Verwaltungsrecht

Rücknahmefiktion des Asylantrages wegen unentschuldigten Abbruchs der Anhörung

Aktenzeichen  Au 8 S 17.35699

Datum:
5.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 299
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 33 Abs. 2 S. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

1 Eine Empfangsbestätigung iSd § 33 Abs. 4 AsylG muss kein persönlich ausgestelltes oder zumindest unterschriebenes Dokument sein. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach der gesetzgeberischen Intention sind die drei Vermutungstatbestände des § 33 Abs. 2 S. 1 AsylG nicht in der Weise abschließend, dass nur bei deren Vorliegen ein Nichtbetreiben angenommen werden könnte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Abbruch der Anhörung ohne einen unverzüglichen Nachweis der Verfahrens- und Verhandlungsfähigkeit kann als Nichtbetreiben gewertet werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben am * 1991 in * geboren und afghanischer Staatsangehöriger hazarischer Volks- und schiitischer Religionszugehörigkeit, reiste am 26. November 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 18. Dezember 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asyl beantragte.
Der Antragsteller wurde über seinen Bevollmächtigten zur Anhörung für den 28. November 2017, 10.00 Uhr, geladen. Die Ladung enthielt u.a. den Hinweis,
„dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Ihre Mandantschaft zu diesem Termin nicht erscheint. Dies gilt nicht, wenn sie unverzüglich nachweist, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit muss Ihre Mandantschaft unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet ist, muss sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Wenn dem Bundesamt kein Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
Der Bevollmächtigte wurde gebeten, seine Mandantschaft zu informieren (hervorgehoben). Der Ladung wurde eine Übersetzung in persischer Sprache beigefügt.
Der Antragsteller erschien am 28. November 2017 beim Bundesamt, erklärte jedoch, sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu fühlen, angehört zu werden. Die Anhörung wurde daraufhin abgebrochen und dem Antragsteller aufgegeben, bis zum 5. Dezember 2017 zum Beleg seiner Verfahrensunfähigkeit ein ärztliches Attest vorzulegen. Er wurde abschließend nochmals auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen und über die Folgen verspäteten Vorbringens belehrt.
Mit Schreiben vom 28. November 2017 wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers das Protokoll über die Anhörung vom selben Tag übermittelt.
Mit Telefax vom 15. Dezember 2017 teilte der Bevollmächtigte dem Bundesamt mit, dass sein Mandant am 28. November 2017 erkrankt und „nicht verhandlungsfähig (Anlage)“ gewesen sei. Der Übermittlungsbericht des Telefaxes weist eine Seite „(Page: 1/1)“ aus.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2017, per Einschreiben am 20. Dezember 2017 zur Post gegeben, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Nr. 1). Ferner wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde zur Ausreise binnen einer Frist von einer Woche aufgefordert. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Tage befristet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen sei. Es werde daher vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Ein Nachweis, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen gewesen sei, auf die der Antragsteller keinen Einfluss gehabt habe, sei bis zur Entscheidung nicht eingereicht worden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens lasse eine drohende Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Heimatland zweifelhaft erscheinen.
Hiergegen ließ der Antragsteller mit bei Gericht am 27. Dezember 2017 eingegangenem Telefax Klage erheben. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen Au 8 K 17.35698 geführt. Zugleich beantragte er im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Das Bundesamt sei am 15. Dezember 2017 davon in Kenntnis gesetzt worden, dass der Antragsteller krank und nicht verhandlungsfähig gewesen sei. Ein ärztliches Attest sei beigefügt worden, nachdem nicht klar gewesen sei, ob der Antragsteller das Attest dem Bundesamt bereits zuvor vorgelegt habe. Laut Ärztlichem Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. med. * u.a.,, vom 30. November 2017 stehe der Antragsteller in hausärztlicher Behandlung und sei aufgrund einer akuten Erkrankung am 28. November 2017 nicht verhandlungs- und verfahrensfähig gewesen.
