Verwaltungsrecht

Rücknahme der Ernennung eines Beamten auf Probe

Aktenzeichen  3 ZB 15.2401

Datum:
2.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG BayBG Art. 21
BeamtStG BeamtStG § 12
VwGO VwGO § 124 I Nr. 1, II Nrn. 2 u. 3

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 14.695,74 € festgesetzt

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zur Begründung wird auf den in dieser Sache bereits ergangenen Beschluss vom 27. Januar 2016 (Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungs- und Beschwerdeverfahren – PKH-Beschluss) Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog; vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 117 Rn. 11). An den dortigen Ausführungen hält der Senat auch in Kenntnis der Stellungnahme des Klägers vom 19. Februar 2016 fest.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2015, mit dem die Ernennung des 1968 geborenen Klägers zum Regierungssekretär unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zurückgenommen worden ist, zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat im Rahmen der Einstellungsuntersuchung beim Gesundheitsamt B. am 25. April 2008 relevante Tatsachen für die Beurteilung seiner gesundheitlichen Eignung gegenüber dem die Untersuchung durchführenden Amtsarzt bewusst pflichtwidrig nicht offenbart und dadurch das für ihn günstige Gesundheitszeugnis vom 29. April 2008 erwirkt.
1.1. Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids bestehen keine rechtlichen Bedenken, insbesondere ist die Erklärung der Rücknahme der Ernennung nicht verfristet. Der Kläger hat in Kenntnis des PKH-Beschlusses vorgetragen, wesentliche Beweismittel seien unerwähnt geblieben. Das ist unzutreffend. Der Senat hat unter Rn. 4 des PKH-Beschlusses ausgeführt, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (Staatsministerium) nach Aktenlage Kenntnis über die nachträglich bekannt gewordene „schwerwiegende Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet“ und über die Anregung des Verwaltungsgerichts an die Regierung der Oberpfalz (Regierung) hatte, es müsse auch in den Blick genommen werden, seit wann die psychische Erkrankung bestehe, ob diese ggf. bereits zu Beginn des Beamtenverhältnisses vorhanden gewesen sei. Daraus kann mangels konkreter Anhaltspunkte für eine arglistige Täuschung zum Zeitpunkt der Einstellungsuntersuchung nicht der Schluss gezogen werden, das Staatsministerium habe bereits vor dem 9. Dezember 2014 Kenntnis über den Rücknahmegrund erlangt. Vermutungen reichen hier, wie der Senat bereits unter Rn. 4 seines PKH-Beschlusses ausgeführt hat, nicht. Damit war das Staatsministerium auch nicht verpflichtet, bei der Regierung nachzufragen, ob eine Rücknahme in Betracht kommt.
Das Schreiben vom 29. August 2013, das Abgabeschreiben vom 19. Februar 2013 und das Gnadengesuch hat der Senat in Rn. 4 des PKH-Beschlusses gewürdigt, wenngleich nicht im klägerischen Sinne. Auch aus den vom Kläger nochmals aufgezählten Kontaktmails, Aktenvermerken, Schreiben, Stellungnahmen und gegenseitigen Mitteilungen lassen sich keine belastbaren Rückschlüsse über eine etwaige vorzeitige Kenntnis des Staatsministeriums gewinnen. Letztlich erschöpft sich die Argumentation des Klägers darin, es sei aufgrund der „Qualität und der Quantität“ der Kontakte zwischen Staatsministerium und Regierung „schlichtweg unglaubwürdig“, dass das Staatsministerium nicht bereits vor dem 9. Dezember 2014 die für die Rücknahmeentscheidung sichere Kenntnis von der Täuschungshandlung in objektiver und subjektiver Hinsicht erlangt habe. Allein mit der reinen Aufzählung diverser, mit der Erkrankung des Klägers nicht in Zusammenhang stehender, Kontakte beider Häuser kann der Kläger eine vorzeitige Kenntnis des Staatsministeriums nicht darlegen.
1.2 Der Kläger weist darauf hin, es sei auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren bereits über zweieinhalb Jahre andauere. Diese Rechtsunsicherheit belaste ihn erheblich. Mit diesem Vortrag vertieft er sein bisheriges Vorbringen, zu dem sich der Senat bereits in Rn. 6 seines PKH-Beschlusses geäußert hat. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich auch hieraus nicht. Dem Kläger schwebt bei einem „überlangen Verfahren“ offensichtlich eine „Sanktion“ im Sinne des Verbrauchs bzw. der Verwirkung der Rücknahmebefugnis vor. Eine solche „Sanktion“ ist aber weder vom Bundes- noch vom Landesgesetzgeber spezialgesetzlich geregelt. Sie ergibt sich auch nicht aus der einfachgesetzlich in § 45 BeamtStG geregelten Fürsorgepflicht bzw. unmittelbar aus Art. 33 Abs. 5 GG.
1.3 Der Senat ist in seinem PKH-Beschluss (Rn. 8) mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger seit der Kindheit/Jugend unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen leidet. Hiergegen wendet sich der Kläger in zweierlei Hinsicht. Zum einem beruhe die seelische Störung, die in seinem Schwerbehindertenbescheid eingetragen sei, auf einer erektilen Dysfunktion, zum anderen seien in dem fachpsychiatrischen Gutachten des Bezirksklinikums Bayreuth Äußerungen des Klägers möglicherweise fehlinterpretiert oder lediglich aus den fehlerhaften Attesten von Frau Dr. D. übernommen worden. Unberücksichtigt geblieben sei auch, dass der Kläger vom Amtsarzt noch im Jahr 2014 trotz der Zwangserkrankung als dienstfähig angesehen worden sei. Im Übrigen habe die zuständige Mitarbeiterin im Staatsministerium dem Kläger in einer E-Mail vom 27. Mai 2015 bestätigt, dass das fachpsychiatrische Gutachten für die Entscheidung über die Rücknahme der Ernennung nicht relevant gewesen sei. Auch insoweit kann der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darlegen.
