Aktenzeichen Au 1 K 16.1553
Leitsatz
1 Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Begünstigte auf die Entscheidung der Behörde durch Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums eingewirkt hat, indem er wahre Tatsachen verschwiegen oder Angaben gemacht hat, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, diese aber in Kauf nahm. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 Abs. 1 StAG handelt sich um eine Ermessensentscheidung, wobei das Ermessen trotz eines bei unredlichem Verhalten nicht in Betracht zu ziehenden Vertrauensschutzes nicht im Sinne einer Rücknahme gesetzlich intendiert ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Das Gericht konnte nach § 102 Abs. 2 VwGO auch ohne Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2017 entscheiden, da er in der Ladung darauf hingewiesen worden ist.
Der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2016, mit welchem sie die Einbürgerung des Klägers rückwirkend zum 3. Juli 2012 zurücknimmt, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Ausführungen des Klägers in seiner Klagebegründung vom 7. November 2016 vermögen der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Zustellung des Bescheids durch die Deutsche Post AG mittels Postzustellungsurkunde war gemäß Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 3 BayVwZVG möglich. Die Tatsache, dass der Bescheid mit „i.A.“ unterschrieben ist, führt ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit. Gemäß Art. 37 Abs. 3 BayVwVfG muss ein schriftlicher Verwaltungsakt lediglich die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Diese Voraussetzungen sind durch die Unterschrift des Sachbearbeiters sowie den Zusatz „i.A.“ offensichtlich gewahrt.
2. Nach § 35 Abs. 1 StAG kann eine rechtswidrige Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit (Abs. 4) nur dann zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihre Verleihung gewesen sind, erwirkt worden ist. Diese Voraussetzungen sind nach Überzeugung des Gerichts vorliegend erfüllt.
a) Die Einbürgerung des Klägers ist rechtswidrig, da sie gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG verstößt. Danach ist unter anderem Voraussetzung für die Einbürgerung, dass der Betroffene seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Der Kläger hat bis heute nicht die Entlassungsurkunde bezüglich der türkischen Staatsangehörigkeit vorgelegt.
Zwar ist eine – vorübergehende – Mehrstaatigkeit in Ausnahmefällen hinzunehmen, falls nach dem Recht des Herkunftsstaates die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit davon abhängt, dass zunächst die Einbürgerung vollzogen ist (Berlit in GK-StAR, Stand: Juni 2016, § 10 StAG Rn. 278). So sieht beispielsweise in vorliegendem Fall das Staatsangehörigkeitsrecht der Türkei vor, dass die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft erst erfolgt, wenn der Betroffene bereits die neue Staatsangehörigkeit erhalten hat. Daher wurde im Fall des Klägers die Einbürgerung auch mit der Auflage versehen, die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit herbeizuführen.
Die Mehrstaatigkeit wurde jedoch von der damals zuständigen Behörde stets lediglich als kurzzeitige „Übergangslösung“ betrachtet. Dies geht bereits aus ihrem Hinweis auf Seite 12 des Einbürgerungsantrags hervor, wonach der Kläger für den Fall, dass – wie hier – durch die Einbürgerung nicht automatisch der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit eintritt, einen Nachweis zu erbringen habe, dass er im Anschluss an seine Einbürgerung den Verlust herbeigeführt habe. Mit Schreiben vom 25. Juni 2012 erteilte die Behörde dem Kläger außerdem eine entsprechende Auflage. Die Behörde hat somit im gesamten Einbürgerungsverfahren keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass eine dauerhafte Beibehaltung auch der türkischen Staatsangehörigkeit nicht möglich ist.
Die Einbürgerung war daher von vornherein rechtswidrig, da von einem falschen Sachverhalt ausgegangen wurde, nämlich dem, dass der Kläger die türkische Staatsangehörigkeit unverzüglich nach Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit abgeben wird, was hier auch nach mittlerweile fast fünf Jahren noch nicht geschehen ist. Der Fall ist insoweit vergleichbar mit der Situation, dass der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde beabsichtigt, umgehend nach seiner Einbürgerung beziehungsweise nach der darauf erfolgenden Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit diese wieder anzunehmen. Auch in diesem Fall ging der VGH Baden-Württemberg davon aus, dass die Einbürgerung als von Anfang an rechtswidrig zu qualifizieren ist, weil es bei einem solchen inneren Vorbehalt an der Voraussetzung der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit fehlt (VGH Baden-Württemberg, U.v. 23.9.2002 – 13 S 1984/01 – juris Rn. 30).
Ausnahmetatbestände im Sinne von § 12 Abs. 1 StAG liegen ebenfalls nicht vor. Danach wird von der Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Voraussetzungen aufgeben kann. Dies ist gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 unter anderem dann der Fall, wenn der ausländische Staat die Entlassung von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Die Entlassungsbedingungen der Türkei sind jedoch weder abstrakt-generell unzumutbar (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 22.1.2014 – 1 S 923/13 – juris Rn. 38 ff.), noch hat der Kläger vorgebracht, dass sie sich in seinem konkreten Fall unzumutbar auswirken. Dafür ist auch nichts ersichtlich.
b) Für das Gericht steht weiter außer Zweifel, dass der Kläger über seine Absicht, die türkische Staatsangehörigkeit aufzugeben, arglistig getäuscht hat.
Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Begünstigte auf die Entscheidung der Behörde durch Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums eingewirkt hat, indem er wahre Tatsachen verschwiegen oder Angaben gemacht hat, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, diese aber in Kauf nahm (Marx in GK-StAR, Stand: Juni 2016, § 35 StAG Rn.41). Arglist erfordert somit ein vorsätzliches Handeln. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber weiß, dass er unrichtige Angaben macht (Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 35 StAG Rn. 14).
