Aktenzeichen AN 1 K 16.00146
BayBG BayBG Art. 13, Art. 96
BayBesG BayBesG Art. 15 Abs. 2
BGB BGB § 818 Abs. 3, § 819
Leitsatz
1 Die Beihilfegewährung ist rechtswidrig und soll zurückgenommen werden, wenn nach den Feststellungen eines Strafurteils für nicht beihilfefähige Behandlungen unrichtige Abrechnungen mit beihilfefähigen, aber nicht durchgeführten Behandlungen von der Klinik erstellt und von dem Beamten eingereicht wurden. Der Rücknahme steht kein schutzwürdiges Vertrauen entgegen, weil der Beamte die Beihilfegewährung durch unrichtige Angaben (die falschen Abrechnungen) erwirkt hat (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BayVwVfG). Auf ein Verschulden kommt es nicht an. (redaktioneller Leitsatz)
2 Gegen die Rückforderung der Beihilfe kann der Beamte sich nicht auf Entreicherung berufen, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes erkennen musste, weil er offensichtlich war (Art. 15 Abs. 2 S. 2 BayBesG). Davon ist auszugehen, wenn nicht geleistete ärztliche Visiten abgerechnet oder Therapien durchgeführt wurden, die ersichtlich nicht beihilfefähig sind (Tanztherapie, Trommelgruppe, Hawaii-Massage) und dann auch nicht in den Abrechnungen auftauchten. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt haben, ist der Rechtsstreit unmittelbar beendet. Eines gesonderten Einstellungsbeschlusses bedarf es insoweit nicht. Die Kostenentscheidung kann auch für den erledigten Teil in dem die Instanz abschließenden Urteil über den anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits getroffen werden (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2005 – 3 C 50.04, DVBl 2006, 118; Kopp/Schenke, VwGO, Rn. 5 zu § 161).
Soweit noch anhängig ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen, …, Bezügestelle Beihilfe, vom 28. Dezember 2015 ist im noch streitgegenständlichen Teil nicht rechtwidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Sowohl die teilweise Aufhebung der Beihilfebescheide vom 8. April 2009 und 14. April 2010 (I.) als auch die Rückforderung zu viel geleisteter Beihilfe in Höhe 6.716,50 Euro (II.) unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.
I.
Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Beihilfebescheide vom 8. April 2009 und 14. April 2010 ist Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Nach Satz 2 dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
1.den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
3.die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.
Der Beklagte ist in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28. Dezember 2015 zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG für eine teilweise Rücknahme der Beihilfebescheide vom 8. April 2009 und 14. April 2010 erfüllt sind und die Einschränkungen des Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG der Rücknahme nicht entgegenstehen.
Die genannten Beihilfebescheide sind jedenfalls in dem Umfang, in welchem sie von dem Beklagten aufgehoben worden sind, rechtswidrig, da dem Kläger hinsichtlich des zurückgeforderten Betrages in Höhe von 6.716,50 EUR kein Anspruch auf die Bewilligung von Beihilfe auf der Grundlage des Art. 96 BayBG i.V.m. mit den Bestimmungen der Bayerischen Beihilfeverordnung vom 2. Januar 2007 in der zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen während der beiden Aufenthalte des Klägers in der … GmbH … in den Jahren 2009 und 2010 gültigen Fassung zusteht.
Nach den im strafgerichtlichen Verfahren (Strafurteil des Landgerichts … vom 9.2.2015 – …*) gegen den Leiter der … … und seine Ehefrau getroffenen Feststellungen, die die Kammer ohne weitere Nachprüfung seiner Entscheidung zu Grunde legen kann (vgl. Wysk, VwGO, 2. Auflage 2016, Rn. 13 zu § 86), wurden auch im Falle des Klägers durch die … GmbH, die auf dem Betriebsgelände der … GmbH betrieben wurde, für die Aufenthalte des Klägers in der genannten Klinik vom 3. Februar 2009 bis zum 31. März 2009 und vom 7. Februar 2010 bis zum 20. März 2010 Abrechnungen für tatsächlich nicht erbrachte Behandlungsleistungen erstellt (im Strafurteil als Fälle Nr. 26 und 164 bezeichnet).
Für diese Abrechnungen vom 1. April 2009 und vom 23. März 2010 beantragte der Kläger am 2. April 2009 und 29. März 2010 die Gewährung von Beihilfe, die dem Kläger antragsgemäß mit Bescheiden vom 8. April 2009 und 14. April 2010 gewährt wurde.
