Aktenzeichen 9 ZB 20.32008
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1. Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe die vom Kläger geschilderte Bedrohungslage fehlerhaft bewertet, wird die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung angegriffen, was keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (Rn. 6). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 S. 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung im Asylstreitverfahren grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (Rn. 9). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 4 K 19.30761 2020-09-03 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Kläger ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 3. September 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Soweit sich der Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruft, liegt bereits kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund vor (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 9 ZB 20.30794 – juris Rn. 3). Im Übrigen liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), noch eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 9 ZB 20.31477 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen, das weder eine konkrete Frage formuliert noch eine über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit aufzeigt, nicht gerecht.
2. Die Berufung ist nicht wegen Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2019 – 9 ZB 19.32755 – juris Rn. 4). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Abgesehen davon, dass sich diesem schon kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen lässt, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll, kann die Divergenzrüge auch nicht auf eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 16). Die Schilderung, das Verwaltungsgericht habe die vom Kläger geschilderte Bedrohungslage fehlerhaft bewertet, wird vielmehr die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung angegriffen, was keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Soweit das Zulassungsvorbringen geltend macht, das Verwaltungsgericht habe die Verschärfung der Situation aufgrund der Covid-19 Pandemie nicht aufgeklärt, führt dies nicht zum Erfolg des Antrags. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag aber nicht auf. Vielmehr hat der anwaltlich vertretene Kläger bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hierzu auch keinerlei Vortrag gemacht oder Beweisantrag gestellt. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist aber kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten im vorangegangenen Instanzenzug zu kompensieren (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Dass sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, wird ebenso wenig dargelegt, zumal das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Kläger gesund ist und im Zulassungsvorbringen auch nicht dargelegt wird, dass der Kläger zu einer Risikogruppe gehöre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).