Verwaltungsrecht

Rücknahme einer Einbürgerung

Aktenzeichen  5 ZB 16.653

Datum:
10.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133301
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG § 12a, § 35

 

Leitsatz

1. Ob die Voraussetzungen des § 35 StAG erfüllt sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab und ist wegen der Vielgestaltigkeit der denkbaren Konstellationen einer grundsätzlichen Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Rücknahme der Einbürgerung steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 14.3680 2016-03-02 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 2. März 2016 wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der im Jahr 1978 in der Türkei geborene Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung. Er wurde – nach einem zu Studienzwecken erfolgten Aufenthalt und anschließender beruflicher Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland – am 8. November 2010 im Weg der Ermessenseinbürgerung eingebürgert und anschließend aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen. Der Kläger ist seit dem Jahr 2014 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet; seine beiden 2013 und 2014 geborenen Kinder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Am 10. Mai 2010 leitete das Hauptzollamt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger ein und teilte ihm dies am selben Tag mit. Mit rechtskräftigem Urteil vom 6. März 2014 wurde der Kläger wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 210 Tagessätzen verurteilt. Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juli 2014 die Einbürgerung rückwirkend zum 8. November 2010 zurück. Die Einbürgerung sei rechtswidrig wegen des seit Mai 2010 anhängig gewesenen Ermittlungsverfahrens, über das der Kläger die Einbürgerungsbehörde hätte informieren müssen.
Die gegen den Rücknahmebescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 2. März 2016 ab. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung seien erfüllt; die Ermessensausübung begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die Einbürgerung des Klägers trotz eines laufenden Ermittlungsverfahrens sei wegen Verstoßes gegen § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG rechtswidrig gewesen. Der Kläger habe seine Einbürgerung durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige für die Einbürgerung wesentliche Angaben bzw. durch arglistige Täuschung erwirkt. Er habe bezüglich der unrichtigen Angaben zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Die Entscheidung für die Rücknahme leide nicht unter Ermessensfehlern. Sie sei auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der frühere Aufenthaltstitel des Klägers nicht wieder auflebe, nicht unverhältnismäßig.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird. Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe, soweit sie in der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt worden sind, nicht vorliegen.
a) Der – von der Antragsbegründung im Schriftsatz vom 20. Mai 2016 allein benannte – Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht ordnungsgemäß dargelegt. Dieser Zulassungsgrund ist nur dann den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargetan, wenn der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ihre Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit erläutert und darüber hinaus darlegt, warum der genannten Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darin gegeben, dass die angefochtene Entscheidung „in entscheidenden Punkten der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts widerspricht“. Zur Begründung wird vorgetragen, dass das im angefochtenen Bescheid herangezogene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rücknahme einer durch Täuschung erwirkten Einbürgerung (BVerfG, U.v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 – BVerwGE 116, 24 = NVwZ 2006, 807) für den Kläger nicht einschlägig sei. Während der Eingebürgerte im dortigen Fall eine grob arglistige Täuschung begangen habe und zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, sei der hiesige Kläger nur zu einer Geldstrafe verurteilt worden und habe entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts lediglich grob fahrlässig gehandelt. Als Ausländer mit nur bedingt brauchbaren Sprachkenntnissen habe er den Inhalt der von ihm unterschriebenen Informationsblätter und seine Mitteilungspflichten gegenüber der Einbürgerungsbehörde nicht nachvollziehen können.