Das Verwaltungsgericht konnte – mangels Mitwirkung des Klägers (verweigerte Zustimmung zur Beiziehung der Akten des Zentrums Bayern Familie und Soziales) – die medizinischen Feststellungen nicht aufklären, die den im Schwerbehindertenbescheid vom 8. September 2006 festgestellten Behinderungsleiden „Seelisch Störung, Dysfunktion“ zugrunde liegen. Entscheidend war der Umstand für das Verwaltungsgericht indes nicht, weil beim Kläger nach dem Arztbrief seiner behandelnden Ärztin Dr. D. vom 30. Januar 2012 und dem psychologischen Zusatzgutachten des Bezirkskrankenhauses Bayreuth vom 2. September 2014 seit dem Jugendalter eine Zwangserkrankung mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen schwerpunktmäßig im Bereich Zählen, Wiederholen, zeitweise Ordnen und Befürchtungen im Zusammenhang mit bestimmten Zahlen besteht. Auf die vom Kläger nunmehr offenbarte erektile Dysfunktion kommt es mithin nicht an. An der Richtigkeit des fachpsychologischen Zusatzgutachtens bestehen keinerlei Bedenken. Die Einlassungen des Klägers, seine Äußerungen seien falsch verstanden worden, sind angesichts des ersten Anamnesegesprächs, in dem er unmissverständlich von Zwangshandlungen seit dem 25. Lebensjahr berichtet, als reine Schutzbehauptung zu werten. Das Staatsministerium teilte dem Kläger zwar mit E-Mail vom 27. Mai 2015 mit, dass das Gutachten des Bezirkskrankenhauses Bayreuth für die Entscheidung über die Rücknahme nicht relevant gewesen sei, gleichwohl erlaubt das Gutachten in der Gesamtschau mit dem Arztbrief seiner behandelnden Ärztin Dr. D. vom 30. Januar 2012 die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger leide seit der Kindheit/Jugend unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Der Umstand schließlich, dass der Kläger ausweislich des fachpsychologischen Zusatzgutachtens zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung bei unter Medikation deutlich reduzierter Symptomatik der bestehenden Zwangserkrankung dienstfähig war, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass der Kläger unter einer Zwangsneurose leidet bzw. litt und hierüber dem Amtsarzt nicht berichtete. Der vom Kläger nunmehr vorgelegte Entlassungsbericht des Klinikums Staffelstein vom 23. Mai 2005 enthält zwar keine Einschränkungen zur geistigen/psychischen Belastbarkeit nach der Implantation von Bandscheibenprothesen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt nicht an einer Zwangsstörung gelitten. Der Klammertext (zu beachten sind insbesondere Konzentrations-/Reaktionsvermögen, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, Verantwortung für Personen und Maschinen, Publikumsverkehr, Überwachung und Steuerung komplexerer Arbeitsvorgänge) macht deutlich, dass damit keine psychischen Erkrankungen erfasst werden sollten.
1.4 Der Kläger führt schließlich aus, er habe den Amtsarzt nicht bewusst getäuscht. Der Senat hat hierzu unter Rn. 11 seines PKH-Beschlusses ausgeführt, dass sich die Bedeutung psychischer Vorerkrankungen für die gesundheitliche Eignung als (Lebenszeit)Beamter geradezu aufdränge und für die Entscheidung der Ernennungsbehörde erheblich sei. Aus diesem Grund hätte der Kläger seine Zwangsstörung/Zwangsneurose gegenüber dem Amtsarzt offenbaren müssen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 30.11.2006 – 4 B 11.06 – juris 48), ohne dass der Amtsarzt gezielt hätte nachfragen müssen.
2. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache auch nicht die vom Kläger – pauschal – geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist.
3. Die Rechtssache weist auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf. Eine Rechts- oder Tatsachenfrage ist dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist.
Die vom Kläger im Rahmen des Zulassungsantrags aufgeworfene Frage, ob die in Art. 21 Abs. 2 Satz 2 BayBG genannte Sechs-Monats-Frist bereits mit der Kenntnis von den wesentlichen Tatsachen bei der für den Beamten zuständigen Dienstbehörde zu laufen beginnt, wenn die oberste Dienstbehörde diese Tatsachen kennt, jedoch keine weitergehenden Ermittlungen anstellt, sondern sich die Grundlagen für eine abschließende Entscheidung erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist verschafft, ist im Hinblick auf die Ausführungen unter 1.1 nicht klärungsfähig. Die oberste Dienstbehörde erhielt sichere Kenntnis von der Ernennung und dem Rücknahmegrund erst mit Schreiben der Regierung vom 9. Dezember 2014.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung war deshalb abzulehnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichtes rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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