Die Antragsgegnerin legte am 3. Januar 2018 die dort geführten Bundesamtsakten vor, äußerte sich aber in der Sache nicht.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO statthaft. Der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 18. Dezember 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung kommt gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, weil kein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG sowie der § 73 AsylG, § 73b AsylG und § 73c AsylG gegeben ist.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsandrohung durch § 75 Abs. 1 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren. Nach diesem Maßstab fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus, da sich die im Bescheid des Bundesamtes vom 18. Dezember 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung in dem für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) als rechtmäßig erweist.
Das Bundesamt hat mit dem angefochtenen Bescheid zutreffend das Asylverfahren eingestellt, da der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gilt. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Rücknahmefiktion gemäß § 33 Abs. 1 AsylG liegen vor. Nach dieser Vorschrift gilt ein Asylantrag als zurückgenommen und wird das Asylverfahren durch das Bundesamt eingestellt, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben des Asylverfahrens wird in den in § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG genannten Fallgruppen gesetzlich vermutet, sofern der Antragsteller nicht unverzüglich nachgewiesen hat, dass dies auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss gehabt hat (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG).
a) Der Antragsteller wurde mit Schreiben des Bundesamtes vom 13. November 2017 über seinen Bevollmächtigten zur persönlichen Anhörung am 28. November 2017 geladen. Im vorliegenden Fall genügt die mit Schreiben übermittelte Ladung dem Gebot der Schriftlichkeit und vermittelt dem Antragsteller über seinen Bevollmächtigten die Kenntnis von dem Termin zur Anhörung.
Zwar enthält die Bundesamtsakte keinen Zustellungsnachweis, allerdings wird nach den allgemeinen Grundsätzen eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie diesem zugeht. Zugegangen ist eine Willenserklärung dann, wenn sie so in dem Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Bei gewöhnlichem Postlauf dürfte die Ladung dem Bevollmächtigten spätestens zwei Tage nach Aufgabe zur Post erreicht haben. Der Zugang beim Bevollmächtigten wird von diesem nicht bestritten. Er ist dem Antragsteller zuzurechnen. Nachdem dieser zur Anhörung am 28. November 2017 auch erschienen ist, ist auch davon auszugehen, dass er über seinen Bevollmächtigten sowohl Kenntnis von dem Termin als auch von dem Inhalt des Schreibens erhielt. In dem Ladungsschreiben heißt es ausdrücklich und durch Fettdruck optisch hervorgehoben: „Bitte informieren Sie Ihre Mandantschaft“
b) Der Antragsteller wurde zudem auf die Rechtsfolgen des § 33 Abs. 1 AsylG inhaltlich ausreichend und gegen Empfangsbestätigung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG hingewiesen. In dem Ladungsschreiben, das dem Bevollmächtigten des Antragstellers per Post zuging, heißt es ausdrücklich und durch Einrahmung optisch hervorgehoben:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn ihre Mandantschaft zu diesem Termin nicht erscheint. …“
Dies stellt einen den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG genügenden Hinweis dar, weil die Voraussetzungen für den Eintritt der Rücknahmefiktion, die Möglichkeit, den Eintritt der Fiktion zu verhindern sowie deren weitere Folgen im Einzelnen umfassend dargestellt werden (vgl. VG Frankfurt a.M., B.v. 6.6.2017 – 3 l 3181/17.F.A – BeckRS 2017, 117427 Rn. 29).
