Verwaltungsrecht

Rücknahme waffenrechtlicher Erlaubnisse für „Reichsbürger“

Aktenzeichen  24 ZB 19.1957

Datum:
2.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14660
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
GG Art. 5 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1. Dem Darlegungsgebot für die Berufungszulassung ist genügt, wenn der dargelegte Zulassungsgrund in der Sache auf einen der gesetzlichen Tatbestände zielt (Anschluss an BVerwG NVwZ-RR 2004, 220). Das Oberverwaltungsgericht muss sich aber nicht aus einem Darlegungsgemenge das heraussuchen, was möglicherweise zur Begründung des Antrags geeignet sein könnte (Anschluss an BVerfG BeckRS 2010, 53157). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht zu beanstanden, einem nach gerichtlicher Würdigung der sogenannten „Reichsbügerbewegung“ zuzuordnenden Kläger die waffenrechtliche Zuverlässigkeit abzusprechen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 17.3603 2019-07-31 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse.
Das Verwaltungsgericht hat seine entsprechende Klage mit Urteil vom 31. Juli 2019 abgewiesen. Sämtliche im angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2017 getroffenen Verfügungen seien rechtmäßig, weil der Kläger nicht über die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG verfüge. Maßgeblich für die Beurteilung, ob die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht gegeben sei, sei eine auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiere. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs besäßen Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, nicht die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Die ermittelten Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers würden in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme begründen, dass dieser der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei bzw. sich deren Ideologie verbindlich zu eigen gemacht habe. Insbesondere die Stellung eines Antrags auf Feststellung der der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis) unter Hinweis auf RuStAG von 1913 spreche hierfür.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, an der Richtigkeit des streitgegenständlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Sowohl im angefochtenen Bescheid als auch im angegriffenen Urteil fehle eine konkrete Sachaufklärung. Das Waffenrecht gestatte eine Prognose, aber nur beruhend auf gesicherten Tatsachen. Das gedankenlose Ausfüllen eines behördlichen Antrags bedeute nichts. Er gehöre nicht zu den Reichsbürgern. Selbst wenn er dazu gehören würde, wäre dies sein gutes Recht, was sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergebe.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das Darlegungsgebot gestaltet das Zulassungsverfahren dahingehend, dass das gerichtliche Prüfungsprogramm im Zulassungsverfahren jedenfalls im Wesentlichen darauf beschränkt ist zu klären, ob der Rechtsmittelführer seine Darlegungslast erfüllt hat und die dargelegten Gründe eine Zulassung der Berufung tragen (BVerfG, B.v. 23.7.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163). Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG dürfen allerdings die Anforderungen an die Darlegung nur in einer Weise gestellt werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Anwalt mit zumutbarem Aufwand noch erfüllt werden können (BVerfG, B.v. 8.1.22009 – 2 BvR 758/07 – BVerfGE 125, 104). Dem Darlegungsgebot ist genügt, wenn der dargelegte Zulassungsgrund in der Sache auf einen der gesetzlichen Tatbestände zielt (BVerwG, B.v. 2.10.2003 – 1 B 33/03 – NVwZ-RR 2004, 220). Das Oberverwaltungsgericht muss sich aber nicht aus einem Darlegungsgemenge das heraussuchen, was möglicherweise zur Begründung des Antrags geeignet sein könnte (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – BayVBl 2011, 338). Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist ein Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor.
a) Der Kläger macht zunächst ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Solche sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden können (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel genügt keine unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung.
In Ansehung des Vortrags in der Zulassungsbegründung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers wird auf § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b und c WaffG gestützt. Danach ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis gehört auch, dass der Betroffene die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG). Zu Recht führt das Erstgericht aus, der Kläger verfüge nicht über die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Soweit der Kläger vorträgt, es lägen keine Tatsachen vor, auf deren Grundlage die Prognose eines spezifisch waffenrechtlichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert, gestützt werden könne, ist dem nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht stuft den Kläger als der „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ein bzw. als eine Person, die sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht hat. Dabei verkennt es nicht, dass es sich bei der „Reichsbürgerbewegung“ um eine höchst heterogene Szene handelt. Es hat bei seiner Prognose die ermittelten Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers in ihrer Gesamtheit gewürdigt. Zum einen hat der Kläger einen Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis) unter Hinweis auf RuStAG von 1913 gestellt. Zudem hat er hierbei als weitere Staatsangehörigkeit angegeben „Elsass Lothringen seit Geburt erworben durch Abstammung“. Das Verwaltungsgericht führt im Einzelnen aus, inwieweit sich der Kläger hier „reichsbürgertypisch“ verhalten hat (UA S. 13 ff.). Vor allem aber konnte der Kläger nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts in seinen Einlassungen sowohl im Anhörungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren nicht überzeugend erklären, worin seine „reichsbürgerunabhängige“ Motivation für die Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises gelegen habe. Das Verwaltungsgericht legt nachvollziehbar dar, warum es die Einlassung des Klägers, er habe den Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit gestellt, da sein Reisepass auf einer Chinareise im Jahr 2011/12 beschädigt worden sei, als Schutzbehauptung wertet. Ebenso nachvollziehbar sind die Ausführungen des Gerichts, die Einlassungen des Klägers, die sog. „Ausfüllhilfe“ nicht hinterfragt zu haben, würden verfahrenstaktisch motiviert und unglaubhaft erscheinen. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme nach § 45 Abs. 1 WaffG (UA S. 17 f.).
Mit seinem Vorbringen wendet sich der Kläger im Ergebnis gegen die von ihm für unzutreffend gehaltene Beweiswürdigung, Rechts- und Tatsachenfeststellung des Gerichts, ohne indes einen die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Fehler aufzuzeigen. Das Gericht entscheidet gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Tatsachen- und Beweiswürdigung, der einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (stRspr z.B. BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 21 ZB 16.1678 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Derartige Fehler zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf; sie sind auch nicht ersichtlich. Der Kläger beschränkt sich vielmehr im Wesentlichen darauf, unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags auf die Umstände hinzuweisen, die seiner Auffassung nach eine fehlende Nähe zur Szene der sogenannten Reichsbürger und seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit belegen sollen. Allein der Umstand aber, dass der Kläger die vom Gericht festgestellten und gewürdigten Tatsachen anders gewichtet als dieses und im Ergebnis abweichend bewertet, rechtfertigt keine Zulassung der Berufung auf Grund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Soweit sich der Kläger auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beruft, hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt (UA S. 17), dass die Meinungsfreiheit ihre Grenze unter anderem in den Schranken der allgemeinen Gesetzte (Art. 5 Abs. 2 GG) findet, wozu auch das Waffengesetz gehört (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519 – juris Rn. 20 ff.).
b) Einen Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem das Urteil beruhen kann, hat der Kläger nicht dargelegt. Er rügt das Defizit einer ordnungsgemäßen Sachverhaltsaufklärung. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Sachvortrag des Klägers dezidiert und ausführlich auseinandergesetzt. Soweit es diesen anders als vom Kläger gewünscht gewürdigt hat, liegt hierin kein Verfahrensfehler.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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