Im vorliegenden Fall machte der Kläger vorsätzlich falsche Angaben gegenüber der Behörde, als er den die Pflicht zur Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit betreffenden Hinweis im Einbürgerungsantrag unterzeichnete bzw. der Behörde sogar eine Entlassungsgenehmigung der türkischen Behörden vorlegte. Er wurde im gesamten Einbürgerungsverfahren mehrfach auf seine Pflicht zur Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit hingewiesen und hat dem nie widersprochen. Der Kläger hatte aber von Anfang an geplant, seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufzugeben.
Dieser subjektive Wille des Klägers ergibt sich für das Gericht insbesondere aus den zeitlichen Zusammenhängen im Einbürgerungsverfahren des Klägers. Diesbezüglich hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ausgeführt, dass in aller Regel gleichzeitig mit der Entlassungsgenehmigung auch bereits die endgültige Entlassungsurkunde aus der Türkei an das türkische Generalkonsulat übersandt wird. Es obliege dann lediglich dem Betroffenen, die Einbürgerungsurkunde beim Konsulat vorzulegen, damit ihm die Entlassungsurkunde ausgehändigt wird, die er dann wiederum bei der Einbürgerungsbehörde zur Erfüllung der Auflage vorzulegen habe. Für den Kläger wäre es also mit keinem Aufwand verbunden gewesen, der Verpflichtung, von der er vorgab, sie erfüllen zu wollen, bereits innerhalb weniger Tage nachzukommen. Seine Weigerung belegt, dass er von Anfang an einen abweichenden Willen hatte. Der Kläger hat auch zu keinem Zeitpunkt sonstige Gründe genannt, die es ihm verwehrt hätten, die Entlassungsurkunde beim Konsulat abzuholen bzw. vorgebracht, dass ihm die türkischen Behörden die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit verweigert hätten. Aus oben Gesagtem ergibt sich auch, dass zwischen der Einbürgerung und der möglichen Abholung der türkischen Entlassungsurkunde lediglich ein Zeitraum von wenigen Tagen liegt. Im Prinzip wäre es dem Kläger gleich am nächsten Tag möglich gewesen, die Entlassungsurkunde beim Konsulat abzuholen. Ein längerer Zeitraum, während dem der Kläger erst im Nachhinein den Willen, nun doch die türkische Staatsangehörigkeit behalten zu wollen, fassen hätte können, war somit gar nicht gegeben.
Vielmehr sprechen sämtliche Umstände des Falls dafür, dass der Kläger diesen Willen von vornherein gefasst hatte. Tatsachen, die das Gegenteil belegen könnten, hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt vorgebracht.
c) Der Kläger hat durch die arglistige Täuschung seine Einbürgerung „erwirkt“. „Erwirkt“ im Sinne von § 35 Abs. 1 StAG ist die Einbürgerung nur dann, wenn die Täuschung über die Voraussetzungen entscheidungserheblich für die Entscheidung der Behörde war, d.h. die Einbürgerung nicht erfolgt wäre, wenn die Behörde nicht in ihrer Entscheidung manipuliert worden wäre, sondern den wahren Sachverhalt zu Grunde gelegt hätte (Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 35 StAG Rn. 35). Dies war hier der Fall. Der Kläger wurde nur eingebürgert, weil er gegenüber der Behörde seinen Willen, die türkische Staatsangehörigkeit alsbald aufzugeben, kundgetan hatte. Auch aus seiner Laiensicht war für den Kläger erkennbar, dass die Einbürgerungsbehörde aufgrund seines Verhaltens davon ausgehen würde, dass er bereit war, die türkische Staatsangehörigkeit aufzugeben und daher allein aus diesem Grund seinem Einbürgerungsantrag stattgeben würde.
d) Die Frist des § 35 Abs. 3 StAG, wonach die Rücknahme nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung erfolgen darf, ist vorliegend ebenfalls noch nicht abgelaufen.
e) Die Beklagte konnte daher die Einbürgerung nach § 35 Abs. 1 StAG zurücknehmen. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung, wie sich schon aus dem Wortlaut („kann nur“) ergibt. Dabei ist das Ermessen trotz eines bei unredlichem Verhalten nicht in Betracht zu ziehenden Vertrauensschutzes nicht im Sinne einer Rücknahme gesetzlich intendiert (Marx in GK-StAR, Stand: Juni 2016, § 35 Rn.105 m.w.N.) Die Einführung des § 35 StAG in das Gesetz beruht zwar letztlich auf dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 (Az.: 2 BvR 669/04 – NVwZ 2006, 807), in welchem festgehalten wird, dass bei einer Täuschung das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände regelmäßig überwiegt. Gleichzeitig hat es aber darauf hingewiesen, dass bei einem Spezialgesetz eine mit einer Ermessensentscheidung eröffnete Möglichkeit einer flexiblen, dem Einzelfall angemessenen Reaktion erforderlich ist. Das Gesetz trägt dem dadurch Rechnung, dass die Bestimmung, die nach der Gesetzesbegründung schlicht „im Ermessen der zuständigen Behörde“ steht (Bundestags-Drs. 16/10528 S. 7 f.), keine Regelfälle für eine Rücknahme festlegt (VG Ansbach, U.v. 7.5.2014 – AN 4 K13.02142 – juris Rn. 28).
Da eine Ermessensentscheidung vorliegt, konnte das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO nur prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Anhaltspunkte für die Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens bestehen nicht. Insbesondere war sich die Beklagte bewusst, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte, wie sich aus dem Bescheid eindeutig ergibt. Im Übrigen hat sie sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen und die wesentlichen Gesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.