Wie durch die im Strafverfahren gegen den Leiter der … und seine Ehefrau getroffenen Feststellungen, insbesondere durch die auch im Falle des Klägers sichergestellten Therapiepläne („Behandlungen von …“) zur Überzeugung der Kammer feststeht, wurden während der beiden stationären Aufenthalte des Klägers eine Vielzahl von Therapiebehandlungen durchgeführt, für welche die Voraussetzungen für eine Gewährung von Beihilfe nach den Bestimmungen der §§ 7 ff. BayBhV nicht vorlagen und für die deshalb auch keine Abrechnung zur Kostenerstattung erstellt wurde.
Im Falle des Klägers handelt es sich um folgende Behandlungen:
– Aurum Manus – Ayurveda Ölmassage – Biografische Arbeit – Craniosacral-Therapie – Dornbreuss – Dorn-Teil
– Energetische Wirbelsäulenbehandlung – Facial Harmony – Focussing – Fußreflexzonenmassage – Hawaii-Massage – Heiße Steine – Klangarbeit – Körper-Seele-Integration – Malen-Gruppe – Psychische Massage – Shiatsu – Sporttherapie – Strömen – Tanztherapie – Technik – Traumatherapie (Somatic Experiencing)
– Trommel-Gruppe
Um eine Erstattung der Aufwendungen für diese Behandlungen zu erreichen, wurden nach den Feststellungen des Landgerichts … durch Mitarbeiter der … … Abrechnungen über Leistungen nach der GOÄ erstellt, die tatsächlich jedoch nicht erbracht worden waren und deshalb nicht nach §§ 7 ff. BayBhV erstattungsfähig sind, in ihrer Höhe aber die tatsächlich beim Kläger durchgeführten Therapiemaßnahmen abdecken sollten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem den Beteiligten zur Kenntnis übermittelten Urteil des Landgerichts … vom 9. Februar 2015, a.a.O., verwiesen.
Die Bewilligung von Beihilfe für diese Leistungen war somit rechtswidrig im Sinne des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG. Die Höhe der zu Unrecht erbrachten Leistungen ergibt sich aus den Feststellungen der Kriminalpolizeiinspektion …, die dem Kläger bzw. dessen Bevollmächtigtem vorlagen (Aufenthalt 2009: 3.759,- EUR; Aufenthalt 2010: 2.957,50 EUR).
Der teilweisen Rücknahme der Beihilfebescheide vom 8. April 2009 und vom 14. April 2010 steht Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG nicht entgegen, da die Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 erfüllt sind.
Gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.
Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären, kann dahingestellt bleiben. Denn der Kläger kann sich jedenfalls gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er die Verwaltungsakte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren.
Mit Beihilfeanträgen vom 2. April 2009 und vom 29. März 2010 beantragte der Kläger die Erstattung seiner Aufwendungen für die stationären Behandlungen in der … … unter Vorlage der zumindest in dem hier relevanten Umfang nicht zutreffenden Abrechnungen der Fa. … GmbH vom 1. April 2009 und vom 23. März 2010. Die unrichtigen Rechnungspositionen in den beiden Abrechnungen waren kausal für die Fehlerhaftigkeit der Beihilfebescheide. Der Beklagte hätte bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände keine Beihilfe für die tatsächlich erbrachten, jedoch nicht beihilfefähigen Behandlungsmaßnahmen geleistet.
Ein Verschulden des Klägers ist für die Anwendung des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG nicht Voraussetzung. Maßgeblich ist allein die objektive Unrichtigkeit der Angaben. Denn Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG beruht auf der Erwägung, dass die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, wenn sie auf im Wesentlichen unrichtigen und unvollständigen Angaben des Begünstigten zurückzuführen ist, ihre Ursache nicht in der Sphäre der Verwaltung, sondern in der Sphäre des Begünstigten hat und die Rücknahme deshalb in diesen Fällen dem Prinzip des Vertrauensschutzes nicht widersprechen kann (BVerwG, U.v. 14.8.1986 – 3 C 9.85, BVerwGE 74, 357 und v. 20.10.1987 – 9 C 255.86, BVerwGE 78, 139; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, B.v. 14.12.2011 – 1 L 64/11, juris).
Die in Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG geregelte Jahresfrist ist ebenfalls gewahrt. Danach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, zu dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erlangt hat, welche die Rücknahme des Verwaltungsaktes rechtfertigen. Dies setzt die positive Kenntnis der Behörde von den eine Rücknahme des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen voraus.
Der Beklagte hat erstmals durch das Schreiben der Kriminalpolizeiinspektion … vom 17. Juni 2015 von dem hier relevanten Sachverhalt und von dem gegen den Kläger eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Kenntnis erlangt.