Mit diesem Vorbringen wird keine allgemeine und fallübergreifende Frage formuliert. Der Kläger legt gerade nicht die erforderliche grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar, sondern behauptet lediglich die unrichtige tatsächliche und rechtliche Würdigung seiner konkreten Situation im Lichte der (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben. Wie das Zulassungsvorbringen durch den Hinweis auf die „verschiedensten Rechtsverhältnisse“ und die „Vielfalt möglicher Fallgestaltungen“ selbst zum Ausdruck bringt, geht es um eine einzelfallbezogene Anwendung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 StAG, der – im Anschluss an das genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts – die Voraussetzungen und Modalitäten für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung spezialgesetzlich regelt. Danach ist eine Rücknahme nur möglich, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzliche unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und ist wegen der Vielgestaltigkeit der denkbaren Konstellationen einer grundsätzlichen Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich.
b) Das Resümee des Klägers im Zulassungsvorbringen vom 20. Mai 2016, dass die angefochtene Entscheidung „nicht der Sach- und Rechtslage gerecht geworden“ sei, lässt sich als sinngemäße Geltendmachung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) begreifen. Solche ernstlichen Zweifel sind nur gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243/1244 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Der Kläger trägt unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens vor, er habe mangels hinreichender Deutschkenntnisse nicht gewusst, welche Änderungen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen er gegenüber der Einbürgerungsbehörde hätte angeben müssen. Hierzu hat das Verwaltungsgericht – insoweit vom Kläger unbestritten – ausgeführt, dass dieser das Hinweisblatt zum Einbürgerungsantrag erhalten hat und damit jederzeit die Möglichkeit besaß, sich über den Umfang seiner Mitteilungspflichten zu vergewissern. Des Weiteren hat das Gericht unter eingehender Würdigung der Gesamtumstände überzeugend dargelegt, dass sich der Kläger angesichts seiner Ausbildung in der Türkei, seines Studiums in Deutschland und seiner jahrelangen Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik nicht auf mangelnde Deutschkenntnisse berufen kann (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2008 – 5 ZB 07.2352 – juris Rn. 7). Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass Einbürgerungsbewerber nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen müssen. Seine Sprachkenntnisse hat der Kläger ausweislich der Behördenakten (vgl. Bl. 49 ff. der Einbürgerungsakte) unter anderem durch Teilnahme an entsprechenden Deutschkursen und Erwerb des Zertifikats Deutsch unter Beweis gestellt. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe seine – wegen Verstoßes gegen § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG objektiv rechtswidrige – Einbürgerung durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige für die Einbürgerung wesentliche Angaben bzw. durch arglistige Täuschung erwirkt, begegnet daher keinen Bedenken.
c) Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juli 2016 erstmals Ausführungen zur politischen Situation in der Türkei macht und damit einen neuen Begründungsansatz ins Spiel bringt, hat er bereits die Antragsbegründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO versäumt. Nach Ablauf der zweimonatigen Darlegungsfrist ist zwar eine Ergänzung bereits ordnungsgemäß dargelegter Zulassungsgründe möglich; der Vortrag neuer, selbständiger Zulassungsgründe – und seien es auch „nur“ weitere als die bereits dargelegten Gründe für ernstliche Zweifel – ist aber ausgeschlossen (Happ in Eyermann, a.a.O., § 124a Rn. 53).
Hier trägt der Kläger lediglich unsubstantiiert, ohne Nachweise und ohne Zuordnung zu einem bestimmten Zulassungsgrund vor, dass er sich wiederholt in sozialen Medien gegen die Maßnahmen der türkischen Regierung nach dem Putsch ausgesprochen habe und deshalb den Zustand der Staatenlosigkeit und den erneuten Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gleichermaßen fürchte. Insoweit regelt § 35 Abs. 2 StAG ausdrücklich, dass der Rücknahme der Einbürgerung in der Regel nicht entgegensteht, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird (vgl. auch BVerfG, U.v. 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 – BVerwGE 116, 24 = NVwZ 2006, 807 Rn. 52 ff.). Anhaltspunkte für eine von diesem Regelfall abweichende Sonderkonstellation sind weder vom Kläger dargelegt noch sonst ersichtlich. Im Übrigen bezieht sich das Vorbringen des Klägers auf Gesichtspunkte, die eher ausländerals einbürgerungsrechtlich eine Rolle spielen und bei der Würdigung des aufenthaltsrechtlichen Status des Klägers (vgl. dazu BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C 2.10 – BVerwGE 139, 337 Rn. 16 ff.) zu berücksichtigen sind. Der Beklagte hat im angefochtenen Rücknahmebescheid die Konsequenzen des Eintritts der Staatenlosigkeit sowie die persönlichen Umstände des Klägers, insbesondere seinen langjährigen Inlandsaufenthalt und die Beziehung zu seinen deutschen Familienangehörigen, ausführlich gewürdigt. Dem ist der Kläger im Zulassungsvorbringen nicht entgegengetreten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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