c) Schließlich wurde der Hinweis auch gegen Empfangsbestätigung erteilt. Qualifizierte Anforderungen formeller oder inhaltlicher Art an eine Empfangsbestätigung lassen sich § 33 Abs. 4 AsylG nicht entnehmen. Auch eine allgemeine Definition dieses Begriffs existiert nicht. Insbesondere lässt sich weder dem Gesetz entnehmen noch ergibt sich aus anderen Gründen, dass nur ein vom Empfänger persönlich ausgestelltes oder zumindest unterschriebenes Dokument als Empfangsbestätigung in diesem Sinne zu qualifizieren ist. Ein derartiges Verständnis der Empfangsbestätigung ist auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung nicht geboten. Diese dient dazu, die Kenntnisnahme des Asylbewerbers von dem Hinweis im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG sicherzustellen (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 10.3.2017 – 17 L 2012/17.A – juris Rn. 37). Die genannte Zweckerfüllung lässt sich nicht ausschließlich durch ein vom Adressaten persönlich unterschiebenes Dokument erreichen, sondern kann grundsätzlich auch durch eine andere Art von Nachweis über die Kenntnisnahme sichergestellt werden (vgl. VG Frankfurt a.A., B.v. 6.6.2017 – 3 L 3181/17.F.A – BeckRS 2017, 117427 – Rn. 32). Dass das Ladungsschreiben vom 13. November 2017 dem Antragsteller über seinen Bevollmächtigten zugegangen ist, wurde bereits oben dargelegt, sodass darauf Bezug genommen werden kann. Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat auch nicht mitgeteilt, dass ihm die Ladung und die darin enthaltene Belehrung nicht zugegangen wären. Hiervon ist auch nicht auszugehen, nachdem der Antragsteller zum Anhörungstermin erschienen ist.
d) Der Antragsteller hat das Verfahren nicht betrieben. Dies wird in den drei alternativen Tatbeständen, des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG vermutet. Nach der gesetzgeberischen Intention sind die drei Vermutungstatbestände jedoch nicht in der Weise abschließend, dass nur bei deren Vorliegen ein Nichtbetreiben angenommen werden könnte. Weitere Gründe sind vielmehr – so die Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/7538, 17) – denkbar. Fehlt es an einer ausdrücklichen Erklärung des Ausländers, kann sein übriges Verhalten nur dann als Nichtbetreiben gewertet werden, wenn es seinem Gehalt nach den gesetzlichen Vermutungstatbeständen gleich steht (vgl. BeckOK AuslR/Heusch AsylG § 33 Rn. 12). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Der Antragsteller ist zur Anhörung zwar erschienen, hat diese aber noch vor Beginn der Fragestellung aus „gesundheitlichen“ Gründen abgebrochen, ohne seine Verfahrens- und Verhandlungsfähigkeit unverzüglich nachgewiesen und damit die Vermutungswirkung nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht entkräftet zu haben. Insofern trifft die Darlegungs- und Nachweislast denjenigen, gegen den sie wirkt, hier also den Antragsteller. Den notwendigen Nachweis muss der Ausländer unverzüglich, d.h. ohne jedes schuldhafte Zögern erbringen. Jedenfalls wenn eine schriftliche Entschuldigung zum Beleg der geltend gemachten Verfahrensunfähigkeit angekündigt ist, ist diese unverzüglich schriftlich zu bestätigen und entsprechende schriftliche Nachweise sind beizubringen (vgl. VG Regensburg, B.v. 24.1.2017 – RO 4 S. 17.30196 – BeckRS 2017, 100690).
Vorliegend wurde dem Antragsteller eine Frist bis zum 5. Dezember 2017 eingeräumt. Diese war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses längst abgelaufen. Zwar hat der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Telefax vom 15. Dezember 2017 dem Bundesamt noch mitgeteilt, dass sein Mandant am 28. November 2017 krank und „nicht verhandlungsfähig (Anlage)“ gewesen sei. Ein Attest, wie in der Niederschrift vom 28. November 2017 festgehalten, wurde aber dem anwaltlichen Schreiben vom 15. Dezember 2017 gerade nicht beigefügt. Dies hätte aber dem Bevollmächtigten auffallen müssen, nachdem der Sendebericht nur eine Seite „Page:1/1“ auswies. Im Übrigen datiert das Attest vom 30. November 2017, ohne schlüssig darzulegen, wie zwei Tage nach dem Anhörungstermin die seinerzeitige Verhandlungsunfähigkeit habe festgestellt werden können.
Schließlich ist auch die vom Bundesamt zusammen mit der Einstellungsentscheidung getroffene Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG rechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgetragen.
Die Abschiebungsandrohung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § § 154 Abs. 1 VwGO iVm. § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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