Die Entscheidung des Beklagten ist auch nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. Liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes vor, steht die Rücknahme gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zwar grundsätzlich im Ermessen des Beklagten. Indes wird die Ermessensausübung in den Fällen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG gesetzlich dahingehend vorgezeichnet, dass die Bescheide über die zu Unrecht festgesetzte Beihilfe teilweise aufzuheben waren (sog. intendiertes Ermessen). Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG lenkt das behördliche Ermessen, indem er für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt (vgl. BeckOK VwVfG/J. Müller, Rn. 40 zu § 48 VwVfG m.w.N.).
Zudem enthält der Bescheid vom 28. Dezember 2015 auch individuelle, tragfähige Ermessenserwägungen. So wird auf das Ziel verwiesen, normkonforme Zustände wiederherzustellen und unberechtigte Leistungen aus den Kassen der öffentlichen Hand zu vermeiden.
II.
Die Rückforderung der nach teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 8. April 2009 und vom 14. April 2010 zu viel gewährten Beihilfe ist ebenfalls rechtmäßig.
Rechtsgrundlage ist Art. 13 BayBG, der hinsichtlich der Rückforderung von sonstigen Leistungen (Art. 5 Abs. 2 BayBG), zu denen auch die Beihilfe gehört, auf Art. 15 Abs. 2 BayBesG verweist.
Nach Art. 15 Abs. 2 BayBesG regelt sich die Rückforderung zu viel gezahlter Besoldung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin ihn hätte erkennen müssen. Von der Rückforderung kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden.
Der Kläger kann sich hinsichtlich der zu Unrecht erhaltenen Beihilfeleistungen nicht gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 1 BayBesG i.V.m. § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen.
Gemäß § 818 Abs. 3 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes (§ 818 Abs. 2 BGB) ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Der Begriff „Wegfall der Bereicherung“ ist dabei nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten durch einen saldenmäßigen Vergleich des Aktiv- und des Passivvermögens zu beurteilen (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 15/91, Buchholz 239.2 § 49 SVG Nr. 4; RGZ 75, 361 ; 141, 310 ; BGH, U.v. 24.6.1963 – VII ZR 229/62, NJW 1963, 1870).
Der Bundesgerichtshof geht folglich in ständiger Rechtsprechung mit der herrschenden Meinung davon aus, dass sich der zur Herausgabe verpflichtete Empfänger einer Leistung dann nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, wenn er mit dem Erlangten Anschaffungen getätigt oder den Betrag ganz oder teilweise zur Schuldentilgung verwendet hat (vgl. BGH, U.v. 9.5.1984 – IV b ZR 7/83, NJW 1984, 2095 f. und v. 18.4.1985 – VII ZR 309/84, NJW 1985, 2700, jeweils m.w.N.; BeckOK VwVfG/Falkenbach, Rn. 28.1 zu § 49a VwVfG). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung in Fällen überzahlter Dienstbezüge angeschlossen (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 15/91, a.a.O., m.w.N.; BeckOK BeamtenR Bayern/Kolbinger, Rn. 9 zu Art. 13 BayBG). Nichts anderes kann für den Fall zu Unrecht gewährter Beihilfe gelten, da hier Art. 15 Abs. 2 BayBesG entsprechende Anwendung findet.
Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers von einem Wegfall der Bereicherung ausgehen wollte, wofür ein substantiierter Sachvortrag erforderlich gewesen wäre, könnte er sich nicht auf diesen berufen, da er verschärft haftet.
Gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG steht es der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung (vgl. § 819 Abs. 1 BGB) gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin ihn hätte erkennen müssen. Auf einen strafrechtlichen Schuldvorwurf, der dem Kläger im Strafverfahren nicht gemacht werden konnte, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Mangel offensichtlich, wenn der Empfänger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat (BVerwG, U.v. 28.6.1990 – 6 C 41/88, NVwZ-RR 1990, 622 m.w.N.). Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn der Begünstigte nach dem Inhalt des Verwaltungsaktes und/oder nach den ihm bekannten Umständen mit der Rücknahme hätte rechnen müssen (vgl. BeckOK VwVfG/Falkenbach, Rn 31 zu § 49a VwVfG m.w.N.).
Für das Erkennenmüssen des Mangels des rechtlichen Grundes von Zahlungen kommt es auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Empfängers an (BVerwG, U.v. 28.6.1990, a.a.O.). Rechtlich unerheblich ist es, ob die Behörde ein (Mit-)Verschulden an der rechtsgrundlosen Zahlung trifft. Dies kann allenfalls im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach Art. 15 Abs. 2 S. 3 BayBesG eine Rolle spielen (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.1990, a.a.O.; BeckOK BeamtenR Bayern/Kolbinger, BayBG Rn. 10 – 12 zu Art. 13).
