2221 und 10 CE 19.2227 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 19.2227 wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.
Gründe
Mit den Beschwerden verfolgt der Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Antragsteller) seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, den Antragsgegner und Beklagten (im Folgenden: Antragsgegner) im Wege der einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Vollstreckung der Ausweisungsverfügung (im Bescheid vom 10. Dezember 2016) zu verpflichten (M 12 S 18.3900), und den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für seine Restitutionsklage (M 12 K 18.1585) sowie das Eilrechtsschutzverfahren weiter.
Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden sind zulässig, bleiben jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren 10 CE 19.2227 dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung der Nr. I. des angefochtenen Beschlusses (1.). Die Beschwerde gegen Nr. IV. des Beschlusses (10 C 19.2221) ist ebenfalls unbegründet, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Restitutionsklage des Antragstellers (M 12 K 18.1585) sowie das Eilrechtsschutzverfahren zu Recht abgelehnt hat (2.).
1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO, die Abschiebung des Antragstellers bis zur endgültigen Entscheidung über seine in der Hauptsache erhobene Restitutionsklage (§ 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 578 Abs. 1, 580 Nr. 8 ZPO) vorläufig auszusetzen (Duldung), zu Recht abgelehnt. Die Ausführungen der Bevollmächtigten des Antragstellers in der Beschwerdebegründung zur „Vergleichbarkeit“ der vorliegenden Fallkonstellation mit der „Vollstreckung aus einem Steuerbescheid“ während eines anhängigen Wiederaufnahmeverfahrens und damit zur Anwendbarkeit von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO liegen neben der Sache.
Mit Blick auf mehrere persönliche Schreiben des Antragstellers an die Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichtshof vom 20. und 27. März 2019, worin er seinen Wunsch ausdrückt, (baldmöglichst) abgeschoben zu werden, ist zwar schon zweifelhaft ist, ob der Antragsteller überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis für seinen vorläufigen Rechtsschutzantrag besitzt. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht aber jedenfalls zutreffend entschieden, dass ein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung; § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) gerichteter Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) bzw. nicht vorliegt. Es hat zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller, der sich auf eine ihm im Herkunftsstaat (Pakistan) drohende Gefahr der Tötung durch die Taliban wegen seines Abfalls vom Islam beruft, ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK geltend macht, für dessen Feststellung im Fall eines ehemaligen Asylbewerbers aber nicht die Ausländerbehörde, sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zuständig ist (§ 5 Abs. 1, § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Das Bundesamt habe jedoch mit bestandskräftigem Bescheid vom 17. November 2003 unter anderem festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Ausländergesetz 1990 nicht vorliegen.
Hat das Bundesamt damit bestandskräftig festgestellt, dass für den Antragsteller in seinem Heimatstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit nicht besteht, ist die Ausländerbehörde (des Antragsgegners) nach § 42 Satz 1 AsylG an diese negative Feststellung gebunden; eine eigene Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde kommt daher – hier auch ausnahmsweise – nicht in Betracht (BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 12; Pietsch in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.5.2019, AsylG § 42 Rn. 10).
Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren wiederholte Rechtsauffassung, Art. 3 und Art. 13, Art. 46 EMRK würden eine „konventionskonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts“ gebieten mit der Folge, dass bei einer im Fall der Abschiebung des Antragstellers nach Pakistan drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK ihm auch ohne konkrete Feststellung der Konventionsverletzung durch den EGMR die Möglichkeit der Restitutionsklage nach § 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 578 Abs. 1, § 580 Nr. 8 ZPO eröffnet und zudem § 42 Satz 1 AsylG unbeachtlich sein müsse, ist aus mehreren Gründen schon im Ansatz verfehlt.
Zum einen wird ein (beachtliches) tatsächliches Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers im Sinne des Art. 3 EMRK im Falle seiner Abschiebung nach Pakistan ohne Angabe stichhaltiger Gründe schlicht behauptet. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung mit zutreffender Begründung dargelegt, dass der Antragsteller etwaige (entscheidungserhebliche) Änderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht bezüglich zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote in einem Folgeantrag nach § 71 AsylG geltend machen kann und er insoweit die gebotenen Rechtsschutzmöglichkeiten (Art. 19 Abs. 4 GG) sowohl in der Hauptsache als auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat (vgl. dazu Dickten in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.8.2019, AsylG § 71 Rn. 31 ff.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AsylG § 71 Rn. 46 ff.). Der Einwand, ein Asylfolgeantrag des Antragstellers habe keine Aussicht auf Erfolg, weshalb dieser auch nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden dürfe und demzufolge Art. 13 EMRK die Eröffnung der Restitutionsklage zur Feststellung einer Konventionsverletzung sowie entsprechenden einstweiligen Rechtsschutz gebiete, greift demgegenüber nicht durch.
2. Die Beschwerde gegen die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die in der Hauptsache erhobene Restitutionsklage (M 12 K 18.1585) sowie das Eilrechtsschutzverfahren ist ebenfalls zurückzuweisen.
Das auf vorläufigen Abschiebungsschutz gerichtete Eilrechtsschutzbegehren hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife aus den oben (1.) dargelegten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Restitutionsklage des Antragstellers fehlt es an der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht, weil sie voraussichtlich mangels substantiierter und schlüssiger Darlegung eines Restitutionsgrundes nach § 580 ZPO gemäß § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen ist. Das Verwaltungsgericht ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der behauptete (siehe dazu unter 1.) Wiederaufnahmegrund nach § 580 Nr. 8 ZPO schon deshalb nicht schlüssig dargelegt ist, weil diese Bestimmung nicht nur nach ihrem Wortlaut voraussetzt, dass sich die Feststellung der Konventionsverletzung auf den konkreten Fall bezieht (vgl. auch d. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/3038 S. 38 ff.; zu § 359 Nr. 6 StPO vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 2136/17 – juris Rn. 25). Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zur Notwendigkeit einer konventionsfreundlichen Auslegung dieses Tatbestands gehen aus den bereits oben genannten Gründen fehl; auch aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes des Antragstellers ist eine solche erweiternde Auslegung nicht geboten. Der Antragsgegner hat im Übrigen insoweit zu Recht darauf verwiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weder die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), noch die Rechtsprechung des EGMR oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG) gebieten würden, einen Restitutionsgrund (selbst) für den Fall eines festgestellten (!) Konventionsverstoßes einzuführen (BVerfG, B.v. 20.4.2016 – 2 BvR 1488/14 – juris Rn. 24, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 2136/17 – juris Rn. 22).
Die Kostenentscheidung für beide Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren 10 CE 19.2227 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 19.2221 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).