Dabei bedeutet „Offensichtlichkeit“ nicht ungehindert sichtbar. Offensichtlichkeit liegt auch dann vor, eine Tatsache leicht durch andere als optische Wahrnehmung zugänglich ist, insbesondere, wenn sie durch Nachdenken, logische Schlussfolgerung oder durch sich aufdrängende Erkundigung in Erfahrung gebracht werden kann (Kathke in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Rn. 60 zu Art. 15 BayBesG).
Hiervon ausgehend hätte der Kläger nach einer Durchsicht der beiden Abrechnungen vom 1. April 2009 und vom 7. Februar 2010 jedenfalls durch Nachdenken erkennen können, dass zumindest Zweifel an der Richtigkeit der Abrechnungen bestanden, die wiederum Anlass für eine sich aufdrängende Erkundigung bzw. entsprechende Information der Beihilfestelle hätten sein müssen, damit diese die Richtigkeit der Rechnungen durch eigene Nachforschungen hätte überprüfen können.
Selbst bei einer nur groben Durchsicht hätte dem Kläger auffallen müssen, dass in jeder Woche von Montag bis Samstag täglich für 9.00 Uhr eine ärztliche Visite abgerechnet wurde, obwohl es in der Regel wöchentlich nur eine Visite gab. Der für nicht stattgefundene Visiten abgerechnete Betrag war zum Ausgleich für die in den Abrechnungen gemäß § 6a GOÄ vorgenommene Kürzung der Abrechnungen gedacht (vgl. Seite 19 des Urteils des LG … vom 9.2.2015, a.a.O. und Ziffer 3.2 der Zusammenfassung der Verdachtsmerkmale für die Ermittlungsverfahren wegen Betruges gegen die Patienten, KPI … vom 1.12.2014).
Weiter hätte der Kläger ohne weiteres erkennen können, dass keine der oben benannten Therapiemaßnahmen, wie beispielsweise Tanztherapie, Trommelgruppe oder Hawaii-Massage in den Rechnungen auftauchen, sondern für die jeweiligen Tage andere Behandlungsmaßnahmen abgerechnet werden, so dass sich weitere Erkundigungen oder eine entsprechende Unterrichtung der Beihilfestelle geradezu aufgedrängt hätten.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, die oben aufgezeigten Auffälligkeiten zu erkennen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG zur Erkennbarkeit (des fehlenden Rechtsgrundes) sind selbst bei Vorliegen einer krankhaften Störung des geistigen und seelischen Gesundheitszustands nur dann nicht erfüllt, wenn die Fähigkeit zur kritischen Erkenntnis erheblich beeinträchtigt ist (Kathke in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Rn. 63 zu Art. 15 BayBesG; Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Rn. 6 zu § 12 BBesG m.w.N.).
Wie sich den jeweils vorliegenden Entlassungsberichten der … vom 3. Juli 2009 und vom 14. Juni 2010 entnehmen lässt, hatte die Handlungskompetenz des Klägers zum Zeitpunkt der Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wesentlich bzw. sehr deutlich zugenommen. Nach dem Aufenthalt im Jahr 2010 war sie nicht mehr eingeschränkt.
Auch der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung der Dipl.-Psych. … vom 28. Januar 2017 lässt nicht entnehmen, dass der Kläger – abweichend von der medizinischen Bewertung in den beiden Entlassungsberichten der … … – zum Zeitpunkt der Beantragung der Beihilfe, die nur zwei bzw. neun Tage nach der Entlassung aus der Klinik erfolgt ist, in der Fähigkeit zur kritischen Erkenntnis erheblich beeinträchtigt gewesen wäre. Somit fehlt es bereits an einem hinreichend substantiierten Sachvortrag für eine derart erhebliche Störung der Erkenntnisfähigkeit.
Zudem hätten sich dem Kläger Zweifel auch deshalb aufdrängen müssen, weil bezüglich der beiden Rechnungen der … GmbH die Beihilfe ungekürzt gewährt wurde. Spätestens aufgrund dieser insoweit vollen Gewährung von Beihilfe hätte der Kläger erkennen können und müssen, dass eine überhöhte Beihilfegewährung erfolgt ist, nachdem er bei entsprechend sorgfältigem Nachdenken hätte erkennen können, dass eine Vielzahl der von ihm in Anspruch genommenen Behandlungen (vgl. oben) nicht beihilfefähig gewesen wären. Denn schon nach allgemeiner Lebenserfahrung kann weder ein gesetzlich Versicherter noch ein beihilfeberechtigter Beamter damit rechnen, derartige Behandlungskosten, z.B. für Hawaii-Massagen, ohne Abschluss von Zusatzversicherungen in vollem Umfang erstattet zu bekommen.
Dass der Kläger bei der am 2. April 2009 erfolgten Fertigung des Beihilfeantrags wegen seiner Augenerkrankung nicht in der Lage gewesen sei, die Rechnung der Fa. … GmbH vom 1. April 2009 zu lesen, wird vom Kläger selbst nicht behauptet. Dies würde den Kläger zudem auch nicht entlasten, da er in diesem Fall die Rechnung ohne jede Prüfung, aber ohne entsprechenden Hinweis an die Beihilfestelle, zur Erstattung eingereicht hätte.
Schließlich ist der Rückzahlungsanspruch aus Art. 15 Abs. 2 BayBesG auch nicht verjährt.
Für die Verjährung sonstiger Leistungen (Art. 5 Abs. 2 BayBG), soweit sie – wie die auf Art. 96 BayBG beruhende Beihilfe – nicht zur Besoldung gehören (vgl. Art. 2, 91 ff. BayBesG), gilt Art. 13 BayBesG mangels Besoldungsanspruchs nicht. Hier ist die Verjährungsregelung des Art. 12 BayBG einschlägig (BeckOK BeamtenR Bayern/Kolbinger, BayBG, Rn. 8-9 zu Art. 12).
Die mit Art. 12 S. 1 BayBG statuierte Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt entsprechend § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Verjährungsbeginn setzt dabei Kenntnis (bzw. grob fahrlässige Unkenntnis) des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners voraus. Entstanden ist der Anspruch, sobald er erstmals geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann (stRspr, vgl. MüKoBGB/Grothe, Rn. 4 zu § 199 BGB mwN; BeckOK BeamtenR Bayern/Kolbinger, Rn. 4 zu Art. 12 BayBG). Letzteres war erst mit der teilweisen Aufhebung der Beihilfebescheide vom 8. April 2009 und vom 14. April 2010 möglich, da diese den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung darstellten. Die Verjährungsfrist des Rückzahlungsanspruch konnte deshalb erst mit Wirksamwerden des Bescheides vom 28. Dezember 2015 zu laufen beginnen.
Schließlich brauchte der Beklagte auch nicht gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG aus Billigkeitsgründen von der Rückforderung ganz oder teilweise absehen. Nach dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG ist ein Ermessensspielraum für ein ggf. auch nur teilweises Absehen von der Rückforderung nur eröffnet, wenn Billigkeitsgründe vorliegen. Diese mit § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG weitestgehend übereinstimmende Regelung hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Besoldungsempfänger tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 4/11, juris Rn. 18 m.w.N.). Die Billigkeitsentscheidung kann darin bestehen, dass von der Rückforderung insgesamt oder teilweise endgültig abgesehen, die Rückforderung ganz oder teilweise erst für einen späteren Zeitpunkt verlangt oder die Rückzahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlung) gestattet wird (BayVGH, B.v. 18.12.2015 – 3 ZB 13.1199; BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 27.98, juris Rn. 28; U.v. 25.1.2001 – 2 A 7/99, juris Rn. 22).
Dem Klägervortrag ließen sich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung am 28. Dezember 2015 (BVerwG, U.v. 25.1.2001 – 2 A 7/99, juris Rn. 23; OVG Lüneburg, B.v. 1.9.2014 – 5 LA 240/13, juris Rn. 15) keine besonderen Umstände entnehmen, die Anlass zu einem Teilverzicht auf die Rückforderung oder eine Gewährung von Ratenzahlung gegeben hätten. Insbesondere trifft den Beklagten kein bei der Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigendes Mitverschulden an der hier streitgegenständlichen Überzahlung von Beihilfe, da diese mangels entsprechender Hinweise durch den Kläger nicht verpflichtet war, von Amts zu überprüfen, ob die in den Abrechnungen der Fa. … vom 1. April 2009 und vom 23. März 2010 enthaltenen Behandlungsmaßnahmen tatsächlich durchgeführt worden waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO, 167 VwGO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift:
Ludwigstraße 23, 80539 München;
Postfachanschrift:
Postfach 34 01 48, 80098 München, oder in
in Ansbach:
Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Beschluss
Der Gegenstandswert wird auf 6.728,50 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.